Mutmacher-Tag für die neue Gastro-Realität
„Veranstaltungen wie diese tun wirklich gut in der aktuellen Zeit“, fasste Leaders Club-Präsident Michael Kuriat die Emotionen der gut 130 Teilnehmer des 3. Online Exchange nach einem rund vierstündigen Power-Vormittag zusammen. Zuvor hatte Prof. Christopher Muller dem Publikum einen eindrucksvollen Blick auf die Lage der Gastronomie in den USA und damit in die Zukunft der Branche auch hierzulande ermöglicht. „Die Veränderung, ja, die Disruption all dessen, was wir kennen, wird durch die Pandemie beschleunigt. Sie konfrontiert uns mit einer neuen Realität – schnell, aber manchmal auch kaum wahrnehmbar. Wir müssen deshalb neue Antworten auf die Frage finden, wie wir die Bedürfnisse unserer Gäste als Dienstleister in allen Kanälen befriedigen können!“, erklärte der Wissenschaftler und ermunterte die Zuhörer, die sich aus dem Wandel ergebenden Möglichkeiten mutig zu nutzen. „Es gibt kein Zurück mehr. Deshalb müssen wir unsere Angst vor Risiken in den Willen zur Innovation umwandeln!“
Risikovermeidung statt Risikomanagement
Eine zu große Angst vor Risiken attestierte Carsten Linnemann, Bundestagsabgeordneter der CDU, auch der deutschen Politik: „Wir haben uns viel zu lange auf Risikovermeidung konzentriert, statt das Risiko zu managen“, bedauerte der Wirtschaftsexperte im Panel mit den Leaders Club-Vorständen Kerstin Rapp-Schwan, Roland Koch und Erich Nagl und versprach, sich für mutigere Öffnungsstrategien einzusetzen. „Die Modellregionen zeigen, wie es funktionieren kann. Ich würde mir solche Versuche überall in Deutschland wünschen. Wir haben mittlerweile wirksame Werkzeuge wie Impfungen, Tests und digitale Kontaktnachverfolgung – es gibt aus meiner Sicht keinen Grund, im Sommer nicht auch die Innengastronomie wieder zu öffnen.“
Das hörten die Teilnehmer gerne, ebenso wie die Botschaft von Dr. Gerhard Scheuch. Der weltweit anerkannte Aerosolforscher sprach sich dafür aus, in der warmen Jahreszeit möglichst viele Aktivitäten nach draußen zu verlegen: „Dort ist das Risiko, sich mit SarsCoV2 zu infizieren, sehr, sehr gering.“ Und auch für Innenräume hat der Wissenschaftler konkrete Vorschläge, um sie sicherer zu machen: „Es ist hilfreich, die Personenzahl in einem Raum und die Aufenthaltsdauer zu begrenzen. An die Größe des Raumes angepasste Luftreiniger sind ebenfalls sehr sinnvoll, genauso regelmäßiges Lüften und Maskentragen. Plexiglaswände, wie sie vielfach zu Beginn der Pandemie angeschafft wurden, erweisen sich dagegen als kontraproduktiv.“ Scheuch kündigte an, sich bei den von ihm beratenen Entscheidern dafür einzusetzen, die Gastronomie mit diesen Maßnahmen als Ort für Zusammenkünfte zu empfehlen, denn: „Am gefährlichsten ist es zu Hause!“
Modellregionen beweisen, dass Öffnung funktioniert
Wie die Öffnung auch der gastronomischen Innenräume unter hohen Sicherheitsvorkehrungen in der Praxis aussieht und wie dankbar und kooperativ sich die Gäste verhalten, berichteten Gastgeber von der Insel Sylt, die seit Kurzem als Modellregion in Schleswig-Holstein wieder Besucher empfängt. Bereits vor dem Exchange reiste eine Delegation des Leaders Clubs dorthin, um sich persönlich ein Bild von der Modellregion und den Abläufen zu machen. „Vor dem Hintergrund des zu erwartenden Re-Openings von Gastronomie und Hotellerie in den nächsten Tagen und Wochen war es ein hochinteressanter Austausch mit den Kollegen vor Ort“, berichtete Frank Buchheister, Vorstandsvorsitzender des Leaders Clubs. „Wir konnten spannende Einblicke und Inspiration sammeln, von denen viele Mut für den Re-Start machen.“ Der Münchner Sternekoch Tohru Nakamura bestätigte als einer der Teilnehmer der Reise: „Die Öffnung ist ein Befreiungsschlag! Die Sylter Kollegen beweisen, dass wir es können. Es wird immer schwerer zu erklären, warum die Gastronomie nicht in ganz Deutschland wieder öffnen darf. Ich hoffe, dass sich der positive Spirit aus dem Norden bis in den Süden ausbreiten wird.“
