Besser Over- als Undertourism
Es ist noch nicht so lange her, da ertönte der Hilferuf aus den verschiedensten Ecken: Venedig, Florenz, Barcelona, Mallorca, aber auch Salzburg oder Hallstatt klagten über „Overtourism“, der das Alltagsleben für die Einheimischen immer mühsamer mache und setzten auf immer trickreichere Regulierungsmethoden, um dem Gästeansturm Herr zu werden. Vor allem Venedig verwandelte sich von einem inoffiziellen zu einem offiziellen Freiluftmuseum mit Gästezählungen und Eintrittsgebühren für Tagestouristen – falls die Preise, die man in einschlägigen Lokalen den Touristen abknöpfte noch nicht abschreckend genug waren.
Wenige Monate und eine Pandemie später sieht die Sache ein wenig anders aus: Die weltweite Tourismusindustrie liegt am Boden, Mitarbeiter wurden in Kurzarbeit geschickt oder gleich auf die Straße gesetzt und um die Frage, welche Bürger ihren Sommerurlaub in welchem Land verbringen dürfen, ist hinter den Kulissen und dem Vorwand der Volksgesundheit ein knallharter Politstreit entbrannt. Wer aktuell etwa durch die Wiener Innenstadt pilgert, fühlt sich wie in einem schlechten Film: Wo man sich normalerweise um diese Jahreszeit den Weg durch Touristenmassen bahnen muss, sind nur ein paar Eingeborene unterwegs. Etliche Hotels – keineswegs alle – haben in den vergangenen Tagen zwar wieder aufgesperrt, allerdings wohl wissend, dass dies eher eine Geste des Optimismus‘ ist als wirtschaftliche Notwendigkeit. Und in den ehemaligen Hotspots des Overtourism betet man für eine baldige Normalisierung der Lage und wird schon bald wieder um jeden einzelnen Gast kämpfen.
Was damit gesagt werden soll: Corona ist zwar weltweit die größte wirtschaftliche Katastrophe seit 1945, aber vielleicht rückt sie zumindest ein paar Aspekte innerhalb unserer Branche wieder in ein anderes Licht: Dass nämlich der sogenannte „Overtourism“ ein First-World-Luxusproblem ist, dass in Wirklichkeit zahllose Unternehmen, ganze Städte, ja sogar Länder vom internationalen Tourismus abhängig sind und dass das Ausbleiben der Touristen für viele Regionen ein wirtschaftliches Desaster darstellt. Und es bleibt zu hoffen, dass die Selbstverständlichkeit, mit der mancherorts ein ständiger Nachschub zahlloser Gäste vorausgesetzt wurde und die in Einzelfällen schon mal in Arroganz abgleiten konnte, wieder einer echten Gastlichkeit und Herzlichkeit weicht, einer Dankbarkeit und dem Wissen, dass zahlende Gäste eben kein Naturgesetz und schon gar keine Plage, sondern gerade in einem Land wie Österreich der wichtigste Wirtschaftsmotor sind, der das Einkommen hunderttausender Menschen und den Wohlstand ganzer Regionen sichert.