Dr. Ursula Hudson
Foto: Dr. Ursula Hudson

Nachgefragt: Dr. Ursula Hudson Vorsitzende Slow Food Deutschland

Viele Menschen haben keine genaue Vorstellung von der Slow-Food-Philosophie. Wie würden Sie diese beschreiben?
Slow Food ist eine weltweite Organisation, in der sich Menschen zusammenfinden, für die die Themen Lebensmittel und Essen sehr zentral sind. Sie setzen sich auf unterschiedliche Weise gemeinsam für eine Veränderung unseres Lebensmittelsystems ein – hin zu mehr guten, sauberen und fairen Lebensmitteln. Das Ziel ist es, eine zukunftsfähige, nachhaltige und genussvolle ­Ernährung mit unserer Verantwortung für unsere Nachkommen und unseren Planeten zu verbinden.

Und es geht Ihnen nicht nur um das Essen.
Nein, es geht vielmehr auch um Menschen, um Landschaften, um Tiere, um Lebensmittelhandwerker, um Händler, um Gastronomen – um das gesamte Netzwerk eben, das dazu beiträgt, dass unsere Philosophie zum Leben erweckt wird. Uns interessiert aber beispielsweise genauso, wie sich ein Lebensmittel kulturell entwickelt hat. Unser Ansatz ist sehr gründlich – und das Thema Zeit steht ja schon programmatisch im Namen. Ich werde übrigens manchmal gefragt: Essen Sie besonders langsam? Nein! (lacht) Wir sind überzeugt, dass ein gutes Lebensmittel Zeit benötigt, um zu entstehen. Nehmen wir beispielsweise Brot: Lange Teigführung macht ein bekömmliches und geschmacklich attraktives Lebensmittel aus.

Müssen Lebensmittel, die den Slow-Food-Anforderungen entsprechen, besonders teuer sein?
Das muss nicht sein. Wer sich nach der Jahreszeit und der Region richtet, wer an Ganztierverwertung Interesse hat und nicht nur das Filet oder das Hüftsteak verwenden muss – wenn man also kochen kann, dann kostet es nicht zwangsläufig mehr. ­Außer etwas Zeit – und es erfordert eine Einkaufs- und Kochkompetenz. Dafür muss ich mich aber auch nicht auf die Entscheidungen anderer verlassen. Kaufe ich Convenience, entscheiden andere darüber, was da zusammenkommt – von der Produktion über den Geschmack bis hin zu den Zutaten und sonstigen Inhaltsstoffen.

Ochsenbäckchen
Es muss kein Steak sein! Ochsenbäckchen & Co.  – zubereitet von
Slow-Food-Experte Otto Vogelmann. Foto: Klinik Löwenstein

Einer Ihrer Grundsätze ist eine faire Bezahlung.
Natürlich, wenn wir vom Preis sprechen, muss der Erzeuger, der Bauer oder der Fischer, vom Verkauf seiner Produkte leben können. Wir leben in einer Zeit, wo das noch nicht in den Köpfen der Menschen drin ist – aber das gehört zur Gestaltung eines funktionsfähigen Miteinanders. Mir ist wichtig, dass der Ammersee-Fischer weiterfischt und dass er dies gerne tut. Er bringt mir nicht nur ein Lebensmittel, er trägt sein Kulturwissen weiter. Wenn er von seinem Fang nicht leben kann, wird es niemanden geben, der seine Nachfolge antreten will. Was dann? Diese Billig-Preismentalität macht einfach alles kaputt und bringt unser Kulturwissen zum Verschwinden. Es ist doch verrückt, dass bei vielen Menschen der Geldbeutel für einen Liter gutes Motoröl weiter aufgeht als bei einem Liter Speiseöl!

Die Billig-
Preismentalität zerstört unser
Kulturwissen!

Dr. Ursula Hudson

Wie bewerten Sie die Erfolgschancen, die Menschen in Deutschland mit Ihrer Philosophie zu überzeugen?
Ich bin optimistisch. Es gibt eine wachsende Zahl von Menschen – dazu gehören erfreulicherweise viele junge Leute –, die das Thema sehr ernst nehmen, weil sie die ökologischen Bedrohungen der Umwelt erkannt haben. Das Jahr 2050 wird als symbolischer Zeitpunkt gehandelt, zu dem das Eintreffen aller Kata­strophen, unser Klima betreffend, vorausgesagt wird. Wer heute 20 Jahre alt ist, steht dann mitten im Leben. Schon deshalb sind für die junge Generation Essen und Lebensmittelbeschaffung zu einem wichtigen Nachhaltigkeitsthema geworden.

Gerade Gemeinschaftsverpfleger klagen, dass sie die benötigten Warenmengen nicht in Slow-Food-Qualität beschaffen können.
Ich kenne viele Gemeinschaftsverpflegungsbetriebe, für die das kein Problem darstellt. Man muss sich dafür aber von der linearen Denkweise »Alles bleibt, wie es immer war« verabschieden. Wer davon ausgeht, dass seine Arbeitsabläufe und Speisepläne immer gleich bleiben müssen, der wird seine benötigten Mengen nicht beschaffen können. Wir werden z. B. auch in zehn Jahren Sundheimer Huhn nicht in einer Masse auf den Markt bringen können, dass es für eine große GV-Einrichtung ausreicht. Wer aber flexibler wird, Arbeitsabläufe anders gestaltet – so, dass es Unterschiedliches geben darf, wenn ein bestimmtes Produkt nicht mehr vorrätig ist –, dann geht das.

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Die drei wichtigsten Slow-Food-Prinzipien

  • GUT ...
    Wohlschmeckende Lebensmittel, die alle Sinne ansprechen und Teil der lokalen Kultur sind.
  • SAUBER ...
    Lebensmittel, die in Harmonie mit Natur und Umwelt ­erzeugt und ohne Zusatzstoffe verarbeitet sind.
  • FAIR ...
    Lebensmittel zu erschwinglichen Preisen und zu fairen Bedingungen für die Erzeuger.
Quelle: Slow-Food-Fibel

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