Vietnam: Ein Land der Kontraste
Von pulsierenden Märkten und redseligen Einheimischen
von Gabriele GugetzerEine ältere Generation hierzulande assoziiert das Land noch mit dem Vietnamkrieg – vor Ort heißt er amerikanischer Krieg – und dem anschließenden Bruderkrieg. Aber Vietnamesen sind Überlebenskünstler, denn sie sind seit Tausenden von Jahren Spielball der Mächte. Hier lässt man die Vergangenheit hinter sich auf eine Weise, die Westler kaum nachvollziehen können. Der Krieg wird allenfalls im Street Style zitiert, in zerschlissenen Uniformhemden und mit einem auf cool getrimmten Flaggenmotiv. Die Bevölkerungszahl hat sich verdoppelt, die Lebenserwartung ist hoch, Hungersnöte sind längst Geschichte. Von oben relativ strikt geführt und vor dem klassischen Übel der Korruption nicht gefeit, kam das Land auf der anderen Seite gut durch die Pandemie und erholt sich die Wirtschaft schnell.
Fischgerichte und Fischsauce sind gesetzt, kein Wunder bei über 3.000 Kilometer Küstenlinie. Aus einer solchen Ausdehnung ergeben sich erstaunliche Entfernungen. Die Hauptstadt Hanoi im Norden liegt nur wenige Autostunden von der chinesischen Grenze entfernt, aber nach Ho Chi Minh City im Süden dauert es dann eineinhalb Tage.
Hanoi – Eierkaffee und französische Hochküche
Übernächtigt aus dem Flieger gestiegen, kann man in Vietnams Hauptstadt schnell ins Grübeln kommen. Ist man gerade in Paris? Im strengen Russland? Oder doch in Asien? Also, unbedingt zu Fuß los und verträumte, baumbestandene Boulevards mit Atelierwohnungen unterm Dach entdecken. Oder knallbunte, kreischlaute Gassen. Oder Betonbunker im Stalin-Stil. Paralleluniversen, nur wenige Gehminuten voneinander entfernt. Hoan Kiem mit dem gleichnamigen See und der Altstadt, Ba Dinh und Tay Ho (West Lake) sind die drei zentralen Viertel, wo man einkauft und ausgeht und ein Großteil des Alltags draußen stattfindet.
Hier hört das tosende Leben nur mal zur Mittagszeit auf. Die endlose Energie könnte auch mit der Kaffeebegeisterung der Locals zu tun haben, die ihnen die Franzosen – auch mal eine Besatzungsmacht – beschert haben. Nach Brasilien ist Vietnam zweitgrößter Exporteur für Kaffee, aber es bleibt genug im Land, die Qualität ist super. Und mit Ca Phe Trung hat man sogar eine stadteigene Variante am Start, einen köstlich-cremigen Mix aus Eigelb, Kondensmilch und Robustakaffee. In der Altstadt gibt es viele entzückend gestylte Coffeeshops (WLAN ist natürlich gesetzt), aber das Café Giang, von außen ein Überbleibsel aus kommunistischer Zeit, gilt bei vielen immer noch als bester Boxenstopp.
Auch das Fischgrillgericht Cha Ca mit seiner herzhaften Dosis Kurkuma und den allgegenwärtigen Kräutern und die Hühnersuppe Bun Thang sind Hanoier Erfindungen, ebenso wie eine der berühmtesten Suppen der Welt. Von Pho gleich noch mehr. Am anderen Ende von Hanois kulinarischer Skala liegen Restaurants wie das La Verticale von Didier Corlou. Der stammt aus der Bretagne, wohnt schon seit vielen Jahren in Hanoi und perfektionierte als Erster die Mélange aus französisch-vietnamesischer Edelküche, mit Eleganz, Charme, regionalen Zutaten und einer französischen Weinkarte. Morgens Pho, abends Corlou – das wäre kulinarisch nicht zu toppen.
