Heute haben sich diese einfach eingerichteten Orte zu gemütlichen Nachbarschaftsrestaurants entwickelt. Es gibt Hausmannskost auf hohem Niveau. Da wird Polenta nach traditioneller Methode und leicht verdaulich zubereitet, stundenlang gekocht im riesigen Messingtopf über offenem Feuer. Oft wird sie als Pizza serviert. Räucherwürste vom Bauern landen im Ganzen auf einem Holzbrettchen auf dem blankgescheuerten Tisch, einzige Ausgarnierung ist ein scharfes Messer zum Aufschneiden. Hausgemachte Teigwaren und Knödel sind gesetzt, das Wild erlegt der befreundete Jäger. Auch die Weinkarten können sich sehen lassen, da findet sich neben Standardchasselas Schickes wie Petite Arvine. Grotti stehen dekorativ an Wasserfällen oder in vergleichbar natürlicher Kühlung, aber auch im Vorort von Ascona.
Auszug aus der Speisekarte des Flamel
- Hartweizenpasta mit Tomatenmiso, gesalzenem Ricotta und Pinienkernen
- Strozzapreti im Krustentiersud mit Muscheln und Tessiner Speck
- Alpenforelle mit Forellenkaviar, eingemachter Kiwi, grüner Currysauce
- Risotto mit Currykraut, Kürbis, Scampi, Bitterschokolade
- Trombetti d’Albenga (Trompetenzucchini) mit Alpenbitter und Rote-Bete-Kimchi
- Rebhuhn mit Kakifrucht, Radicchio, Pastinake
- Brioche mit Kürbis-Vanille-Füllung
Selten verlaufen sich Touristen hierher, was wirklich schade ist, denn diese Restaurants funktionieren wie ein herzerwärmender englischer Landpub oder wie früher jede bayerische Gastwirtschaft. Stammtische wurden nie abgeschafft, Familien mit Kindern kommen, Freundinnen, Pärchen. Die Preise sind für Schweizer Verhältnisse lachhaft, die Qualität des Essens bestens, Trends müssen draußen bleiben. Tipp: Warme Kleidung ist jenseits des Sommers ein Muss, es sei denn, man sitzt am Polentafeuer. Von wegen Pampe ...
Risotto: Knackig oder cremig?
Wie eine gute Polenta steht auf den Speisekarten der Region häufig ein gutes Risotto all’onda. Kein Wunder, sollte man meinen, bei der Nähe zu Italien. Doch meist schmeckt’s hier nicht so knackig wie in Mailand, sondern eher cremig. Das könnte auch am Reis liegen. Natürlich ist die Po-Ebene nicht weit, wo seit einem halben Jahrtausend die Risottoreissorten Carnaroli, Arborio und Co. angebaut werden. Aber seit 1997 ist das Tessin nördlichstes Anbaugebiet für Reis auf der Welt und die angebaute Risottosorte Loto ein großer Erfolg.
GEGESSEN UND
GETRUNKEN WIRD EINFACH UND AUTHENTISCH: POLENTA AUS DEM KUPFERTOPF, WÜRSTE UND KÄSE AUS DER UMGEBUNG, HIESIGE WEINE AUS DEM TONKRUG.
Am Anfang stand allerdings eine wirtschaftliche Schieflage. Der Landschaftsbetrieb Terreni alla Maggia, im Maggia-Delta vor den Stadttoren von Ascona angesiedelt, lief nicht mehr rund. Sein Direktor suchte händeringend nach Alternativen zu Milch, Fleisch und Futterpflanzen. Reisanbau hatten die Bauern in der Region zwar schon lange betrieben, aber nur für den Eigenanbau, denn so richtig wollte das nicht gelingen. Dabei hatte man sich doch den Reisanbau in der Po-Ebene genau angeschaut! Genau da lag der Fehler. Denn in der Po-Ebene wird Reis nass angebaut; dafür eignet sich zwar auch ganz Asien, aber eben nicht das Maggia-Delta.
Man probierte spaßeshalber den Trockenanbau und es klappte. Das spart nicht nur Ressourcen, sondern beschert dem landwirtschaftlichen Unternehmen, dem auch eine Cantina angeschlossen ist, ein echtes In-Produkt mit Seltenheitswert, das sich entsprechend einpreisen lässt. „Wer den Reis mal probiert hat“, so der landwirtschaftliche Leiter Markus Giger mit einem verlegenen Grinsen, „will keinen anderen mehr.“ Die Autorin dieses Artikels kann das übrigens bestätigen ...
Loto-Reis ist langkörnig und verkocht im Risotto selbstredend standfest, aber nicht so bissig wie beispielsweise Arborio. Direkt neben dem Anbaugebiet liegt übrigens eines von den Luxushotels, die die Schweizer so gut können. Im Castello del Sole (Zimmerpreise ab ca. 800 Euro) kann man bei der Ernte in der Cantina della Maggia helfen und im hoteleigenen Shop den Loto-Reis von nebenan kaufen, der natürlich auch im Restaurant verarbeitet wird.