Grüner wird’s nicht? Doch!
Was unsere Branche dem Klimawandel entgegensetzt
von Michael EichhammerWir schreiben das Jahr 2119. Beim Hotelbau kommen Baustoffe wie gefiltertes Plastik aus dem Meer und recycelte Abfälle zum Einsatz. An der Fassade wachsen imposante Nutzgärten zur Selbstversorgung vertikal in die Höhe. Am Nachmittag gibt es Seetang-Kuchen und zum Dinner im Labor gezüchtetes Fleisch und Proteine aus der betriebseigenen Insektenfarm. Diese Vision entstammt keinem Science-Fiction-Film, sondern dem Zukunftsreport der Hilton Hotelgruppe. »Die Welt wird sich von einer Wegwerfgesellschaft zu einem Modell bewegen, das Ressourceneffizienz und zirkuläres Denken gewährleistet«, orakelt Daniella Foster, Senior Director Corporate Responsibility bei den Hilton Hotels. »Das globale Bewusstsein für Umweltthemen bedeutet, dass nur Marken erfolgreich sein werden, die hier von Grund auf positiv agieren«, lautet ihre Prognose.
Unter kritischer Beobachtung
Diese Vision ist zwar noch Zukunftsmusik, doch auch in der Gegenwart spielt das Schlagwort Nachhaltigkeit eine ungeahnte Rolle. In Zeiten von
Greta Thunberg, Fridays for Future, Flugscham, Overtourism-Vorwürfen und Klimapaket stehen auch Tourismus, Hotellerie und Gastronomie hinsichtlich ihres CO2-Fußabdrucks unter kritischer Beobachtung von Kunden. »Derzeit legen 42 Prozent der Bevölkerung Wert darauf, dass ihr Urlaub möglichst ökologisch verträglich und ressourcenschonend gestaltet ist«, so die Ergebnisse der Reiseanalyse 2019 der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen.
Fünf Millionen Tonnen CO2-Emissionen verursachen die Hotels in Deutschland jährlich. Die Sensibilität der Bevölkerung hinsichtlich der eigenen Klimasünden und der kritische Blick auf das grüne Verantwortungsbewusstsein von Unternehmen wächst stetig. Ob dies immer begründet ist oder teils in Hysterie abzudriften droht, mag fraglich sein, doch ernstgenommen werden sollte diese Agenda. Denn die Antwort auf die Frage »Was habe ich vom Umdenken?« könnte für Betreiber überraschend sein. Viele Unternehmer fürchten die Mehrkosten durch eine gesteigerte Rücksicht auf die Umwelt. Doch kann genau das Gegenteil der Fall sein. Wird Nachhaltigkeit auf die richtige Weise betrieben, gehen Ökonomie und Ökologie Hand in Hand. Denn in den meisten Fällen gilt: Wer Ressourcen schont, schont auch den Geldbeutel. Wer CO2-Emissionen reduziert, reduziert auch seine Kosten. Zumindest langfristig.
Das Unternehmen blueContec GmbH berät Hotels, Hotelketten und touristische Veranstalter dabei, Energiekosten zu sparen und Nachhaltigkeitsstrategien aufzubauen. »15 Prozent der Energiekosten können eingespart werden mit Investitionen, die sich binnen eines Jahres amortisieren, fünf Prozent erfordern gar keine Investition«, sagt Geschäftsführer Andreas Koch. »Insgesamt sind 30 Prozent Einsparungen möglich, wobei es länger dauern kann, bis sich diese amortisieren.« Sparen will natürlich jeder. Und billiger werden Wasser und Strom in absehbarer Zeit wohl nicht. »Deshalb ist die Nachfrage nach unserer Beratung gerade sehr hoch«, plaudert Koch aus dem Nähkästchen. »Alle reden davon, dass wir Energie sparen müssen, aber die Zukunft ist: Wir müssen zirkulär denken«, ist er überzeugt. »Will heißen: dass wir genau so viel oder mehr Energie produzieren, als wir verbrauchen.« Als Beispiel nennt er bereits realisierbare Ideen, wie das Grauwasser mit Bioabfällen zu mischen und somit Biogas zu erzeugen.