»Charlie don’t surf«: Zentralvietnam
An der Traumküste von Da Nang landeten 1965 die ersten US-Marines. Heute erinnert nichts mehr an diesen Landgang mit weitreichenden Folgen. Das Zitat aus dem Film »Apocalypse Now« ist hingegen Filmgeschichte geworden. Aber Da Nang hat dieses Vermächtnis völlig hinter sich gelassen und schwingt sich auf, ein international beliebtes Ziel zu werden. Es hat die besten Surfspots des Landes und mit Hoi An ein Küstenstädtchen, das trotz seiner rasenden Beliebtheit bei Touristen jeglicher Einkommens- und Altersklasse irgendwie dennoch reizvoll ist. Längst haben sich internationale Hotelketten verewigt. Das touristische Wachstum ging so schnell, dass der Umweltschutz schon mal auf der Strecke blieb. Plastikbeutel sind oft ein Übel, Vietnam spielt da leider in der internationalen Topliga. Die Luxushotellerie setzt Zeichen.
Ho, Ho, Ho Chi Minh
Hier stehen die Wolkenkratzer, hier glitzert und glamourt es, hier funkeln Fünfsternehotels um die Wette. Was wohl der Namensgeber dazu zu sagen wüsste ... Über neun Millionen Einwohner zählt Ho Chi Minh City, HCMC oder einfach nur Ho Chi Minh. (Wobei die Innenstadt, der Distrikt 1, unter Einwohnern noch immer Saigon heißt.) Sie ist nicht nur die größte Stadt des Landes und sein wirtschaftlicher Motor, sondern auch die am schnellsten wachsende Metropole in Asien. Dank dieses Booms bestehen hochpreisige Restaurants mit japanischem oder kantonesischem Zungenschlag, auch dank des Tropenklimas florieren Dachgartenbars, die geschickt bei Singapur abgekupfert haben.
stangen. Nix Grissini, welcome Quay. Außen knusprig, innen superfluffig dank Instanthefe und backpulver.
Die Chill Sky Bar hat den ultimativen Panoramablick, im frisch renovierten Saigon Saigon tranken einst Kriegsreporter Schulter an Schulter mit Politikern, der Social Club auf dem Dach des wunderschönen Hotel des Arts wirkt wie eine Oase in der Natur, Infinity-Pool eingeschlossen, AIR Saigon ist supercool und die Barkarte schon bei den Häppchen erstaunlich ... Satayspieße vom Wagyu aus der australischen Region Margaret River, frittierte Shrimpsröllchen mit japanisch angeschärfter Mayo, Austern mit Thaipfeffer-Mignonette, alles wow, alles chic, alles undenkbar in Hanoi.
Auch in HCMC hat der Kaffee seine Handschrift gefunden, hier ist es Robusta, mit Kondensmilch gesüßt, in ein Riesenglas dekantiert, das randvoll mit zerstoßenem Eis befüllt ist. Denn es ist heiß, Baby! HCMCs Lage ist ideal für Tagestouren ins Mekong-Delta oder zu der Tunnelanlage von Cu Chi. Wen die Vietnamkriegszeit interessiert, könnte den Besuch der Tunnelanlage auch mit einem Besuch im War Remnants Museum in HCMC kombinieren.
Auf dem Pho-Pfad
Anfang des 20. Jahrhunderts wurde in der Region Hanoi eine Suppe erfunden, die heute die ganze Welt als Pho (in etwa Ffffao ausgesprochen) kennt. Die französischen Besatzer aßen ebenso wie die chinesischen Nachbarn gerne Rindfleisch, während Vietnamesen Rinder damals als Arbeitstiere kannten. Knochen und Reste waren zu schade zum Wegwerfen. Die Lösung: Sie wurden an vietnamesische Metzger verkauft, die ihren Landsleuten das Fleisch nun schmackhaft machen mussten. Das klappte über eine traditionelle Nudelsuppe, die mit Knochenbrühe und Fleischeinlage hochgejazzt wurde. Und zur Lieblingssuppe avancierte.
