Wie Instagram-Restaurants durchstarten
„Alles in dieser Bar ist als Erlebnis konzipiert“, schrieb das Berliner Stadtmagazin „Tip“ über die auf weltstädtisch gemachte „Bellboy Bar“ am Gendarmenmarkt, in der Drinks zum Beispiel in einer Mini-Badewanne mit Entchen serviert werden. Das Bar-Restaurant mit mystisch-plüschiger Einrichtung ist ein Import aus der Szenemetropole Tel Aviv. Es steht nur beispielhaft für weitere fotogene Neueröffnungen in der deutschen Hauptstadt, wie etwa auch das California-Dining-Lokal „MQ“ am Kurfürstendamm.
Das Trendportal „Mit Vergnügen“ bewunderte jüngst das neue italienische Restaurant „Coccodrill“ im Berliner Weinbergspark mit den Worten: „Das Interieur ist eine wilde Mischung aus Seventies, Hollywood, Diner und Italo-Disco.“
„Edelitaliener für die Instagram-Generation“
Es handelt sich deutschlandweit um die zweite Trattoria von Big Squadra, dem deutschen Zweig der Big Mamma Group, die bislang zum Beispiel in Paris, London, Madrid, Marseille und Monaco Aufsehen erregte. Big Mammas Design-Studio Kiki entwirft gern knallig bunte Retro-Kitsch-Gasträume.
Schon im Juni hat die Restaurantgruppe das opulent-florale „Giorgia“ in München-Haidhausen eröffnet. Dieses beschrieb „Der Spiegel“ als „Edelitaliener für die Instagram-Generation“.
Die Big-Squadra-Kommunikationsbeauftragte Chiara Baumgartner entgegnete: „Es ist nicht unser Ziel, als Instagram-Restaurant zu gelten. Doch wenn etwas schön und außergewöhnlich ist, dann werden Fotos gemacht und die Leute wollen es teilen. So ist das nun mal.“
„Es geht um das Live-Erlebnis“
Zum Fotografieren geeignete Bars und Restaurants gibt es natürlich schon lange – sei es wegen der Aussicht, ihrer Lage am Wasser oder ihres beeindruckenden Raumes. Schon im Laufe der Zehnerjahre fiel jedoch auf, dass selbst in langweiligeren Lagen das Design von Cafés hipper wurde, die Gastrowelt zum Global Village mutierte.
Egal, ob in New York oder Neuss, Barcelona oder Bielefeld: Glühbirnen mit sichtbaren Leuchtfäden, Vintage-Möbel, Neonschriftzüge, Backstein- oder Betonwände, Kreidetafeln, Blumenampeln, Klemmbrett-Speisekarten oder gar das Fahrrad an der Wand zieren immer mehr Restaurants.
„Inzwischen ist die Gastrowelt einen guten Schritt weiter als bloß ‚instagrammable‘ sein zu wollen – es geht um das Live-Erlebnis, denn nur so können analoge Angebote gegen die digitale Welt bestehen“, sagt die Verlegerin Marcella Prior-Callwey in München.
„Restaurants sind die neuen Theater“
Ihr Callwey-Verlag lobt jährlich einen Wettbewerb zu den „schönsten Restaurants und Bars“ in Deutschland aus – in Zusammenarbeit mit dem Bund Deutscher Innenarchitekten, dem Hotel- und Gaststättenverband und anderen Partnern.
„Restaurants sind die neuen Theater. Sie werden als Gesamtkunstwerk konzipiert“, sagt Marcella Prior-Callwey. Die Macher würden darauf abzielen, alle Sinne mit eklektischem Design, abgestimmter Musik und attraktiven Speisen anzusprechen. Besucher würden sich dort die bestmögliche Zeit machen wollen, statt nur anderen im Internet zuzusehen. „Sie sagen sich: Wenn ich Geld ausgebe und Zeit investiere, dann muss es umwerfend sein.“
London als Vorreiter
Als Vorreiter dieses sogenannten Megatrends, der nun verstärkt im deutschsprachigen Raum ankomme, sieht Marcella Prior-Callwey unter anderem die britische Hauptstadt London. Dort wiesen exklusive Brasserien wie „Sexy Fish“, „Amazonico“, „Sketch“ oder „The Maine Mayfair“ den Weg.
In solchen Lokalen, sagt Marcella Prior-Callwey, gebe es oft ungewöhnliche Kombinationen auf dem Teller und neue Ideen, wie Gerichte präsentiert werden – sei es für eine Person oder zum Teilen. „Viele Gäste wollen in solchen Großstadtlokalen sehen und gesehen werden, aber es geht vor allem um den realen Moment, den man da möchte.“
Die edle Erlebnisgastronomie stelle sich der überfrachteten Gegenwart, in der alle – von den klassischen Kulturinstitutionen bis hin zu Medien und Streamingdiensten – um die Geldbeutel und vor allem Zeit und Beachtung der Kunden konkurrierten. „Wir werden alle mit Angeboten, die um Aufmerksamkeit heischen, überschüttet. Und da muss man was bieten und möglichst überwältigend die Zeit füllen – und das genau tun diese Restaurants.“
(dpa/SAKL)