Das Geschäft mit dem grünen Gewissen
von Sebastian BütowWillkommen in Berlin-Mitte, Rosenthaler Straße, im Epizentrum der Hauptstadt-Hippness. In diesem Revier gönnt man sich gerne mal ein Paar Designer-Turnschuhe in limitierter Auflage zum Mondpreis, und auch beim Essengehen geht 08/15 gar nicht! Wer hier ein neues Lokal eröffnet, sollte Außergewöhnliches anbieten. Logisch, dass ein Restaurant wie das Good Bank hier seit zwei Jahren den Nerv des Publikums trifft.
Öko, Bio, nachhaltig? Solche Assoziationen schießen einem eher nicht in den Kopf, wenn man das schlauchförmige Restaurant betritt, dafür fühlt es sich futuristisch an. Hinter dem Tresen stehen riesige Glaskästen, deren LED-Leuchtstäbe ein kühles, pinkfarbenes Licht verstrahlen.
Pinkfarbenes Licht und Wasser machen Erde überflüssig
Diese sind keine Installationen von abgefahrenen Künstlern, wie einige Gäste vermuten, sondern die hypermoderne Variante einer Gemüsefarm. Hinter dem Glas gedeihen doch tatsächlich Salate, saisonal auch grünes Gemüse. Das künstliche Licht gibt den Pflanzen exakt die Menge Energie, die sie benötigen. Gepaart mit dem langen weißen Tresen und dem restlichen puristischen Inventar könnte das Good Bank auch als Kulisse eines Science-Fiction-Films durchgehen. Das Gemüse wird hydroponisch angebaut. Das heißt, es wird in Wasser – und nicht in Erde – gezüchtet. Dieses »Wasser« ist mit Nährstoffen angereichert, macht so die Erde überflüssig. Abwaschen übrigens auch.
»Mit unseren vertikalen Farmen wollen wir nicht nur eigenes Gemüse züchten, das ohne Gentechnik, Pestizide und absurde Transportwege auskommt«, sagt Gründerin und Geschäftsführerin Ema Simurda Paulin. »Wir wollen auch darauf hinweisen, wie man mit neuen Technologien gesünderes und nachhaltigeres Essen produzieren und kochen kann.« Sei es beim Pflanzenanbau, der Zusammenarbeit mit urbanen Imkern oder dem Slow Cooking von Fleisch und vielem mehr. An allererster Stelle steht für Simurda Paulin »Taste First!« – Farmen und Design locken Gäste an, zurück kommen sie aber nur, wenn sie vom Geschmack überzeugt waren.
Milliardenmarkt der Zukunft
In Japan starteten Indoor-Farming und Vertical Farming seit Fukushima durch, weil diese Methoden radioaktive Strahlung abweisen. Noch fühlt sich das ultra-innovativ an, es handelt sich aber um einen Milliardenmarkt der Zukunft! Nicht nur bei uns. In ausgedörrten Ländern könnte der Gemüseanbau 2.0 Importe überflüssig machen und sogar Menschenleben retten. Die Good-Bank-Speisekarte lockt vor allem mit Salat-Spezialitäten. Es gibt aber auch fleischige Gerichte – allzu dogmatisch will man hier auch nicht sein.
Die Good-Bank-Macher sahnten mit ihrem Konzept den Gastro-Gründerpreis ab. Die »Farmen« hat sich das Berliner Start-up Infarm einfallen lassen, das sich mit dem Gemüseanbau an Orten beschäftigt, an denen normalerweise kein Gemüse wächst, also an Standorten ohne Sonne, Wasser und Licht. Vorteil: Keine langen Transportwege, weniger Wasser- und Energieverbrauch, auch müssen weniger Lebensmittel weggeschmissen werden – nur das, was wirklich gebraucht wird, wird verwendet. Auch Starkoch und TV-Star Tim Mälzer betreibt Vertical Farming in seinem Hamburger Restaurant »Die gute Botschaft«. Seine Köche holen sich viele ihrer Zutaten aus den Vitrinen, statt sich frühmorgens zum Großmarkt quälen zu müssen.
Authentischere Variante in Wien
Die neueren Back2Nature-Restaurants überspitzen den Trend ins Extreme, die meisten Restaurants dieser Art lassen es damit etwas unspektakulärer angehen. Wie etwa das Heuer am Wiener Karlsplatz. Hier liefern 36 verschiedene Kleinbauern und Manufakturen die Zutaten, zudem wird auch im eigenen Karls Garten, dem Outdoor-Bereich, fleißig angepflanzt.
»Wir sitzen mitten im Zentrum von Wien, sind eine der meistfrequentierten Flächen dort«, sagt Andreas Wiesmüller, der Eigentümer und Geschäftsführer. »In unserem Karls Garten erforschen wir zum Beispiel, wie hoch die Belastung verschiedener Obst- und Gemüsesorten durch den Verkehr ist.« Mit diesem Projekt wurde Urban Gardening auch für Schulen und Universitäten zugänglich gemacht, um alte biologische Anbauformen von Obst, Gemüse und Getreide vorzustellen. Das Heuer ist ein Ort, der das Bewusstsein seiner Besucher für nachhaltigen Lebensstil schärft.
Pilzzucht mit Kaffee-Sud
»Unser Kaffee-Sud, etwa 1,2 Tonnen im Jahr, wird genutzt, um Pilze zu züchten«, sagt Wiesmüller. »Das Heuer verwendet seine Bio-Abfälle, um Zutaten für unsere Speisen herzustellen.« Der Eier-Lieferant fährt jeden Tag mit seinen Hühnern auf eine Wiese, packt sie abends wieder ein. Nur zwei von vielen Beispielen. Die Philosophie des Heuer wird auch über die Speisekarte kommuniziert, ebenso über das Personal, Veranstaltungen, Kooperationen, Kurse und gezielte Öffentlichkeitsarbeit.
Wolfs Junge hat eigenen Garten
»Mir ist es als Gastronom enorm wichtig, Verantwortung für die Umwelt zu übernehmen«, sagt auch Sebastian Junge, der in dem biodynamischen Garten seines Hamburger Lokals Wolfs Junge bis zu 25 verschiedene Gemüsesorten anbaut, sogar Chili ist dabei. »Das gefällt vielen Gästen schon rein optisch«, so Junge. »Der Garten ist auch ein guter Aufhänger, um mit den Leuten ins Gespräch zu kommen.«
Seine regionalen Biolieferanten kennt Junge, der »Aktivist für nachhaltige Genusskultur«, alle persönlich, sie sind auf der Speisekarte aufgelistet. »Wir sind das konsequenteste Restaurant dieser Art in Hamburg.« Junges Team hinterfragt sich ständig: Wäre hier und da noch eine nachhaltigere Alternative möglich? »Wir können über jedes unserer Produkte Auskunft geben, wo es herkommt. Alles, was wir servieren, stellen wir selber her, auch Brot, Butter, alle Wurstsorten, Pralinen – nur den Käse nicht.«
Ob spacig-futuristisch wie im Good Bank oder ursprünglich gehalten: Die Rückbesinnung zur Natur nicht nur auf den Teller zu bringen, sondern sie sichtbar zu machen, ist definitiv ein Trend.