Das nächste Jahr wird anders
Neue Lösungsansätze für die festliche Zeit
von Gabriele GugetzerWann gab es das schon!« sagt Kemal Üres, Unternehmercoach, Eventgastronom und Betreiber des Daily-You-Caterings. »Ein solches Zeitfenster für Innovationen, das hätte man sich doch nie vorstellen können.« Schön für ihn, dass er das so sieht, wird jetzt der ein oder andere denken. Die Krise als Chance zu begreifen muss man sich leisten können. Üres versteht solche Einwände, aber: »Normalerweise laufen Innovationen neben dem Tagesgeschäft, und das ist einfach sehr schwierig. Wir haben jetzt die größten Investitionen unserer Firmengeschichte getätigt, vielen Ängsten zum Trotz.«
Der Zweisterner Tony Hohlfeld gibt ihm Recht. Das Wunderkind im deutschen Sternebusiness betreibt mit dem winzigen »Jante« in Hannover eine Location in einer einstigen Trinkhalle; mehr als 30 Leute gehen nicht rein und dann muss schon an der Bar eingedeckt werden. Er hat die Corona-Zeit für den Umbau seines Liliput-Gastraums genutzt.
Diese Zeit spülte Themen hoch, denen man sich stellen muss. Aber die Gastronomie ist lösungsorientiert und hat neue Ansätze längst in der Pipeline.
Thema 1: Der Service braucht Aufwertung
Kopfschüttelnd berichtet Tony Hohlfeld im aktuellen Interview, dass die Berufsschule, bei der er die für seine komplexen Rezepturen entsprechend geschulten Servicekräfte findet, die Klassenanzahl wegen Corona von elf auf vier reduziert hat. »Wie soll das mittelfristig gehen?« Der Sorge kann Kemal Üres nur beipflichten. Er führt mit dem La Paz ein Hamburger Urgestein, gelegen auf der perfekten Schnittstelle zwischen trendigem Schanzenviertel, studentischem Eimsbüttel, edlem Eppendorf. Am frühen Abend, wenn seine Tapas-Location öffnet, beobachtet er gerne das Großstadtgewusel und die vielen jungen Menschen, die aus der U-Bahn quellen. »Da bleibt keiner stehen und fragt nach einem Job bei uns.« Dabei gehen im La Paz über 1.000 Tapas am Abend weg, die Stimmung ist ausgelassen, gastfreundlich, für junge Leute eigentlich ein perfektes Arbeitsumfeld. Eigentlich.
Aber Service ist nicht sexy.
Hohlfeld hat kein Problem, Köche zu bekommen. Welcher Jungspund will nicht in diesem erstaunlich beruhigend wirkenden Umfeld ultramodern kochen, wo Redzepi und Frantzén über die Schulter schauen, Gäste oft aus dem Ausland kommen, Regionalität gesetzt ist, geschmackliche und handwerkliche Komplexität auch ... Gute Servicekräfte zu bekommen, das ist schwierig. Aber wichtig. Hohlfeld rechnet vor: »Bei unserem 7-Gänge-Menü ist der Service pro Gast pro Abend etwa 40 Mal am Tisch.« Zwei Ideen sollen helfen. Das Nachschenken des Wassers ist abgeschafft und es wird überlegt, nach skandinavischem Vorbild Besteckkästen in die Tische einzubauen, damit sich die Gäste selbst bedienen und eindecken, was und wann sie wollen. »Die Arbeit am Gast wird immer wichtiger. Wenn das gelingt, wissen Gäste es sehr zu schätzen und erlauben auch Fehler,« sagt Kemal Üres.
Thema 2: Die gestiegenen Preise
Im August schrieb Kemal Üres über mehrere Wochen Stammkunden an, die er mit dem Cateringunternehmen mittags beliefert. Preiserhöhungen stünden an und diese seien als weltweite Entwicklung zu verstehen. »In Deutschland herrscht noch immer die Meinung, gut essen zum günstigen Preis sei möglich. Aber wir können unsere Vor-Corona-Preise nicht mehr halten.« Das Daily You beliefert 45 Kitas und zehn Großfirmen. Lebensmittelkosten sind da nur ein Thema, Spritpreiserhöhungen und die Mindestlohnanhebung ab 2022 sind weitere Preisdruck-Aspekte. »Lieferanten können höhere Preise an die Restaurants weitergeben, aber in der GV geht das nur eingeschränkt.« Deshalb ging er informationstechnisch in die Vollen und setzt auf Transparenz.
