Der Truthahn im Exklusiv- Interview
Jetzt rede ich!
von Sebastian Bütow4Traditionell sprechen die Menschen vom Truthahn, dabei gibt es bestimmt auch weibliche Exemplare von Ihnen. Finden Sie das angesichts der Gender-Debatte eigentlich noch zeitgemäß?
Tja, das hat sich halt sprachlich so eingebürgert, ich habe bisher auch noch kein halbes Hühnchen kennengelernt. Bei Wikipedia finden Sie mich tatsächlich auch als Truthuhn, aber das sagt natürlich kein Mensch. Vielmehr ist dann von Pute oder Truthenne die Rede.
Bald ist wieder Thanksgiving Day, das US-amerikanische und kanadische Erntedankfest, welches dort als wichtigste Familienfeier überhaupt gilt. Üblicherweise landen dann Sie auf den Tischen. Wie viele Ihrer Genossen werden dann wohl verspeist werden?
Gehen Sie mal von 45 Millionen aus. Wenn wir geschlachtet werden, sind wir im Schnitt um die sieben Kilo schwer, können eine Menge Leute satt machen!
Weshalb Sie auf dem amerikanischen Kontinent schon seit Mitte des 16. Jahrhunderts sehr geschätzt werden.
Ja, wir haben den Menschen auch nicht selten über die kargen Wintermonate geholfen.
Wie werden Sie denn zelebriert und zubereitet am Thanksgiving Day?
Traditionell werde ich gefüllt mit Möhren, Zwiebeln und Sellerie, dazu gibt’s die berühmte Cranberry-Soße. Typische Beilagen sind Süßkartoffeln, Kürbisgemüse, Erbsen, Möhren, grüne Bohnen oder Mais. Abgerundet wird das Festessen mit Nachspeisen wie Kürbis- oder Pekannusskuchen. Ganz wichtig ist vielen Amerikanern noch immer das Dankgebet am Esstisch, das meist vom Familienoberhaupt gesprochen wird. In den meisten Familien sagt dann jeder Anwesende reihum, wofür er danken möchte und was seine Wünsche für die Zukunft sind.
Ich möchte wirklich nicht uncharmant sein, aber wir Journalisten müssen auch unangenehme Fragen stellen. Wenn man Sie googelt, ploppt die Frage auf, warum Sie, nun ja, so hässlich sind. Welche Erklärung haben Sie dafür?
Das ist eine Unverschämtheit! Ihr Europäer steht halt nicht so auf meine roten Stirn- und Halslappen, ebenso wenig mögt ihr wohl meine nackten Stellen an Hals und Kopf. Und überseht dabei, dass ich ein viel prachtvolleres Federkleid trage als diese dämlichen kleinen 08/15-Hühner. In Amerika sieht man das ganz anders. Schon die amerikanischen Ureinwohner, dieses angeblich so schlimme I-Wort möchte ich jetzt lieber nicht aussprechen, schmückten sich mit uns.
Hat ein Drogenabhängiger mit Entzugserscheinungen zu kämpfen, nennt man diesen Zustand »auf turkey sein« (Turkey = engl. Truthahn). Warum eigentlich?
Sie sind ja wirklich charmant heute! Nächstes Mal lasse ich die Fragen vorher von meinem PR-Berater prüfen. Aber, na gut, ich verrate es Ihnen. Ein balzender oder rivalisierender Puter kann extrem reizbar sein, wälzt sich gerne, zittert und plustert sich auf. Wie ein Junkie, der gerne Nachschub hätte. Ich finde, das ist imageschädigend und wird meinem Naturell nicht gerecht!
Wie sind Sie denn sonst so privat?
Wer sich ein bisschen auskennt, weiß, dass wir als hochsoziale und verspielte Tiere gelten! Fragen Sie mal nach bei PETA. Leben wir in Freiheit, sind wir dafür bekannt, dass wir ausgiebig balzen, Nester bauen, gerne Staub- oder Sandbäder nehmen, stundenlang nach Futter scharren und sehr kommunikationsfreudig sind. Wir zwitschern, gackern und singen sogar, wenn Musik erklingt. Wir können extrem gut hören und sehen!
Truthahn, wir danken Ihnen für das Gespräch.