Grüne Tagungen
Hotels, deren Klientel sich auch aus Geschäftsreisenden rekrutiert oder die Tagungen anbieten, gehören zu denen, die das Thema Nachhaltigkeit besonders ernst nehmen müssen. Denn Konzerne, die Nachhaltigkeit zu einem Teil ihrer Unternehmenskultur gemacht haben, stellen besonders hohe Anforderungen an die Klimabilanz der Hotels, die sie buchen. Insbesondere, wenn sie ihre eigene Klimabilanz dokumentieren. Der Trend bei Tagungen und anderen Veranstaltungen geht zum »Green Event« oder »Green Meeting«. Von der Anreise per Car-Sharing oder Veranstaltungsticket der Deutschen Bahn über Ökostrom und regionale Speisen bis hin zur energiesparenden Bühnentechnik ist vieles möglich. Guter Wille wird hier belohnt: Der schonende Umgang mit Energie und Tagungsmaterialien trägt sowohl zur Image-Bildung als auch zur Kostenreduktion bei.
Doch auch Privatreisende schauen immer genauer hin, wie ein Hotel in Sachen Umweltverantwortlichkeit agiert. Das bedeutet im Umkehrschluss allerdings auch: Ein Betrieb, der Ökologie, Ökonomie und Soziales in einem harmonischen Dreiklang vereint, kann sein grünes Engagement nach außen kommunizieren. Frei nach dem Motto »Tue Gutes und rede darüber« sollte dies auf allen Kanälen beworben werden, von gedruckten Selbstbeschreibungen über Twitter, Facebook, Instagram bis zur eigenen Webseite.
Der Siegel-Dschungel
Eine Vielzahl an grünen Gütesiegeln und Öko-Zertifikaten soll dem Hotelier bereits jetzt helfen, seine Nachhaltigkeitsstrategie zur Schau zu stellen. Mittlerweile sieht man den Wald vor lauter Zertifikatsbäumen nicht mehr. Umso wichtiger zu wissen, welche Zertifikate ein Kunde als authentischen Beweis ökologischen Strebens empfindet. Und welche Maßnahmen dagegen unter dem Verdacht des Greenwashings stehen – dem Vorwurf, dass die vermeintliche Umweltfreundlichkeit nur eine erkaufte Image-Kampagne darstellt.
Zu den anerkannten Siegeln, die über jeden Zweifel erhaben sind, gehört neben dem EU-Umwelt-Audit EMAS (Eco-Management and Audit Scheme) das GreenSign-Programm. Teilnehmende Hotels erhalten ein Level. Dieses reicht von 1 bis 5 und bildet ab, wie gut das Unternehmen bestimmte Nachhaltigkeitskriterien erfüllt (u.a. hinsichtlich Energie, Wasser und Abfall, Einkauf, Verkehr, Qualitätsmanagement, nachhaltige Entwicklung, soziale und wirtschaftliche Verantwortung). Die Angaben
werden von Experten von InfraCert, dem Institut für nachhaltige Entwicklung in der Hotellerie, vor Ort überprüft. Ziel ist nicht nur, den Status quo zu dokumentieren, sondern das nächste Level zu erreichen. Mit einem Argument erreicht man selbst Skeptiker: »Ressourcen schonen heißt Geld sparen«, findet Armin Wolff, Account Manager bei InfraCert. »Jeder Hotelier, der wirtschaftlich arbeitet, arbeitet also auch nachhaltig.«
Wasser marsch? Besser nicht!
Mit moderner Wärmedämmung und Gebäudetechnik sind Energie-Einsparungen von 30 bis 40 Prozent im Vergleich zu veralteter Anlagentechnik möglich. Beispielsweise durch die Optimierung von Schaltzeiten technischer Anlagen, Fernwärme, Wärmerückgewinnung oder die Umstellung auf LED-Beleuchtung. Experten haben errechnet, dass sich die Kosten für das Ersetzen von Halogen- und Glühlampen durch LEDs bereits nach unter einem Jahr amortisieren können. Wer Lichtschalter durch Bewegungsmelder ersetzt, ist nicht mehr darauf angewiesen, dass Gäste oder Mitarbeiter selbst daran denken, verantwortungsbewusst mit der Beleuchtung umzugehen. Ein Blockheizkraftwerk macht ein Hotel unabhängiger: Etwa 45 Prozent des benötigten Stroms kann ein Betrieb so selbst erzeugen. Egal ob Heizung oder Kühlung, Küche oder Reinigung – moderne Technik ist in der Regel energieeffizienter.
