Bier bewusst genießen
Warum das bayerische Helle gefeiert wird und 0,0%er einen gewaltigen Sprung machen
von Karoline GiokasTrotz oder wegen Corona? Keinesfalls! Es hat sich schleichend, aber kontinuierlich abgezeichnet, der Megatrend Gesundheit und Selbstoptimierung ist jedoch auch hier angekommen: Seit rund 20 Jahren verzeichnet Deutschland einen rückläufigen Bierkonsum. »Für Gen Y und Gen Z ist Bier kein Automatismus mehr«, besagt die aktuelle Bierkonsum Trendstudie 2025 von K&A Branch Research. Gönnte sich der Deutsche im Jahr 2000 noch rund 126 Liter des flüssigen Gerstensaftes pro Jahr, liegt der heutige Konsum bei 95 Litern pro Kopf und Jahr.
Helles – es mausert sich
Erstaunlich aber: Trotz allgemein stagnierender, sogar sinkender Absatzzahlen im Biermarkt tritt das bayerische Helle gerade seinen Siegeszug an – sogar über die Landesgrenzen hinaus in ganz Deutschland! Still und leise hat es immer mehr Anteile der nach wie vor mengenmäßig wichtigsten Kategorie, des Pils, abgezwackt und sich zur unangefochtenen Nummer zwei gemausert. Der Marktanteil von Hellbier stieg nämlich laut den aktuellen Zahlen der Marktforscher von Nielsen im Handel von 7,9 auf 8,8 Prozent. Davon profitieren bayerische Brauereien, die mehr exportieren. »Wir haben große Exporterfolge«, berichtet Lothar Ebbertz, Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Brauerbundes. Lange sei das Image des Hellen außerhalb der weiß-blauen Grenzen gar »nicht so prickelnd« gewesen. Seit geraumer Zeit liege es im Trend. Inzwischen vertreiben sogar große Pilshersteller aus Nordrhein-Westfalen das in Bayern als Helle betitelte Bier teils mit bayerischen Partnern über ihre Kanäle. »Wir haben in den letzten Jahren gemerkt, dass Hellbiere mit bayerischem Absender besonders gefragt sind«, bestätigt Peter Lemm, Sprecher der Krombacher Brauerei aus NRW.
Wo sind eigentlich die Craftbiere geblieben?
Es war im Jahr 2016, als die Craftbier-Welle laut Aufmerksamkeit erzeugte. Ihren High Peak verzeichneten die deutschen Mikrobrauereien zwei Jahre später mit 222.466 Hektolitern Absatz. Inzwischen ist es ruhiger um die speziellen Biersorten geworden. Der Trend flaut ab: Laut K&A Branch Research verkörpern die Craft-Beer-Brauereien in den Augen der Gen Z lediglich oberflächliche Regionalität. Es heißt: »Alles ist irgendwie regional.«
Craft Beer ist aber weiterhin da. »Neben den Wegtrinkbieren der Industrie hat Craftbier die Rolle von etwas Besonderem angenommen, ist etwas zum Genießen geworden«, ist Anja Kober-Stegemann überzeugt. Die Bier-Sommelière weiß, wovon sie spricht. Einst trank sie selbst gar kein Bier, ist aber bei einer beruflichen Neuorientierung auf den Geschmack besonderer Hopfenerzeugnisse gekommen. »Mit dem Bier ist es wie mit dem Menschen: Sie können äußerst komplex sein, vielfältig und im Abgang auch überraschend. Bier bedeutet für mich Genuss, Passion und Nahrung für die Seele.«
Bis 2020 stieg die Zahl der Mikrobrauereien in Deutschland laut Statista zwar immer weiter an, zuletzt sank diese jedoch und man zählte 2021 im Bundesgebiet insgesamt nur noch 890 Mikrobrauereien. Viele der »Kleinen« werden aufgekauft oder fusionieren mit den Big Playern (K&A Branch Research). Wie man auch als großes Unternehmen auf dem Biermarkt die Sparte Craftbier erfolgreich implementieren kann, macht beispielsweise die Augsburger Riegele Brauerei vor. Das feinherbe Amaris 50, das fruchtige Augustus 8 und das Bayrisch Ale 2 