Tristan Brandt geht am liebsten selbst ins Restaurant
Daheim am Herd? Lieber geht Spitzenkoch Brandt essen. Das Wachstum der Sterneküche in Deutschland sieht er skeptisch. Bei einem aktuellen Projekt sitzt ihm die Zeit im Nacken.
Erwartungen übertreffen
Frisch geschlüpfte Küken, direkt frittiert: Das ist auch für Sternekoch Tristan Brandt zu viel. „Das konnte ich im Kopf nicht mit mir vereinbaren“, sagt der 39-Jährige, „aber in China isst man das als Snack. Es ist wie oft beim Essen: reine Mentalitätssache.“ Brandt ist in Mainz geboren, in Mannheim zum Spitzenkoch gereift und heute in den Küchen der Welt daheim. Sein Motto: Eine Speise muss stets besser sein als die Vorstellung der Gäste davon. „Also immer Erwartung plus eins.“
Das Handwerk gelernt und vervollkommnt hat Brandt unter anderem bei Kochgroßmeister Harald Wohlfahrt in Baiersbronn, auf der MS Europa im Restaurant Dieter Müller sowie in Frankreich und China. In der Branche wird der Spitzenkoch nicht erst geschätzt, seit er 2017 in der Feinschmeckerbibel Guide Michelin für seine Arbeit im Mannheimer OPUS V mit zwei Sternen geführt worden war. Seit 2020 ist Brandt wieder mehr international unterwegs.
Namensgeber für spannende Konzepte
„Ich biete weltweit Gastronomie-Consulting an“, erzählt er. „Ich übernehme das Patronat für spannende Konzepte mit einem kulinarischen Qualitätsanspruch. Das müssen nicht zwingend Fine-Dining-Restaurants sein. Wichtig ist mir die Qualität des Kochens und der Produkte. Dabei fungiere ich als Namensgeber und achte darauf, dass meine Philosophie umgesetzt wird.“
Das sind aktuell Lokale in Miami, der Schweiz und Deutschland, die teilweise unter seinem Namen laufen. Was wird dort angeboten? „Eine moderne Küche mit französischen und asiatischen Einflüssen, die Raum lässt für klassische Gerichte wie etwa Kalbstafelspitz mit Trüffelspinat.“
Der harte Alltag der Dinnershows
Aktuell jedoch muss der Mann, der die Kreativität am Herd so liebt, mit harten Vorgaben klarkommen. Vorspeise 18 Minuten, Hauptgang 22 Minuten, Dessert 20 Minuten: Mehr Zeit bleibt Brandt bei seiner laufenden Dinnershow im großen Zelt in Heidelberg nicht. „Da muss man jeden überflüssigen Handgriff vermeiden“, sagt er. Beim sogenannten Wintervarieté muss ein fünfköpfiges Team täglich für 350 Gäste immer große Qualität liefern.
„Das ist eine logistische Herausforderung und auch ein Risiko.
Immerhin ist es mit meinem Namen verbunden“, sagt Brandt. Es könne zwar passieren, dass ein Gericht nicht ganz so elegant aussehe wie im Restaurant. „Aber die Qualität ist gut, muss gut sein, muss besser sein als die Erwartung. Wie gesagt: Immer plus eins.“ Auch das benachbarte Mannheim bietet mit dem Harald Wohlfahrt Palazzo aktuell eine Dinnershow an.
Derzeit können sich 340 Betriebe in Deutschland mit mindestens einem Stern des Gourmetführers Guide Michelin schmücken – so viele wie nie zuvor, wie es auf der Homepage heißt. Geht es der Branche also gut? Brandt wiegt den Kopf. „Ich will nicht sagen, dass das Wachstum der Sterneküche ein Ende hat. Aber ich bin überzeugt, dass es stark reduziert wird, um am Markt attraktiv zu bleiben. Die Gefahr, dass Sternerestaurants schließen müssen, ist leider groß.“
Die Tücken der Sterneküche
Brandt zählt auf. „Die Personalkosten sind hoch, die Lebensmittel- und Rohstoffpreise sind gestiegen, die Energiekosten klettern – eigentlich müsste man diese Kosten auf den Menüpreis umrechnen. In Frankreich macht man das, da kostet ein Menü schon mal 400 Euro. Für diesen Preis kommt in Deutschland keiner, weil er für zwei schnell vierstellig ist, mit einer Flasche Wasser oder Kaffee dabei. Sterneküche ist ein schmaler Grat.“
Ein zusätzliches Problem sei, gute Leute zu finden. „Früher hieß es: Fachkräftemangel. Mittlerweile herrscht auch Hilfskräftemangel.“
Kocht er eigentlich daheim gerne? „In meiner Freizeit brauche ich das nicht. Nicht, dass es keinen Spaß macht. Aber ich gehe lieber essen“, schildert Brandt. Völlig entspannen könne er dabei nicht. „Man sieht immer irgendwas. Und dann juckt es in den Fingern, ungefragt Ratschläge zu erteilen.“ Meist schaffe er es, nichts zu sagen. „Aber meinen Teil denke ich mir immer.“
(dpa/CHHI)