1954 endete die Herrschaft der Franzosen, das Land wurde in Nord- und Südvietnam geteilt, eine Million Nordvietnamesen strömten in den nicht kommunistischen Süden. Im Gepäck: Pho.
Heute streiten sich Hanoi und HCMC nicht enden wollend darüber, wer die bessere macht. Testen lässt sich das an unzähligen sogenannten »pho stalls«, wo schon am frühen Morgen Hungrige auf überraschend standfesten Plastikhockern sitzen, die für Kinder gemacht scheinen und die es nur in einer Farbe gibt: Knallblau. Manche Buden machen zu, wenn die Suppe alle ist, manche haben den ganzen Tag geöffnet, manche schließen und kochen am Nachmittag die nächste Suppe, manche haben für Nachtschwärmer auf. Pho – übrigens die Bezeichnung für die dicken, flachen Reisnudeln in der Suppe, nicht die Suppe selbst – ist nicht nur zum Frühstück da. Und sie ist basisdemokratisch. In der Pho-Bude trifft sich ein Querschnitt des Landes vom Supermodel über den Bauarbeiter bis zum Bürohengst.
In Hanoi gibt’s nicht viel dazu, während der Süden in Beilagen zwischen Frühlingszwiebeln, Bohnensprossen und Kräuterbergen schwelgt. Fischsauce wird ebenso wie eine leichte Süße durch Palmzucker (eher in HCMC) geschätzt. Die Brühe kann auch auf Lammknochen basieren oder als edle Variante nur mit Markknochen gekocht werden, lässt sich vegan oder mit Geflügeleinlage zubereiten. Sternanis, schwarzer Kardamom, Zimtstange, Gewürznelke, Koriander- und Fenchelsamen und Pfeffer sind gesetzt für die Würze, abgeschmeckt wird gerne mit Maggi (ja, genau), das ebenso die charakteristische Würze des vietnamesischen Baguettes Banh Mi prägt.
Reisen in Vietnam: Die Basics
- Wer das Land nur mit dem Zug durchquert, hat vielleicht zu viel Zeit. Vietnamesen nehmen den Flieger.
- Gewalttaten sind selten. Gesunder Menschenverstand schadet
natürlich nie. - Wie in ganz Südostasien: Leitungswasser und rohes Gemüse sind No-Gos.
- Betteln ist verboten, das gilt auch für Kriegsversehrte an den touristischen Hotspots. Bettelnde Kinder sind der Regierung ein Dorn im Auge, die Einhaltung der Schulpflicht ist ein großes Problem.
- Währung: 10.000 Dong sind 37 Cents. Auf Märkten wird bar bezahlt. Handeln nicht vergessen. In Großstädten und Touristenregionen sind Kreditkarten gebräuchlich.
- Die Menschen sind freundlich, kontaktfreudig, lachen viel über sich und noch viel lieber über andere. Hier könnte der Slapstick mit der rutschigen Bananenschale erfunden worden sein. Die junge Generation probiert gerne ihr Englisch aus. Bei Älteren kann man mit Deutsch Glück haben – dank ihrer DDR-Vergangenheit.
- Zum Neujahrsfest Tet ist das ganze Land unterwegs.
- Auf dem Moped gilt Helmpflicht. Solche Helme sind überdies ein cooles Mitbringsel.
- In Hanois Altstadt den Einheimischen nachmachen, wie sie den Straßenverkehr meistern. Irgendwann hat man kapiert, dass Mopeds einen umfahren und nicht umfahren.
- Es herrscht feuchtwarmes Monsunklima. Hanoi im Winter erinnert an unseren Herbst, der Süden ist beständig tropisch.
- Reisekosten sind mit denen von Thailand zu vergleichen.
- Resorts und Boutiquehotels sind sehr schön und für westliche Geldbeutel mehr als erschwinglich.