Kia ora, Neuseeland
Kulinarische Expedition durch das Land der Maori und Kiwis
von Gabriele GugetzerVor zehn, fünfzehn Jahren wurde Neuseeland über Nacht das Traumziel aller, die mit Wein, Genuss und Bewirtung zu tun hatten. Hinreißende Natur, gut gelaunte Menschen und ein flächendeckendes Genussklima – kein Wunder! Doch Neuseeland ruhte sich nicht aus, sondern blieb immer inspirierend. Für jemanden wie Andi Widmann beispielsweise. Zu Hause, auf der Schwäbischen Alb, bringt er gerade das Familienunternehmen Widmann’s Löwen in Zang ins 21. Jahrhundert. Vorher holte er sich fast ein Jahr lang Anregungen in Neuseeland. »Spannend und anders sind die Kücheneinflüsse. Es ist ein junges Land mit einer sehr jungen Fine-Dining-Szene, es geht unkonventionell zu.« Der deutsche Winzer und Gastronom Andreas Weiss vom Topweingut Elephant Hill spitzt es zu. »In Deutschland bleibt die Zeit stehen«, sagt er. »In Neuseeland lernt man immer dazu.« Aber auch wir können den Kiwis etwas beibringen – dazu am Schluss noch mehr. Doch was kann man lernen?
1. Das platte Land hat Spaßfaktor
Auckland und Wellington sind hinreißend. Ersteres erinnert an San Francisco, Letzteres hat was von Berlin, mit freundlichen Menschen und einer schnurrenden Infrastruktur. Ponsonby ist ein typischer Insiderstadtteil von Auckland. Blumen, Essen, Wein, Mode – das existiert Tür an Tür; bei der international bekannten Designerin Vicky Taylor kann man gleichzeitig Kaffee trinken und Mode anprobieren. Ein typisches Restaurant in der Innenstadt ist The Grove, sehr geschmackvoll eingerichtet, aber Käse und Würste sind selbst gemacht. Für die Kalkulation läuft ein erschwingliches Zweitrestaurant mit – landesweit ein Trend. Wellingtons Superladen ist das Shepherd. Chefkoch Shepherd Elliott tischt unbemühte Fusionsküche auf. Er hat beim Super-Italiener Locatelli in London und beim Wow-Japaner Tetsuya Wakuda in Singapur gekocht, sich in Sydney Anregungen für Tapas geholt und seine Erfolgsformel auf die Schürzen gedruckt, die die Brigade beim sichtbaren Hantieren trägt: Eat Drink Repeat. Was er kocht, hängt davon ab, was ihm die Bauern vor die Tür stellen; das Arrangement ist vergleichbar mit der Gemüsekiste aus unseren Großstädten. Da wird aus Sommerkürbis ein Tatar mit Kurkuma, Shisoblatt und in Sherryessig marinierten Rosinen. Okay, nicht mehr so ganz wie die Gemüsekiste aus unseren Großstädten...
Aber: Großstadtmieten sind selbst für Gutverdiener hoch und für Jungköche kaum zu wuppen. Willkommen auf dem platten Land! In Waiheke, Martinborough, Wairarapa, Hawke’s Bay, Napier, um nur einige Ecken zu nennen, lässt es sich bestens arbeiten, leben, genießen. Cafés, Weinbars, Käser, Chocolatiers, Boutiquen, Bäcker, Bauernmärkte, gut sortierte Lebensmittelläden und entzückende B&Bs prägen die Hauptstraßen, nicht 1-Euro-Läden und Backshops, die hierzulande mit den Fußgängerzonen der Kleinstädte assoziiert werden. Und wenn dann Hollywoods Regielegende James Cameron, der außerhalb von Wellington eine Ökofarm betreibt, die Lädchen noch mit Käse und Seifen beliefert...
Ländliche Spitzen-Restaurants können gut existieren, beispielsweise das Malo vom belgischen Koch Bert van de Steeg. Dort hat man morgens, nachmittags und abends eine andere Gästeklientel im Kopf – Brunch, Terrassenwein, Fine Dining. Mehr über ihn in unserer Geschichte über Frühstück und Brunch finden Sie im Beitrag "Der Tag kann kommen".