sind nur einige der im Sortiment vertretenen Brauspezialitäten des Titelträgers »Deutschlands beste Brauerei des Jahres 2019« und »Craft Brauer des Jahres 2018«. Zur Entwicklung dieser wurde 2010 mit der befreundeten schwedischen Brauerei Monks Café & Brewery ein Bier zusammen gebraut. »Die Haupt-Inspirationsquelle für unsere Brauspezialitäten waren dann unsere Reisen durch die großen Biernationen der Welt«, erzählt Sebastian Priller-Riegele, Geschäftsführer Brauhaus Riegele. »Wir wollten damit einmal die riesige Bandbreite von Bier zeigen und dass noch viel mehr Bierstile existieren als die in Deutschland üblichen. Dafür muss es nicht unbedingt ins Extreme gehen.«
Längst sind alkohol-
freie Biere ein Lifestyle-
Getränk für Menschen, die Bier lieben und sich gesund und bewusst ernähren möchten.
Ist die Zukunft alkoholfrei?
Dass die Pandemie mit einem gestiegenen Bewusstsein für gesunde Ernährung einherging, ist unter Experten unstrittig. Wie aber passt diese Trendwende mit dem Konsum von Bier zusammen? Gar nicht so schlecht, um ehrlich zu sein. Inzwischen springen nämlich immer mehr Unternehmen auf den »Wir führen eine alkoholfreie Range«-Zug auf. Der Branchenverband Deutscher Brauer-Bund hat im vergangenen Jahr von 7.000 Biermarken in Deutschland mehr als 700 Sorten alkoholfreie Biere und Biermischgetränke bei seinen Mitgliedern identifiziert – 2010 waren es noch halb so viele (Nielsen 2021). »Schon bald wird jedes zehnte in Deutschland gebraute Bier alkoholfrei sein«, ist sich Holger Eichele, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauer-Bundes in Berlin sicher.
Der Verband hat sogar gemeinsam mit seinen Mitgliedern die Kampagne »www.unserbier.de« gestartet, um die vergleichsweise junge Bierkategorie noch bekannter zu machen. Der Deutsche Brauer-Bund als Dachverband der Brauwirtschaft beobachtet nämlich bereits seit Jahren, wie sich das Image der Alkoholfreien wandelt und immer mehr Menschen auf den Geschmack kommen. »Die Zeiten, als alkoholfreie Biere hauptsächlich von Autofahrern getrunken wurden, sind längst vorbei«, so Eichele.
Und auch die Wissenschaft bestätigt: »Alkoholfreies Bier kann durch die im Hopfen enthaltenen natürlichen Pflanzenstoffe, die sogenannten Polyphenole, eine gesundheitsfördernde Wirkung auf den Menschen haben«, so Prof. Dr. med. Johannes Scherr. Der Chefarzt des Universitären Zentrums für Präventions- und Sportmedizin an der Universitätsklinik Balgrist in Zürich hat 2009 die weltweit größte Marathonstudie, »Be-MaGIC« (Beer, Marathon, Genetics, Inflammation and the Cadiovascular System-Trial), durchgeführt und untersucht, wie alkoholfreies Weißbier helfen kann, Entzündungsreaktionen unter Marathonläufern abzumildern. »Im Ergebnis war es tatsächlich so, dass die Testgruppe, die das alkoholfreie Weißbier mit den darin enthaltenen Polyphenolen getrunken hat, signifikant niedrigere Entzündungswerte hatte«, erklärt Scherr. »Unabhängig davon, ob jemand Marathonläufer ist oder nicht, ist die richtige Portion an Polyphenolen entscheidend, um einen gesundheitsfördernden Effekt zu erzielen.«
Foodpairing – geht auch mit Bier
Bier zum Essen zu reichen, ist zwar kein neuer Trend, heute hat das Thema »Bier-Pairing« jedoch eine ganz neue Dynamik. »In gehobenen Restaurants ist es selbstverständlich, zu jedem Gang eine Weinempfehlung auszusprechen. Warum nicht mal ein Bier dazu bieten?«, stellt Bier-Sommelière Anja Kober-Stegemann die Frage in den Raum.
