Der Christstollen im Exklusiv-Interview
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Der Christstollen im Exklusiv-Interview

Jetzt rede ich!

von Sebastian Bütow
Dienstag, 26.11.2024
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Ihre Karriere begann als karges Fastengebäck – ursprünglich bestanden Sie nur aus Mehl, Wasser und Hefe. Wie kam es zu Ihrer Verwandlung zu einer köstlichen Kalorienbombe?
Kleine Geschichtsstunde gefällig? Im 15. Jahrhundert baten Kurfürst Ernst von Sachsen und sein Bruder Albrecht den Papst Innozenz VIII. um die Erlaubnis, Butter statt Öl für die Herstellung meiner Wenigkeit verwenden zu dürfen. Der sogenannte Butterbrief, der 1491 ausgestellt wurde, erlaubte den sächsischen Bä­ckern dann die Verwendung von Butter – allerdings gegen die Zahlung eines Ablasses. 

Warum denn das?
Dieser Erlass wurde unter anderem für den Wiederaufbau der Dresdner Kreuzkirche verwendet. Dieser historische Butterbrief ist mein wichtigster Meilenstein. Er ebnete mir den Weg zu dem, was ich heute bin: das Weihnachtsgebäck Nummer eins!

Das ist eine steile These. Warum glauben Sie, gegenüber Ihrer Lebkuchenkonkurrenz die Nase vorn zu haben?
Ach, ich habe großen Respekt vor meinem Freund Lebkuchen – er ist ebenfalls ein Klassiker. Aber wenn wir ehrlich sind, bin ich doch das reichhaltigere Erlebnis, oder? Während Lebkuchen eher leicht und würzig daherkommen, bin ich die vollmundige, luxuriöse Variante des weihnachtlichen Genusses. Meine Fülle an Zutaten – von Butter über Rosinen bis hin zu Marzipan – macht mich zur etwas edleren Festtagsdelikatesse. Zudem stecke ich voller Symbolik und Geschichte, die bis ins Mittelalter reicht. Wer kann meiner dicken goldenen Butterkruste und dem süßen Hauch von Puderzucker schon widerstehen?

Stimmt es, dass der Puderzucker eine christliche Symbolik hat?
Das stimmt, absolut. Die weiße Pracht soll das Christkind in seinen Windeln darstellen. So stelle ich nicht nur einen Genuss dar, sondern bin auch ein Symbol für die Geburt von Jesus, was mir eine noch tiefere Verbindung zur Weihnachtszeit verleiht.

Zu DDR-Zeiten war es schwierig, echte ­Dresdner Christstollen zu backen, weil ­Zutaten wie Mandeln Mangelware waren …
Allerdings! Deshalb mussten für meine Herstellung hier und da immer wieder Zutaten aus dem Westen geschmuggelt werden. So wurde ich im Osten zu einem Symbol für familiären Zusammenhalt und den Willen, Traditionen auch unter schwierigen Bedingungen am Leben zu halten.

Bemerkenswert an Ihnen ist, dass Sie trotz Ihrer Tradition immer wieder mit der Zeit gehen. Welche Ihrer vielen Varianten sind gerade in?
Oh, danke für das Kompliment! Obwohl ich schon seit Jahrhunderten existiere, werde ich immer wieder mo­dern interpretiert – und das erfüllt mich mit einem gewissen Stolz. Logisch, dass aktuell vegane Versionen im Kommen sind. Außerdem bescheren Varianten mit Cranberrys, Chia-Samen oder Goji-Beeren fruchtige Frische und Exotik. Der größte Renner unter den 2.0-Stollen ist aber der Schoko-Stollen. Und dann gibt es noch den Trend zu Mini-Stollen oder Stollen-Konfekt – perfekt für den kleinen Genuss zwischendurch oder als Geschenk. Ganz gleich, in welcher Form oder mit welchen Zutaten: Ich passe mich an, ohne meine Wurzeln zu vergessen.

Was ist ein absolutes No-Go bei Christstollen?
Mich direkt nach dem Backen zu essen. Ich brauche Zeit, um meine Aromen vollständig zu entfalten – mindestens zwei Wochen Ruhe sind nötig, damit sich die Gewürze, Früchte und Butter perfekt verbinden. Wenn ihr mich zu früh anschneidet, schmecke ich nicht so vollmundig.

Christstollen, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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