Die Rezepte der Politik
Ein Blick nach Berlin
von Wolfgang BubliesEs sitzen aktuell 736 Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Die mit Abstand größte Gruppe stellen (traditionsgemäß) Juristen, also Anwälte und Richter, die fast 15 Prozent und somit deutlich mehr als 100 der MdBs (Mitglieder des Bundestags) ausmachen. Es folgen Politikwissenschaftler, Lehrer und andere Beamte, Banker, Unternehmens- und Steuerberater. Der Querschnitt der Bevölkerung sieht anders aus. Und sucht man im Berliner Parlament nach Vertretern aus der Hotellerie oder Gastronomie, ist das Ergebnis richtig mau. Gerade mal eine Handvoll MdBs haben oder hatten etwas mit dieser Branche zu tun, ein paar mehr sind es, rechnet man alle jene dazu, die etwa während ihres Studiums mal gekellnert oder hinter einer Bar Getränke ausgeschenkt haben. Und das bei bundesweit im Gastgewerbe fast zwei Millionen abhängig Beschäftigten in rund 200.000 Betrieben. Einen Grund dafür kennt Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des DEHOGA Bundesverbandes: Es sei eine für einen Abgeordneten „vielfach kaum lösbare Aufgabe, dem Anspruch an ein politisches Amt gerecht zu werden und zugleich erfolgreich ein Familienunternehmen zu führen“.
Haben andere eine stärkere Lobby?
Da liegt der Verdacht nahe, dass die Gastronomie und ihre Interessen, anders als im ganz normalen Leben, im Bundestag kaum eine Rolle spielen. Ist diese ansonsten bedeutende Branche für die Politik in Berlin ein Stiefkind? Stimmt der Eindruck, dass andere, beispielsweise die Landwirtschaft, eine viel stärkere Lobby haben? „Das stimmt definitiv“, sagt etwa Ali Al-Dailami von den Linken. Als Sohn politisch Geflüchteter kann der deutsch-jemenitische Politiker aus Hessen (Wahlkreis Gießen) eine Ausbildung zum Restaurantfachmann vorweisen. Um seinen Berufszweig zu stärken, so der 41-jährige Al-Dailami, „bedarf es zunächst eines Wandels hin zu mehr Wertschätzung für die Branche und der Anerkennung ihrer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leistung“.Ganz so negativ sehen es die wenigen anderen MdBs aus dem Gastro-Sektor nicht, wenngleich auch Serap Güler, eine 42-jährige CDU-Abgeordnete aus Köln, die u. a. Hotelfachfrau gelernt hat, meint: „Da ist was Wahres dran.“ Lobbyarbeit sei nun mal Sache der einzelnen Branchen.
Verband: Vielfältige Aktivitäten und Erfolge
Für das Gastgewerbe setzt sich der DEHOGA-Verband ein, dessen Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges auf vielfältige Aktivitäten und Erfolge verweist (siehe anschließendes Interview). Der Dialog mit vielen Politikern sei sehr gut, man stoße auch auf Verständnis. „Aber am Ende müssen politische Mehrheiten für die Themen geschaffen werden, und das ist nicht selten eine große Herausforderung. Gewerkschaften und Verbraucherschutz-Organisatoren haben auch eine starke Lobby“, sagt Hartges.
