Veränderung

Trinkgeld-Kultur im Wandel begriffen

Junger Mann bezahlt bargeldlos in einem Restaurant, lächelnd, gute Stimmung
Das bargeldlose Bezahlen hält in immer mehr Gastronomie-Betrieben Einzug und verändert die Trinkgeld-Kultur. (Foto: © stock.adobe.com/Kalim)
„Stimmt so“ – das war viele Jahre in der Gastronomie ein gängiger Kommentar beim Begleichen der Rechnung. Mittlerweile wird vielerorts bargeldlos gezahlt. Welchen Einfluss hat das auf den neudeutsch genannten „Tip“?
Donnerstag, 23.05.2024, 09:55 Uhr, Autor: Christine Hintersdorf

Bis vor wenigen Jahren war ein simples „Der Rest ist für Sie“ beim Bezahlen der Rechnung ganz normal. Viele gaben bei der Barzahlung dem Kellner ein mehr oder weniger großzügiges Trinkgeld.

Heute, in Zeiten digitalen Bezahlens, ist das anders. War Trinkgeld hierzulande früher nur in Restaurants oder bei Dienstleistungen üblich, so wird man heute auch an Orten aufgefordert, ein sogenanntes Tip zu geben, an denen das bislang nicht normal war.

Die Zeiten ändern sich

In einer Luxuskonditorei am Kurfürstendamm in Berlin zum Beispiel sind die knallig blau unterlegten Optionen auf dem Touch-Display 7 Prozent, 10 Prozent und 20 Prozent. Erst bei genauem Hinsehen erkennt man, dass es auch „Freie Eingabe“ und „Kein Trinkgeld“ als Option gäbe.

Am hippen Hamburger-Stand, nicht weit entfernt, kommuniziert das Kartengerät nur auf Englisch: 0 Prozent, 10 Prozent, 15 Prozent, 20 Prozent, 25 Prozent sind als Tip möglich. 25 Prozent? Beim bloß über die Theke gereichten Double Cheeseburger für 9,50 Euro sind das satte 2,38 Euro. 

In den USA ist es oft so, dass viele Restaurants ihren Angestellten weniger als den Mindestlohn zahlen, weil sie davon ausgehen, dass Trinkgeld-Einnahmen die Differenz locker wettmachen. US-Forscher führen den in Amerika aktuellen Trend zu viel höheren Beträgen beim sogenannten Tippen unter anderem auf Corona zurück.

Demnach zeigten sich Verbraucher in der Anfangszeit der Pandemie generöser, um Lieferdienste, Restaurants und andere hart getroffene Unternehmen zu unterstützen. Das verselbstständigte sich dann.

Der Touchscreen verändert die Kultur

Doch warum hat sich auch in Deutschland die Trinkgeldkultur so verändert in jüngster Zeit? Wieso wird man um ein Tip gebeten, wenn es eigentlich Selbstbedienung ist? Vorbei scheint jedenfalls die Zeit von Trinkgeld-Bechern an der Kasse.

Wenn Bezahlende nun öfter per Touchscreen Trinkgeld geben sollen, fühlen sich in Deutschland viele geradezu genötigt, eine hohe Summe zu geben. Wirtschaftswissenschaftler wie Christian Traxler von der Berliner Hertie School nennen das Nudging (englisch für anstupsen). Das Verhalten der Kunden werde gelenkt, gar manipuliert, sagt der Verhaltensökonom.

Trinkgeldgeben wird zu Drahtseilakt

„Es wird oft nicht nur kommuniziert, dass ein Trinkgeld erwartet wird, sondern auch, in welchem Rahmen es als angemessen angesehen würde“, sagt Traxler. Wenn programmierte Werte aber sehr hoch sind, fallen zwar einzelne Tips tendenziell höher aus, gleichzeitig aber sinke die Zahl der Leute, die überhaupt Trinkgeld geben. Ein Drahtseilakt, da Kunden angestupst, aber nicht verprellt werden sollen.

Der Wirtschaftswissenschaftler Sascha Hoffmann von der Hochschule Fresenius in Hamburg sagt, der technische Kniff, beim Bezahlvorgang am Kartenlesegerät an die Gabe eines Trinkgelds zu erinnern, sei für Servicekräfte und Gastronomen extrem hilfreich.

