Restauranttisch Abpfiff nach 90 Minuten
Fotos: Johannes Ritter; Sven Kolb

Fight Club: Restauranttisch-Abpfiff nach 90 Minuten

Höhere Preise für Speisen und Getränke zu Stoßzeiten nach US-Vorbild. Überfällige Notwendigkeit oder Untergang der Restaurant-Kultur?

von Daniela Müller
Donnerstag, 08.07.2021
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PRO

Markus Mensch
Markus Mensch
Foto: Johannes Ritter

»Wenn der Gast weiß, worauf er sich einlässt, sehe ich kein Problem!«

Selbstverständlich müsste man bei der Reservierung oder Anfrage ganz klar kommunizieren, dass ein Tisch nur für 90 Minuten reserviert ist und abklären, ob das für den Gast so in Ordnung geht. Sollte die Zeit nicht ausreichend sein, wäre es möglich, eine Ausweichzeit anzubieten, in der ein Tisch dann länger besetzt bleiben kann. Ein positiver Nebeneffekt: Man hat auf diese Weise mehr Kommunikation mit dem Gast, der das in der Regel sogar als Service versteht, weil ihm sofort eine Alternative geboten wird.

Markus Mensch

ist seit 2007 Geschäftsführer der Agentur Mplus. Zu seinem Kundenportfolio zählen viele Hoteliers und Gastronomen.

Durch die Reservierungsbestätigung per Mail und nochmaligen Hinweis auf die 90 Minuten, erhalten Gastronomen automatisch die Adressen für Marketing, Newsletter usw. In den USA wird einem nach der letzten Frage, ob man noch etwas wünscht, auch unaufgefordert die Rechnung auf den Tisch gelegt, wenn man dies verneint hat. Dort geht man von einem längeren Verweilen einfach nicht aus. Ein Vorteil des höheren Tischwechsels ist auch mehr Bewegung im Restaurant, es wirkt lebendiger und ist somit für alle Besucher interessanter.

Sollte die Zeit für den Gast nicht ausreichend sein, könnte man eine Ausweichzeit anbieten

Markus Mensch

Viele kennen zwei »Essenszeiten« in Hotelrestaurants aus dem Urlaub. Da weiß man in der ersten Belegung auch, dass ein Verweilen bis Ultimo nicht erwünscht ist. Es gibt auch meist die Möglichkeit, den Abend an der Bar ausklingen zu lassen, was wiederum zu einem Mehrumsatz und Zusatzverkauf führen kann. Also wieder ein Plus für den Gastronomen.

Höhere Preise zu Stoßzeiten   sind nichts Neues, der Gast kennt und akzeptiert diese aus den High Seasons wie Weihnachten, Silvester und Valentinstag. Ebenso wie das Gegenteil, die Happy Hour. Man sollte es positiv verkaufen, dass z.B. ein Early Dinner günstiger ist und zu den Primetime-Zeiten eben teurer. In den USA ist dies Gang und Gebe. Die finalen Preise sind für den Endverbraucher nicht zu unterscheiden. In gehobenen Restaurants sind Menüs auch teurer, dies hat sich längst etabliert. Somit würde es nur einen kleinen Schritt bedeuten, dies auch im À-la-carte-Bereich einzuführen.


CONTRA

Michael Urban
Michael Urban
Foto: Sven Kolb

»Genuss und Stoppuhr widersprechen sich!«

»Vielen Dank für Ihre Reservierung. Bitte beachten Sie, dass diese für 90 Minuten gilt und der Tisch danach wieder vergeben wird. Ihr Tisch wird fünf Minuten nach Reservierungsbeginn bei Nichterscheinen wieder vergeben. Das Restaurant behält sich vor, Ihren Tisch erst 45 Minuten nach Reservierungsbeginn verfügbar zu haben. Wir freuen uns auf Ihren Besuch!« – So lautet die Reservierungsbestätigung im weltweit bekannten Restaurant »Nusr-Et« in Dubai. Längst gilt dieses Prozedere als Standard in Restaurants, vor allem in den USA.

Das sollte man jetzt genau reflektieren: Wir, die Gäste und eigentlichen Hauptakteure – die in eingestaubten Lehrbüchern noch als »Könige« bezeichnet werden – müssen uns also von unserer besten Seite zeigen und deutsche Pünktlichkeit an den Tag legen. Nicht einmal die berühmte akademische Viertelstunde wird einem eingeräumt. Das Restaurant, unser Gastgeber, behält sich hingegen fast eine Stunde vor, in der wir warten dürfen und den bereits gehorsam pünktlich erschienenen Gästen beim »Genießen« zusehen dürfen. Schon ein bisschen frech, aber was macht man nicht alles, um ein bisschen Show und Genuss zu erleben.
Inwieweit hier aber noch von Genuss die Rede sein kann, ist fraglich. 90 Minuten, da ist »Genießen« nur im Jagdmodus möglich. Ein gemütliches Ankommen, sich umsehen, in der Karte stöbern bei einem Aperitif und eine Auswahl treffen, vielleicht noch eine Empfehlung bekommen – wird so leider wegrationalisiert.

Michael Urban

eröffnete 2016 sein erstes Restaurant: das La Bohème in München. 2019 gründete er die Marketing- und Consulting-Agentur Quirky, München. Im vergangenen Jahr eröffnete er das Midgardhaus - Augustiner am See und das Restaurant Ritterschwemme zu Kaltenberg.

Am besten auf der Fahrt zum Restaurant schon die Karte scannen, damit man bloß keine Zeit verliert, die ja sowieso nicht wirklich vorhanden ist. Vor Ort wäre das erste Empfinden: Stress! Stress, schnell eine Auswahl zu treffen. Stress, schnell zu essen, damit man auch noch ein Dessert abbekommt. Stress, weil man die Schlange an wartenden Gästen sieht, die ihrerseits auch schon sehr gestresst aussehen, wie man selbst.

Ich finde, dass dieses Vorgehen viel vom Restaurant-Erlebnis zerstört, ein Restaurant zu einer Abfertigungsstätte werden lässt, als sei es ein Autobahnlokal. Der Weg mit den 90-Minuten-Seatings sollte keinesfalls die Lösung sein.Preise, die je nach Tageszeit oder Nachfrage variieren, kennt man bereits von vielen Anbietern. Es gibt für Restaurants eine gewisse Rechtfertigung, Preise nach Auslastung anzupassen, die auch für andere Branchen gelten. Ein wichtiger Punkt ist dabei klare Transparenz für den Kunden, ansonsten kann dieses Vorgehen zu Unmut führen. Ich bin der Meinung, dass ein Restaurant lieber durch gezieltes Marketing eine konstante Auslastung erreichen sollte und mit gut kalkulierten Preisen seine Gäste zu jeder Zeit gleich empfangen und glücklich machen sollte. Das ist einfacher, transparent und besonders für Stammgäste ein willkommenes Geschäftsgebaren.

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