»Wie beim Wein harmonieren auch hier bestimmte Aromen exzellent miteinander und halten sich in einer geschmacklichen Balance. Andere können hingegen eine Disharmonie auf der Zunge verursachen«, erklärt die Odenthalerin: »Es bedarf schlichtweg einer kleinen Aufklärungsarbeit – was sich natürlich aufgrund des aktuellen Fachkräftemangels sicherlich manchmal als schwierig erweisen mag.« Mit persönlichen »Bier zum Essen«-Empfehlungen könne man jedoch vor allem auch weibliche Gäste verstärkt an die Hopfenthematik heranführen.
Kober-Stegemanns Grundregeln bei der optimalen Bierauswahl zum Essen: Scharfes wie Chili geht besonders gut mit einem Bier mit hoher Hopfenbittere einher. Eine prägnante Hopfennote macht die Schärfe des Essens hierbei angenehm prickelnd.
Spritzige Biere mit leicht säuerlichem Geschmack passen wunderbar zu frischen Salaten, Fisch oder Zwiebelkuchen. Und ganz nach dem Motto »Gleich und Gleich gesellt sich gern« empfiehlt die Bier-Sommelière zu süßen Köstlichkeiten wie einem dunklen Brownie oder Mousse au Chocolat ein malziges, dunkles Hopfengetränk. »So kommen die Röstaromen besonders zur Geltung.«
Und welches Bier trinken Sie am liebsten? »Immer das nächste«, lautet prompt ihre Antwort. »Hauptsache, es gibt das passende Glas dazu. Oft wird die Wirkung des Glases nämlich unterschätzt.« Schmale Gläser bringen die Süße eines Bieres konzentrierter in den Rachen –sind also beim Durstlöschen angesagt. Gut für Pils oder Kölsch. Offenere Gläser transportieren hingegen die Aromen in ganzer Breite auf die Zunge und lassen die Rezeptoren alle Aromen erfassen, insbesondere bei malzigen Bieren wie einem Dunklen, Dubbel oder Stout. Ein Bierglas sollte also ebenso mit Bedacht ausgewählt werden wie ein Weinglas. Prost!
Biermixgetränke – so wunderbar erfrischend
Gerade im Sommer sind spritzige Biermischgetränke ein großer Hit. Auch hier zieht die Range an alkoholfreien Varianten mächtig nach. So setzt Carlsberg mit neuen 0,0%-Produkten sowie der Umstellung bestehender Alkoholfrei-Produkte auf den anhaltenden Konsumententrend. „Insbesondere die 0,0%-Varianten verzeichnen innerhalb des Alkoholfrei-Segments einen sehr positiven Trend und wachsen rasant – beispielsweise Biermix 0,0% mit durchschnittlich +33,3% im vergangenen Jahr“, erklärt Unternehmenssprecher Paul Spethmann. „Mit einem normalen Sommer, mit besserem Wetter als im vergangenen Jahr, wird das Volumen in dieser Kategorie weitersteigen. Insbesondere die naturtrüben Varianten der Biermixe kommen sehr gut bei den Verbrauchern an. Da steckt noch viel Potenzial.“ Kein Wunder also, dass das Unternehmen mit seiner Marke Lübzer 0.0% gerade das Naturradler Rhabarber und bei Astra das Granate Energy 0.0% eingeführt hat.