Moritz Luft, Geschäftsführer Sylt Marketing, erläuterte beim Exchange, wie sich die Region bereits seit dem vergangenen November auf den ersehnten Re-Start vorbereitet hat. „Jeder Gast braucht einen tagesaktuellen Test. Wir verfügen inzwischen über eine Kapazität von 40.000 Tests am Tag, sichern die Kontaktnachverfolgung mit der Luca-App. Der Aufwand ist immens, aber alle machen toll mit!“
Tests für die Gäste werden fraglos Teil einer möglichen Öffnungsstrategie sein – damit sie der Branche in ausreichender Zahl und zu fairen Preisen zur Verfügung stehen, haben die drei prominenten Köche The Doc Ngo, Tim Raue und Tim Mälzer gerade erst ein neues Unternehmen gegründet: Mit ihrer Gastro Selbsttest GmbH, die The Doc Ngo beim Online Exchange vorstellte, wollen sie Lieferengpässen und Wucherpreisen vorbeugen. Was es bei anhaltender Schließung oder beim Re-Start nicht nur in puncto Hilfszahlungen und Arbeitsrecht, sondern auch bei dem Testen und Impfen zu beachten gilt, erklärten die Rechtsexperten Erich Nagl und Aigerim Rachimov von ETL Adhoga. Sie warnten unter anderem vor Repressalien gegenüber den Arbeitnehmern: „Eine Impfpflicht gibt es nicht, eine Testpflicht nur bei bestimmten, konkreten Anlässen. Tests für die Gäste anzubieten – möglicherweise in Zusammenarbeit mit einer benachbarten Apotheke – ist dagegen eine sehr gute Idee!“
Delivery gehört ein Teil der Zukunft
Nicht nur so lange die meisten Restaurants ihre Türen weiterhin geschlossen halten müssen, bleibt Delivery eines der aktuell spannendsten Geschäftsfelder, dem – da sind sich alle Experten einig – ein großer Teil der Zukunft gehört. Konzepte wie Beets&Roots, Burgerheart, L’Osteria und der Enchilada-Gruppe entsprechen dem nicht nur Pandemie-bedingt wachsenden Wunsch der Verbraucher nach Restaurantessen für zu Hause und haben während des Lockdowns professionelle Lieferangebote installiert. „Ich empfehle jedem eine Hybrid-Lösung: Die Zusammenarbeit mit den Bestell-Plattformen kann trotz hoher Provisionen gute Deckungsbeiträge erbringen“, betonte Beets&Roots-Gründer Max Kochen.
„Aber den Kontakt zum Kunden und die Kontrolle über das Produkt hat man nur, wenn man selbst liefert.“ Dazu müssten Gastronomieunternehmen auch zu Logistikern werden. „Erfolgreich ist nur, wer das Liefern zum Teil seiner DNA macht!“ Als Belohnung winkt ein deutlich höherer Durchschnittsbon als bei Plattform-Bestellungen, wie Sarah Jensen, Director Operational Excellence L’Osteria, berichtete: „Die Kunden honorieren es, wenn wir das Restauranterlebnis an ihre Haustür bringen.“
Beim Aufbau und der Organisation einer eigenen Lieferflotte helfen neue Technologien. Allerdings bleibt hier bislang noch viel Potenzial ungenutzt, um Prozesse zu vereinfachen und kostengünstiger zu gestalten – auch jenseits von Delivery. Zu diesem Ergebnis kommt auch die aktuelle Gastro-Digital-Studie der Hochschule Heilbronn und der Getränke-Plattform Kollex, der zufolge rund 12 Prozent der mehr als 1.000 teilnehmenden Unternehmen bislang keinerlei digitale Tools implementiert haben.
(Leaders Club/NZ)