Eintrittsgelder als Lösung gegen Massentourismus?
Der Massentourismus sorgt in beliebten Reisezielen wie Venedig immer wieder für Probleme und auch Unmut. Die Lagunenstadt hat dieses Jahr testweise an 29 Tagen Eintrittsgeld von Tagesbesuchern verlangt – 2025 soll das fortgesetzt werden. Ein Beispiel, das Schule macht?
Jüngst verkündete der Bürgermeister Sevillas zumindest Pläne, Touristen künftig für den Besuch des zentralen Platzes Plaza de España zur Kasse zu bitten. Griechenlands Regierung wiederum plant Medienberichten zufolge Eintrittsgebühren für Kreuzfahrtpassagiere für den Besuch sämtlicher Inseln ab dem kommenden Jahr.
Doch ist Geld die Lösung der Probleme? Besänftigt das entnervte Einheimische, die dieses Jahr beispielsweise auf den ebenfalls stark frequentierten Kanaren und auf Mallorca teils zu Zehntausenden gegen Massentourismus auf die Straße gegangen sind?
Es könnte zumindest ein Teil der Lösung sein, sofern es den Menschen vor Ort zugutekommt. So argumentiert der Tourismusforscher Christian Laesser. Im Interview erklärt der Professor der Universität St. Gallen, wie sich Urlauberströme besser kontrollieren ließen und warum den Protesten gegen den Übertourismus nach seiner Einschätzung auch ein Verteilungsproblem zugrunde liegt.
Herr Laesser, Venedig verlangt an gewissen Tagen eine Eintrittsgebühr von Tagestouristen, Zermatt am Matterhorn in der Schweiz überlegt es. Geht es dabei nur um Einnahmen oder hat das irgendwie auch Einfluss darauf, wie viele Menschen den Ort besuchen?
Das ist sicher abhängig von der Höhe der Gebühr und auch der Frage, ob der Zutritt darüber hinaus überhaupt kontingentiert wird. Das sind eigentlich zwei unterschiedliche Dinge.
Die Gebühr lässt sich insofern rechtfertigen: Übernachtungsgäste bezahlen Steuern und Taxen. Tagestouristen sind meistens davon ausgenommen und das ist eigentlich ein bisschen verzerrend, weil Tagestouristen natürlich genau gleich von Infrastruktur und Sehenswürdigkeiten profitieren wie übernachtende Gäste – nur, ohne dass sie etwas dafür bezahlen. Das ist zum Beispiel die Überlegung in Zermatt, aber gleichermaßen könnte man in Venedig argumentieren.
Ich glaube jetzt nicht, dass die Eintrittsgebühr als Steuerungsinstrument eingesetzt wird. Würde ich über Preise steuern, wer reinkommt und wer nicht, würde das Fragen aufwerfen.
Wie geht es besser?
Mit einer Nachfragesteuerung über Kontingentierung gepaart mit zum Beispiel einem Reservationssystem. Also wenn ich sage, ich lasse zum Beispiel maximal 30.000 Leute pro Tag nach Venedig ein.
Doch damit niemand einfach vor verschlossenen Stadttoren steht und man den Besuch planen kann, könnte man natürlich begleitend ein Reservationssystem einführen, wie es schon viele Sehenswürdigkeiten haben. Es geht ja nicht nur darum, dass die Einheimischen darunter leiden, wenn zu viele Touristen zur gleichen Zeit an einem Ort sind. Sondern auch für die Touristen ist es ein anderes Erlebnis, wenn es einigermaßen entspannt zugeht und es nicht übervoll ist.
Glauben Sie, solche Kontingentsysteme werden zunehmen?
Das glaube ich schon. Es müssen auch nicht Drehkreuze sein, die man an die Zugänge stellt. Man kann das auch indirekt machen und das passiert faktisch teilweise schon.
Haben Sie Beispiele?
Über die Parkgebühren etwa. Habe ich hier ein Preissystem, das einen Kurzzeitaufenthalt belohnt, bleiben Urlauber eher kürzer und fahren schneller wieder los. Das bedeutet, ich habe einen großen Durchfluss an Leuten, die reinkommen, aber nur kurz bleiben. Steuern kann ich das auch, indem ich normale Parkplätze und Busparkplätze limitiere oder etwa Anlegeplätze für Kreuzfahrtschiffe. Das alles wird vielerorts schon gemacht.
Bekommt man so den Overtourism, also den Massentourismus, in den Griff, den Städte wie Venedig oder auch Dubrovnik beklagen?
Ich würde gerne einen Schritt zurück machen. Es ist einfach wichtig zu verstehen, warum dieses Phänomen entsteht. Gerade Low-Cost-Airlines haben ganz neue Märkte aufgetan. Leute, die nie geflogen sind, fliegen vermehrt. Dazu kommt die Sharing Economy, die ich hier eigentlich nicht so nennen mag, weil nichts geteilt wird: Sondern residenter Wohnraum wird, befeuert von Plattformen wie Airbnb, in Übernachtungswohnraum umgewandelt. Auch öffentlicher Raum wird knapp, Supermärkte weichen Souvenirläden.
Und dann habe ich in bestimmten Hafenstädten natürlich noch die Kreuzfahrtschiffe, von denen gleichzeitig Tausende Touristen an Land strömen. In einer Stadt wie Dubrovnik ist das noch spürbarer als in großen Städten wie Barcelona oder Melbourne – selbst dort kann das herausfordernd sein.
Es gab diesen Sommer Proteste gegen Massentourismus, etwa auf den Kanaren. Warum geht die lokale Bevölkerung dort und anderswo gerade jetzt auf die Straße?
Die Overtourism-Diskussionen hatten wir schon einmal, doch dann kam die Corona-Pandemie und die Probleme rund um den Massentourismus waren erstmal kein Thema mehr. Doch nun sind sie wieder da. Wann Overtourism zu einem Problem wird für die lokale Bevölkerung, das ist im Kern eine Wahrnehmungsfrage: Wann leidet die Lebensqualität der Menschen, die dort leben, aufgrund des Massentourismus zu sehr – und was bekommen sie dafür?
Die Menschen vor Ort können den Eindruck bekommen: Wenige ziehen viel unmittelbaren ökonomischen Nutzen aus dem Tourismus in ihrem Ort und sie haben nichts davon, außer dass sie die Opfer dafür tragen. Auch wenn ihnen dabei mitunter nicht bewusst ist, dass sie vielleicht nur deshalb gut leben oder es ihrer Stadt wirtschaftlich gut geht, weil es so viel Tourismus gibt.
Es geht also um die Frage: Wer bekommt welche Benefits und wer trägt welche Opfer in welchem Ausmaß? Und da herrscht in der Wahrnehmung vieler eine ungünstige Symmetrie.
Wie könnte eine Lösung aussehen?
Eine Überlegung wäre: Wie kann ich die Einheimischen, die das Gefühl haben, nur Opfer zu bringen, besser kompensieren? Und da sind wir wieder beim Beispiel Venedig. Wenn das Geld, das von den Tagesgästen eingezogen wird, direkt an die lokale Bevölkerung verteilt wird und es nicht einfach in den Stadtkassen verschwindet, schafft das einen ganz anderen Narrativ.
Denn den Protesten liegt am Ende auch eine Art Verteilungsproblem zugrunde: Wer trägt die Kosten, beziehungsweise erträgt die Folgen des Overtourism und wer profitiert davon?
Zur Person
Prof. Christian Laesser lehrt und forscht am Research Center for Tourism und Transport der Universität St. Gallen. Er beschäftigt sich unter anderem damit, ob und wie sich Touristenströme lenken lassen.
(dpa/SAKL)