Auch für den SPD-Mann Manuel Gava, der schon im elterlichen Eiscafé gearbeitet hat, sind Gastronomie und Hotellerie in der Politik kein Stiefkind. Das hätten, so das 32-jährige MdB aus Osnabrück in Niedersachsen, „allein beispiellose Corona-Hilfen gezeigt, die für den Bund ein großer Kraftakt waren“. Mit so vielen Arbeitsplätzen und einem so großen Umsatz ist das Gastro-Gewerbe ein sehr großer Wirtschaftsfaktor, betont Gavas Parteikollegin Josephine Ortleb. „Wir sind wirtschaftlich relevant. Das wissen alle, auch alle im Parlament.“ Allerdings: „Mehr Gastronomen und Hotelfachleute im Bundestag würden das Wissen auch noch etwas häufiger in die Öffentlichkeit tragen.“
„Vorzeige-Gastronomin“ im Bundestag
Josephine Ortleb ist in der Abgeordneten-Schar so etwas wie die „Vorzeige-Gastronomin“ – keine typische Berufspolitikerin. Die 31-Jährige absolvierte 2014 die Prüfung zur Fachwirtin im Gastgewerbe als Jahrgangsbeste und arbeitete mit ihren Eltern im familieneigenen Restaurant Tomate 2, bevor das politische Engagement für sie eine immer wichtigere Rolle spielte. Nun pendelt die junge Abgeordnete zwischen Berlin und ihrem Wahlkreis im Saarland. Doch noch immer, so kann man nachlesen, schlagen zwei Herzen in ihrer Brust: eines für die Politik und eines für die Gastro-Branche. „Wenn ich an die Gastronomie denke, merke ich, wie mein Herz aufgeht. Ich habe diesen Beruf gelernt und er hat mir wahnsinnig Spaß gemacht, weil er mit Menschen zu tun hat.“ Das prägt, man habe hier schließlich einen ganz anderen Blick auf die Arbeitsabläufe, Anforderungen und Probleme der Branche. Stichwort Probleme: Das Gastgewerbe steht vor vielen Herausforderungen, weiß Josephine Ortleb. „Noch immer sind die Umsatzzahlen insgesamt unter dem Niveau von 2019.“ Und erst recht gelte: „Am Ende des Monats trinken die Gäste im Restaurant zwei Gläser weniger oder wählen vielleicht nicht mehr das Wiener Schnitzel. Aus diesem Tal müssen wir wieder rauskommen.“ So sei es nötig, die aktuellen Krisen – „externe Krisen, keine hausgemachten“ – gut zu überstehen. „Dafür ist es wichtig“, so die Sozialdemokratin aus Saarbrücken, „dass wir Unternehmen politisch unterstützen, das heißt, finanzielle Entlastungen bieten. Das machen wir mit der Energiepreisbremse und vielfältigen Wirtschaftshilfen für kleine und mittlere Unternehmen.“ Die Rede sei von Hunderten Milliarden Euro, „von denen ein guter Teil auch in der Hotellerie und Gastronomie ankommt“.
Neue Fachkräfte- Strategie soll helfen
SPD-Kollege Gava sieht dies ähnlich und ergänzt: „Wir brauchen einfache und attraktive Bedingungen für ausländische Fach- und Arbeitskräfte sowie eine effektivere, schnellere Qualifizierung bei inländischen Beschäftigten.“ Das habe die Bundesregierung auf den Weg gebracht. Gava spricht damit eine von SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil vorgestellte Fachkräfte-Strategie an, die auch gezielt die Probleme des Personalmangels in der Gastronomie angehen soll. Neue Maßnahmen zur Aus- und Weiterbildung, aber auch die Verbesserung der Arbeitsqualität und der Work-Life-Balance finden Beachtung. „Zusätzlich muss etwa die Einhaltung des Mindestlohns noch deutlich stärker kontrolliert werden“, fordert SPD-Mann Manuel Gava.
Auf den Mindestlohn, der „gerade für diese Branche schon mal ein richtiger Schritt war“, verweist auch Serap Güler von der CDU. Und sie meint: „Vielleicht muss die Branche auch selbst über weitere Angebote für die Beschäftigten nachdenken, um attraktiver zu werden, z. B. durch die Bereitstellung von Dienstwagen oder einen besseren Freizeitausgleich.“ Die Branche werde nicht umhinkommen, sich zu wandeln, sagt schließlich Al-Dailami. „Vor allem belastende Arbeitszeiten und immer noch vergleichbar niedrige Löhne“ sieht der Linken-Politiker als Hauptgründe für den Mangel an Personal. Um den Wandel zu schaffen, muss auch die Politik weitere Maßnahmen ergreifen, welche die Branche wirtschaftlich mehr entlasten. „Einfach nur im Lokal die Preise erhöhen wird nicht funktionieren. Erst recht nicht, wenn Menschen mit Reallohnverlusten zu kämpfen haben.“
Zuversicht schadet nicht im neuen Jahr
Dass auch 2023 für das Gastgewerbe krisenbedingt ein schwieriges Jahr wird, steht für alle Befragten außer Frage. Getreu dem Motto „Zuversicht schadet nicht“ wird aber auch immer wieder versucht, vor allem der (hoffentlich) weitgehend überstandenen Corona-Krise auch Positives abzugewinnen. Die Wertschätzung für die Bereiche Kultur, Tourismus und Gastronomie sei – speziell auch im Bundestag – seit Corona gestiegen, sagt etwa Gava. „Viele Menschen haben gemerkt, wie sehr es ihnen fehlt, wenn Cafés, Theater oder Hotels geschlossen sind, und welchen Stellenwert diese Einrichtungen für soziale Kontakte und den gesellschaftlichen Zusammenhalt haben.“