Der Ums-Eck-Denker
Mit dem Strom zu schwimmen, ist einfach. Ricky Saward war jedoch schon immer jemand, der es eher extravagant mag. Kochbücher besitzt er nicht, Social Media lässt er links liegen. Inspiration für seine Küche holt er sich lieber aus seiner Umgebung. »Manchmal handle ich wirklich blauäugig und riskant«, gesteht der 33-Jährige. Dafür gibt es nicht nur ein Beispiel: 2018 übernahm er als Küchenchef das Seven Swans, das sich voll und ganz der vegetarischen Kochkunst verschrieben hatte. Erst mal nichts Ungewöhnliches, könnte man meinen. »Wäre da nicht der Umstand gewesen, dass ich mit Gemüseküche rein gar nichts anzufangen wusste. Geschweige denn, dass ich mich zuvor jemals intensiv mit Regionalität und Nachhaltigkeit auseinandergesetzt hätte«, erzählt der ambitionierte Spitzenkoch, der es sich damals nie hätte erträumen lassen, ohne Butter zu kochen oder beim Dessert auf Sahne zu verzichten. »Man muss sich in die Materie hineinbuddeln – manche verzweifeln sicher, ich würde heute nie wieder anders kochen.«
Aber damit nicht genug: Anfang 2019 handelte er mit dem Investor des Restaurants einen Deal aus. »Wir wollten die restlichen acht bis neun Monate des Jahres vegan kochen, ohne es jedoch den Gästen kundzutun. Uns interessierte, ob sie es überhaupt bemerken«, erzählt Saward. Die Rechnung ging auf: Dem Team des Seven Swans wurde die Bude sprichwörtlich eingerannt, ohne dass jemand tatsächlich etwas vom neuen Konzept ahnte. »Hätten wir es publik gemacht, wären die Gäste abgeschreckt worden«, ist sich Saward sicher. Erst kurz vor Veröffentlichung des neuen Guide Michelin 2020 ging Saward mit seiner Strategie an die Öffentlichkeit.
Mittlerweile ist Saward nicht nur Küchenchef, sondern auch Miteigentümer und Geschäftsführer des einzigen veganen Sternerestaurants Deutschlands, denn der ehemalige Investor möchte sich schrittweise aus dem Restaurant zurückziehen. Sawards Erfolgsrezept? Sich selbst immer unter Druck zu setzen. »Mit 18 nahm ich mir als Jungkoch vor, zum 30. Geburtstag kritisch zu reflektieren, ob mir das, was ich mache, noch Freude bereitet, was ich bis dahin erreicht habe, und ob ich darauf stolz sein kann – wäre ich nicht zufrieden gewesen, hätte ich die Reißleine gezogen«, erinnert sich der gebürtige Weseker, der noch vor seinem 30. den ersten Stern erkochte. Dabei war er bis dato sogar stets Gegner der Sterneküche gewesen, mied Arbeitsstätten, an denen danach gestrebt wurde. »Für mich sagt ein Stern und die damit ausgezeichnete Küche nicht viel darüber aus, wie gut man kocht, denn ich würde behaupten, seit Jahren gleich zu kochen. Viel wichtiger für mich ist die Einstellung oder die Philosophie eines Restaurants. Dinge, die bei mir mit den Jahren gradlinig und somit zu einem roten Faden wurden.«
Ricky Saward ist überzeugt: »Die Sternegastronomie wird sich im Wandel der Generationen ändern – keiner, der sich heute bewusst ernährt, möchte nämlich noch länger Gänsestopfleber oder Rote-Liste-Hummer serviert bekommen.« Ebenso ist Saward der Meinung, als Koch müsse man realistisch sein, wenn man etwas Neues probiert. »Man geht immer mit einem gewissen Risiko an den Start, wenn man was Eigenes aufzieht.« Warum so mancher Koch, der sein Handwerk bei einem namhaften Patron erlernt hat, sich von diesem trennt, um dann genau diese Handschrift abzukupfern, kann der smarte Koch nicht nachvollziehen. »Natürlich kann das Kochen nicht neu erfunden werden, aber ich will doch trotzdem was Neues schaffen, was verändern oder verbessern. Ich will nicht einfach nur meinen Lehrmeister kopieren. Ich gehe lieber den komplizierten Weg ums Eck. So schaffe ich etwas, womit ich zufrieden bin, zeige anderen neue Möglichkeiten und werde vielleicht selbst zum Vorbild.«
Klar, wer in der Gastronomie nichts wagt, wird nichts gewinnen. Unsere Branche gleicht einem Pokerspiel, das immer wieder durch tollkühne Gastro-Helden vorangetrieben und weiterentwickelt wird. Wir sagen »Weiter so« und freuen uns auf das, was da noch kommen mag!