Fazit: Gute Anregungen für die Wiederbelebung der Provinz.
2. Weinseligkeit: die lukrative Grätsche zwischen Radlerhose und Abendkleid
Zwar ist der Weinbau in Neuseeland gerade 200 Jahre alt geworden, dennoch kam das Getränk lange Zeit vorrangig aus dem Tetrapak. Als es ernsthaft losging, konnten sich die Winzer positionieren. Von Beginn an gehörte neben dem Verkaufsraum die Gastronomie dazu. Zwischen Avocadobäumen, Kräuterbeeten und Sauvignon-blanc-Reben zimmerte sich beispielsweise Tim Turvey eine zünftige Kneipe im Weinberg, von Hand, mit Säge und Axt. Sein Clearview könnte auch als kalifornischer Surfer-Spot durchgehen. Die Speisekarte spielt zwischen Krebs-Bisque, Entenbrust, Sauce hollandaise und selbst gebackenem Brot (s. auch: »Brot und Eingelegtes auf Seite 2 Punkt 6.«). Ein indischer Einschlag ist auszumachen, der Koch ist Gujarati. Wie der Verkaufsraum ist das Restaurant nur tagsüber geöffnet, das schont das Privatleben und lässt sich besser kalkulieren.
Großes Kino geht auch: Die Restaurants der Weingüter Craggy Range und des eingangs erwähnten Elephant Hill gehören zu den besten des Landes. Ins Elephant Hill kommen mittags die »Lycras«, wie man die Radfahrer nennt. Abends wird es in diesem Nirgendwo superschick: Das gilt für Karte und Dresscode. Im Craggy Range will Casey McDonald, dass man mit Händen und Fingern isst, macht eine Tuna Pastrami, karamellisiert die Sauce zu ganzen frittierten Shiitakepilzen mit Essig und Dijon-Senf, serviert zum Tatar vom Wild Estragon-Anchovis-Sahne, zum Snapper ein Püree aus gegarten Auberginen mit Algenbutter und zum konfierten Entenbein Rote Bete und ein Parfait aus Hühnchenfleisch.
Fazit: Auch Tagesrestaurants profitieren enorm von einer guten Weinkarte.
3. Produktqualität ist die Zugmieze
Lange Zeit wurde alles, was irgendwie schick war, aus Europa importiert, vor allen Dingen Käse. Auf die Idee, dass sich Büffelmozzarella auch in Neuseeland machen ließe, kam ausgerechnet eine Töpferin als Erste – solche beruflichen Volten sind typisch. Helen Dorresteyn importierte die Riesentiere aus Norditalien, mit Unterstützung des Gatten, eines Elektrikers. Nach einem Jahrzehnt konnten sie los-käsen. Nun haben sie »flüssiges Porzellan« und verkaufen Burrata, Joghurt und Büffelmozzarella von Clevedon Cheese zur Hälfte in die gehobene Gastronomie und in den gut sortierten LEH.
Tipp: Geführte Winzertouren oder Individual-arrangements per Rad werden flächendeckend angeboten. Schnaps-drosseln zieht die Polizei nämlich fix aus dem Verkehr.
Wie man ein heimisches Produkt schützt, führt Neuseeland beim Honig vor. Importware aus China wurde nie erlaubt, einer der Gründe, warum die Völker hier gut dastehen. Bei Arataki Honey werden die Farmer, auf deren Land die Bienenstöcke summen und surren, mit fertig geschleudertem Honig anstelle einer Miete entlohnt. Der Honig wird direkt vor Ort verkauft und wandert in die regionale Gastronomie. (Manuka-Honig kostet übrigens auch direkt am Bienenstock sein Geld.)
Übrigens: Die Fleisch-Kooperative First Light Foods in Hastings exportiert weltweit Wild – nur nicht nach China; das sei eine ethische Entscheidung.
Fazit: Hochwertige regionale Lebensmittel mit Tierwohlaspekt – das klappt, weil LEH, Restaurants und Verbraucher regional denken und mitziehen. Die Preise sind kein Problem, denn die Kunden haben die Grundprodukte ja direkt vor der Nase.