Lukas Böckmann, Director of Operations im Ritz-Carlton Wolfsburg, hatte das Problem weniger. »Natürlich können wir die stark gestiegenen Preise nicht kompensieren und müssen diese zum Teil auch an unsere Gäste weitergeben. Aber wenn die Qualität und die gesamte Erfahrung im Restaurant stimmt, zahlen Gäste auch gerne den angemessenen Preis.«
Im Jante beläuft sich die Preissteigerung auf etwa 7 Prozent. Klingt nicht viel für einen Zweisterner, »aber wir sind nicht in Berlin oder Hamburg.« Sein festes Menü, bei dem alle vier Wochen 3 bis 4 Gänge ausgetauscht werden, bietet er unter der Woche für 135 Euro an, Hummer oder Kaviar kommen on top. Für Hannover ist das schon oberste Preisliga. »Allein die 100-Euro-Marke zu überschreiten, ging eigentlich erst, als der zweite Stern da war.«
Thema 3: Die Treue, von Produzenten und Stammgästen
Nicht nur die Gastronomie wurde gebeutelt. Tony Hohlfeld weiß von Zulieferern, denen drei Viertel der LKW-Fahrer weggebrochen sind. Dass Produzenten ihm Produkte bringen (aktuell ein lokal angebautes Zitronengras), darauf sind nicht nur Sterner wie er angewiesen. Gerhard Satran von der Stiftsschmiede am Ossiacher See bekräftigt die Bedeutung eines guten Produzentennetzes, das in den schweren Zeiten die Nöte der Gastronomie sah und verstand. »Wir kennen etwa 90 Prozent unserer Produzenten persönlich, diese Nähe ist sehr wichtig.« Stammgäste sind für Üres nicht nur wichtig. Sie sind »ein Indiz, ob man den Job gut macht.« Auch deshalb war die Modernisierung des La Paz, eines ehemaligen Studentenladens, nicht einfach. »Ich wollte die Seele des Restaurants belassen, aber es in die aktuelle Zeit führen.«
Thema 4: Welche Trends kommen?
Natürlich sind Köche produktorientiert. Aber in den Gesprächen konnte man den Eindruck gewinnen, dass jetzt auch »softe« Themen an Präsenz gewinnen. »Nachhaltigkeit, richtig verstandener Umgang mit Lebensmitteln höchster Qualität, mit Erlebnis gefüllte Restaurantbesuche« zählt Gerhard Satran auf. Kemal Üres benennt das Sharing als wichtiges Thema im La Paz, das zu Spitzenzeiten zweimal am Abend ausgebucht ist und bis zu 300 Personen Platz bietet: »Geselligkeit wie in der Wohnküche.« Auch Hohlfeld freut sich, dass Sharing wiederkommt. »Durchaus aus praktischen Gründen. Meine Küche kann es einfach nicht leisten, für jeden Gast sein eigenes kleines Brot zu backen. Das Brot zum Auftakt wird am Tisch geteilt.«
Überdies setzt Kemal Üres auf eine Weinbar, in der nicht Chardonnays die Hauptrolle spielen, sondern die Scheurebe. »Deutschland ist beim Wein sehr im Kommen. Scheurebe ist bei uns Hauswein, abgezogen wird vom Fass in der Wand. Das sieht cool aus. Und geht geschmacklich in die Tiefe.«
»Regionalität, Umweltbewusstsein, Bezug zum Produkt« rattert Achim Hack vom Gut Steinbach, nicht unbedingt für ausschweifende Interviews bekannt, seine Top 3 herunter.
Im Ritz-Carlton hält Böckmann »Gastgeberqualitäten, die von Herzen kommen« nach wie vor als trendbestimmend, überdies ein »klares Konzept« – bei der Vielfalt der Restaurants im Ritz-Carlton selbst und in der Autostadt gleich gegenüber immens wichtig. Auch das Vertrauen in die Einhaltung der Hygienekonzepte sieht Böckmann weiterhin als wichtiges Thema an. In den Alpen freut sich Gerhard Satran, dass »Regionalität und Produktinnovation stärker wahrgenommen werden.«
Thema 5: Produkte und neue Ideen
Natürlich gleicht es ein bisschen dem Lesen im Kaffeesatz, das Ausmachen neuer Foodtrends. Dennoch: Satran sieht internationale Trends in Kombination mit heimischen Lebensmitteln. Bestes Beispiel: »Ceviche von der Seeforelle mit Kren und Buttermilch.« Achim Hack hat die Anzahl offener Weine auf der Karte angehoben und auf ein höheres Niveau gebracht. »Poke Bowls, dunkler Reis, Quinoa« zählt Kemal Üres die üblichen Verdächtigen der letzten Jahre auf, die in der Großstadt längst als so gesetzt gelten, dass man meinen könnte, es sei Zeit für Neues. Aber er ist überzeugt, dass diese Produkte und Zubereitungsarten noch eine ganze Weile Spielzeit haben. Ach so, und da wäre ja noch das Pastrami-Thema. Üres glaubt so sehr an das Trendpotential dieser Rinderbrust, dass er in Franchise-Ideen schwelgt.
Thema 6: Vorausplanung
Meist sei er eine Woche im Voraus ausgebucht, sagt Satran. Hohlfeld ist gleich mehrere Monate im Voraus ausgebucht, serviert allerdings auch nur abends. Auch im Gut Steinbach »hat sich das Buchungsverhalten der Gäste verändert,« berichtet Achim Hack: Es wird kurzfristig gebucht, wobei sich die Aufenthaltsdauer selbst nicht verändert, sie liegt bei durchschnittlich 3 ½ Tagen. Wenn man wie Lukas Böckmann nicht nur ein Restaurant, sondern gleich eine ganze Range zu verantworten hat, was passiert dann? Auch für das Ritz-Carlton war die Zeit schwer, aber »wir haben eine sehr weit gefächerte Klientel, vom Dreisterner Aqua bis zur Lobby Lounge für den Afternoon Tea oder den Drink auf der Terrasse. Wir gingen mit dem Restaurant Terra unter dem Motto ‚Terra geht raus’ auf die Terrasse vor dem Hotel, haben das Speisen- und Getränkeangebot am Außenpool stark erweitert und unser Frühstücksrestaurant renoviert.«