Hoffmann hat zu Trinkgeldhöhen geforscht. Er weiß, dass Deutschland im Vergleich nach wie vor ein Bargeld-Land ist, doch der Anteil an Karten- und Smartphone-Bezahlvorgängen wachse. 

„Studien zeigen, dass bei Kartenzahlung im Großen und Ganzen weniger Trinkgeld gegeben wird“, sagt Hoffmann. „Das wirkt sich unmittelbar negativ auf die Verdienstmöglichkeiten von Mitarbeitenden in der Gastronomie und anderen Dienstleistungsberufen aus. Die Stundensätze sind dort ohnehin nicht besonders hoch und die Angestellten sind besonders auf Trinkgelder als zusätzliche Einkommensquelle angewiesen.“

Soziale Normen spielen erheblich Rolle 

Falle das Tip weg, werden die Branchen laut Hoffmann womöglich noch unattraktiver, was den Arbeitskräftemangel in Serviceberufen weiter verschärfen könne – speziell auch in der Gastronomie.

Schon immer war es für viele Kunden Stress, vor den Augen einer Servicekraft und gegebenenfalls weiterer Gäste eine gut gerundete Trinkgeldhöhe auszurechnen. Neben Kopfrechenproblemen kämen soziale Normen ins Spiel, da sich die meisten richtig verhalten und nicht als knauserig wahrgenommen werden wollten.

Die vermeintliche Hilfe der Kartenlesesysteme, die nun auch in Branchen zum Zuge kommen, in denen Trinkgeldgeben bislang unüblich war, könne jedoch problematisch sein, betont Hoffmann.

„Insgesamt ist die Gefahr groß, dass Kunden durch die Vorgabe von Trinkgeldhöhen zu einem Verhalten verleitet werden, das sie gar nicht wollen. Heißt: Sie sehen die Vorgaben in der akuten Entscheidungssituation zwar vielleicht als entlastend an, ärgern sich aber im Nachhinein, dass sie zu viel Trinkgeld gegeben haben.“

Der Hang zur Mitte

Wenn statt beispielsweise 5, 10 und 15 Prozent gleich 10, 15 und 20 Prozent als Optionen im Raum stehen, könne über den aus der Psychologie bekannten Hang zur Mitte eine überhöhte Trinkgeldgabe ausgelöst werden. Auch der Decoy Effect (Köder-Effekt) könne zuschlagen. Wird eine Trinkgeldhöhe absichtlich absurd hoch angesetzt, dann wirken die anderen Vorschläge, die eigentlich ebenfalls zu hoch sind, plötzlich angemessen.

Sogenannte Dark Patterns (manipulative Designgestaltungen) nutzen diese Psycho-Effekte aus und können Konsumenten täuschen. Suggestive Designs sind sonst etwa im Online-Marketing verbreitet, wenn versucht wird, die Zustimmung von Website-Besuchern für das Setzen von Marketing-Cookies einzuholen. 

Die meisten Tip-Probleme rühren aber wohl von der sozialen Norm her, dass über Geld und damit auch die Höhe des Trinkgelds nicht offen gesprochen wird – schon gar nicht, wenn man als Geizhals gelten könnte.

(dpa/CHHI)

Zurück zur Startseite

Weitere Themen

Zwei Hände halten einen Beutel mit Gemüse und Joghurt auf.
Umweltschutz
Anzeige
Umweltschutz

Nachhaltigkeit in der Gastronomie: Eine grüne Zukunft mit Lightspeed Technologie

Die Gastronomie spielt eine entscheidende Rolle im Umweltschutz. Wie können Restaurants effektiver und nachhaltiger agieren? Die Antwort liegt nicht nur im Einsatz nachhaltig produzierter Zutaten, sondern auch in moderner Technologie, die den Betrieb revolutioniert.
Philipp von Stumm, Geschäftsführer des Seminar- und Eventzentrums Gut Thanse.
Best-Practice
Best-Practice

Wege aus der Personalkrise

Die Gewinnung von Mitarbeitern ist eine Herausforderung, sie zu halten nicht wesentlich einfacher. Drei gastronomische Betriebe in der Lüneburger Heide zeigen ihre Wege auf, mit der Situation umzugehen. Erfolg und Niederlage liegen dabei nah beieinander.
junge Frau kocht in einem Restaurant
Ausbildung
Ausbildung