Ressourcen schonen heißt auch Geld sparen
66 Prozent der Gäste von Hotels erwarten, dass deren Nachhaltigkeitsstrategien sich nicht auf ihren Komfort auswirken – das erklären die Gebäudetechnik-Fachleute von Engie, die unter anderem Lindner Hotels energieeffizienter machen. Eine Herausforderung, insbesondere bei Themen wie dem Wasserverbrauch. Denn diesen kann man kaum reduzieren, ohne gleichzeitig das Komfortempfinden der Gäste zu schmälern – sowohl im Badezimmer als auch im Pool- und Spa-Bereich. Für die Dusche im Gastzimmer empfiehlt sich ein Umrüsten auf wassersparende Duschköpfe, welche den Wasserdruck nicht beeinträchtigen, sondern lediglich die Dicke des Wasserstrahls. Denn auf diese Weise merkt der Gast keinen Unterschied. Der Gastgeber schon: Der Wasserverbrauch kann von rund fünfzehn auf sieben Liter pro Minute reduziert werden. Auch Wasserspareinsätze in Armaturen und Spartasten an Toiletten fördern eine nachhaltige Wassernutzung. Innovationen wie eine WC-Spülung mit Regenwasser helfen ebenfalls, den Wasserverbrach zu senken, ohne den Komfort zu beeinträchtigen.
Kleine Details ergeben ein Gesamtbild
Ideen für Nachhaltigkeit in Hotellerie und Gastronomie gibt es viele. Vom Baumaterial und Papier aus nachhaltiger Waldbewirtschaftung über Bettwäsche und Handtücher aus Naturtextilien bis zum Verzicht auf Plastikstrohhalme oder die eigene Streuobstwiese, aus deren Erträgen die Mitarbeiter die hoteleigene Marmelade kochen. Im Trend: regionale Produkte. Denn die kurzen Transportwege hinterlassen weniger CO2-Fußabdrücke als der Import exotischer Waren vom anderen Ende der Welt. Zudem wissen Gäste das Lokalkolorit regionaler Produkte zu schätzen. Und die regionalen Erzeuger wiederum werden die Unterstützung zu schätzen wissen. Saisonale Produkte senken die CO2-Emissionen für Kühlung und Lagerung. Bei überregionalen Produkten kann man Nachhaltigkeit leben, indem man auf Biozertifizierung und Fair Trade achtet. Grünes Bewusstsein kann sich auch auf dem Dach des Unternehmens befinden – ob Bepflanzung, Bienenzucht für den eigenen Honig oder eine Photovoltaikanlage. Ein starkes optisches Signal in Sachen Nachhaltigkeit für die Gäste ist ein Vertikalgarten an der Fassade.
Das Jüngste Gericht
»Das Thema Nachhaltigkeit wurde in der Vergangenheit von der Hotellerie und Gastronomie stiefmütterlich behandelt, doch seit kurzem macht sich auch diese Branche auf den Weg«, erklärt Torsten von Borstel, Geschäftsführer von United Against Waste. Die Initiative arbeitet mit Betrieben der Außer-Haus-Verpflegung zusammen, um Lebensmittelverschwendung zu vermeiden. Die Analysen von United Against Waste ergaben, dass der größte Anteil der Lebensmittelabfälle mit 60 Prozent aus der Überproduktion entsteht. 20 bis 40 Prozent macht der Tellerrücklauf des Gastes aus, 10 bis 30 Prozent sind Küchenabfälle und etwa fünf Prozent entstehen im Lager. Dies zu vermeiden, ist nicht nur eine Gewissensfrage. Torsten von Borstel hat ein weiteres Argument: »Wenn ich den Leuten sage: ›Du rettest damit die Welt‹, sagen die skeptisch ›aha‹. Man muss auch erklären: ›Du sparst damit Geld.‹«
Zero-Waste ist keine Jeansgröße
»Bestimmte Produkte gibt es gewiss auch verpackungsfrei, andere in Mehrwegverpackungen. Manche sind vielleicht grundsätzlich verzichtbar«, rät der WWF zum Thema Plastikvermeidung in der Hotellerie. Um die Wirkung der eigenen Maßnahmen feststellen zu können, müssen die anfallenden Mengen natürlich dokumentiert werden. Dazu ist auch das Engagement der Mitarbeiter gefragt, Abfälle und Wertstoffe korrekt zu trennen. Bei Maritim beispielsweise hat man ein neues Abfallsystem eingeführt, bei dem sechs verschiedene Müllsorten getrennt werden. Rund 4.000 Tonnen Abfall fallen bei Maritim pro Jahr an. Diese werden laut eigenen Angaben fast vollständig in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt.
Glaubt man entsprechenden Studien, sind übrigens 70 Prozent der deutschen Hotelgäste bereit, einen Aufpreis für ein nachhaltig wirtschaftendes Hotel zu bezahlen. Und sie können selbst dazu beitragen. Vom vorausschauenden Beladen des Büfett-Tellers bis zur Zimmerbeleuchtung. Auch kann man dem Gast überlassen, wie oft das Zimmer gereinigt und die Bettwäsche gewechselt werden soll. Wer dem Gast erklärt, dass er dadurch hilft, Wasser, Energie und Reinigungsmittel zu sparen, motiviert ihn, zeigt sein grünes Bewusstsein und spart auch noch Material- und Personalkosten. Nicht zu vergessen der Klassiker der Nachhaltigkeit: das Handtuch, das nicht am Boden liegt, um zu signalisieren, dass es erneut benutzt wird. Einen Schritt weiter gehen beispielsweise das Anna Hotel und die Schwabinger Wahrheit in München. In diesen Geisel Privathotels werden nicht nur die Mitarbeiter sensibilisiert, weniger Wasser zu verbrauchen, sondern auch die Gäste: Auf den Amenities im Bad steht »Stop the water while using me«.
Die Sterne stehen günstig für Betriebe, die Nachhaltigkeit ernst nehmen. Im wahrsten Wortsinn: Wenn in Deutschland am 1. Januar 2020 der neue Kriterienkatalog zur Hotelklassifizierung greift, spielen Nachhaltigkeitsaspekte eine neue wichtige Rolle, bestätigt Markus Luthe, Geschäftsführer der DEHOGA Deutsche Hotelklassifizierung GmbH. Der neue Katalog ermutigt Hotelbetreiber unter anderem dazu, den Gästen ein sogenanntes »Opt-out« bei der Zimmerreinigung zu ermöglichen, Plastikverpackungen im Badezimmer zu vermeiden oder Ladestationen für Elektrofahrzeuge bereit zu stellen. Schöne neue Welt? Nur mit einem sollten wir uns wirklich noch Zeit lassen: Der Seetang-Kuchen kann warten …
»Das Bewusstsein für umweltbewusstes Reisen nimmt zu«
Nachgefragt: Andreas von Reitzenstein
Andreas von Reitzenstein ist COO der inhabergeführten Hotelgruppe H-Hotels.com. Im Gespräch mit HOGAPAGE spricht er über die Auswirkungen des Klimawandel-Hypes auf die Hotelbranche.
Aktuell nimmt das Thema Umweltbewusstsein teils radikale Züge an. Wer kein schlechtes Gewissen beim Reisen hat, dem versuchen andere eines einzureden. Sind Flugscham, Kritik an Kreuzfahrtschiffen, an Autoreisen etc. eine Bedrohung für Tourismus und Hotellerie?
Aktuell sehen wir keine gravierenden Risiken für den Tourismus, denn die weltweite Mobilität wächst. Gleichzeitig nimmt aber auch das Bewusstsein für umweltbewusstes Reisen zu. Das Reiseverhalten an sich wird sich daher zunehmend ändern, und die Herausforderung besteht darin, sich mit passenden Konzepten an diese neuen Gegebenheiten anzupassen.
Welche Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit kann der Gast im Hotel oder Restaurant selbst ergreifen? Ein Klassiker ist ja das Handtuch im Hotelbadezimmer, was der Gast noch einmal benutzt.
Welche weiteren Optionen sind denkbar?
Wenn unsere Gäste bei H-Hotels.com auf die Zimmerreinigung verzichten, erhalten sie einen Gutschein über 5 Euro, der für Speisen und Getränke im Hotelrestaurant eingelöst werden kann. Dass sie keine Zimmerreinigung wünschen, signalisieren die Gäste durch einen Türanhänger.
Unseren Tagungsgästen bieten wir bereits in Kooperation mit ClimatePartner an, ihre Veranstaltungen klimaneutral durchzuführen. Die entstehenden CO2-Emissionen weisen wir für jeden Kunden aus und gleichen diese über die Unterstützung eines regional anerkannten Klimaschutzprojektes aus. Zudem werden unsere Gäste in Kürze auch die Möglichkeit haben, direkt während der Buchung über unsere Website h-hotels.com die CO2-Emissionen für ihren Aufenthalt zu berechnen. Diese können durch einen geringen Aufpreis ausgeglichen werden und leisten dadurch einen Beitrag zu klimaneutralem Reisen.