Tiefstwerte bei Gastro-Lehrlingszahlen in Österreich

Nicht nur hierzulande bleiben zahlreiche Lehrstellen unbesetzt, auch in unserem Nachbarland ist es schwierig für Betriebe Azubis zu finden. Jetzt fordert die Gewerkschaft Vida eine bessere Ausbildungsqualität, damit der Branche wieder mehr Attraktivität gewinnt. 
Eine männliche Hand hält ein Schild hoch mit dem Wort "Mitarbeitersuche".
Ratgeber
Ratgeber

Optimale Stellenanzeigen dank KI

Für Arbeitgeber ist es meistens eine unbeliebte Aufgabe, eine vakante Arbeitsstelle auszuschreiben. Oft fehlt die Routine, um das Anforderungsprofil und die Vorzüge des eigenen Betriebs perfekt darzustellen. Hier kann eine KI helfen, die richtigen Worte zu finden, um eine passgenaue Anzeige zu formulieren. 
Gast im Restaurant beim Bezahlen
Studie
Studie

Die Deutschen sind die großzügigsten Trinkgeldgeber in Europa

Wie steht es um die Trinkgeldkultur weltweit? Eine aktuelle Studie geht dieser Frage auf den Grund. Dabei zeigt sich: Die Deutschen haben im europäischen Vergleich die höchste Bereitschaft, Trinkgeld zu geben. 
Foto v.l.n.r.: Michael Schlößer (BONNOX Boardinghouse & Hotel, Hotel Rheinland), Pascal Vega Valenciano (BONNOX Boardinghouse & Hotel), Christoph Silber-Bonz (Hotel Hangelar), Mareile Schröder-Benz (Hotel Astoria), Cora Hübner-Stauf (Hotel Deutsches Haus), Friederike Rempel (Hotel Collegium Leoninum), Ricarda von Petersdorff (Apartmenthaus No. 11), Philipp Seufert, Sven Baden (beide Hotel Aigner), Jörg Enders (Hotel Sebastianushof), Pierre Richter (Hotel Europa)
Vergünstigen
Vergünstigen

Mit der TeamCard Mitarbeiter binden

Das eigene Team im Betrieb zu halten, ist eine der herausfordernden Aufgaben in der Hospitality. Viele Unternehmen greifen dafür auf Benefits zurück. In der Region Bonn gibt jetzt eine Vorteilskarte, die Ermäßigungen für Freizeit- und Kultureinrichtungen bereithält.
Zwei Azubis im Bonvivant Cocktail Bistro
Eigenregie
Eigenregie

Azubis gestalten Vier-Gang-Dinner

Gegen den Muff von gestern stellt sich Jules Winnfield. Bei ihm dürfen die Young Talents die Regie übernehmen und ein eigenes Menü gestalten. Der Clou dabei – alles wird rein vegetarisch sein.
Die 200 Mitarbeiter, die am Team Day teilgenommen haben
Feier
Feier

Erster Team Day des JRE in Deutschland

Rund 200 Mitarbeiter aus dem ganzen Land folgten der Einladung nach Grünstadt in Rheinland-Pfalz zum gemeinsamen genüsslichen Feiern. Mit der Premiere bedankt sich die Vereinigung der Spitzenköche bei ihren Teammitgliedern.
Werkstattleiterin Liane Pitzschel, Arbeitsbegleiter Stephan Nanz, Mitarbeiter Florian Reis, Arbeitsbegleiterin Kaia Stein, Mitarbeiter Marcel Kuske, Bereichsleiterin Bettina Fidus-Hansen und Direktorin Sarah Bartel freuen sich über die Teamerweiterung
Inklusion
Inklusion

Buntes Team in der Bretterbude

Das zu den Heimathafen Hotels gehörende Haus legt viel Wert darauf, international, vielfältig und offen für alle Menschen zu sein. Getreu diesem Motto verstärkt jetzt ein Team von Die Ostholsteiner – eine Werkstatt für Menschen mit Handicap – die Crew. Ein überzeugendes Best-Practice-Beispiel für gelungene Inklusion in der Hotellerie.