Protestaktion von Reeperbahn-Wirten
Nur kurz blinken die Leuchtreklamen auf und Musik ist zu hören. Dann wird es dunkel und still, eine Diskokugel kracht auf den Boden. In Gedenken an zerplatze Hoffnungen und Träume legen Pfarrer Karl Schultz (St. Joseph Kirche, Große Freiheit) und Pastor Sieghard Wilm von der St. Pauli Kirche symbolisch einen Kranz nieder. Gastronomen halten Traueranzeigen mit den Namen ihrer Betriebe in den Händen. Dann folgt eine Schweigeminute: Mit dieser Aktion machten auf der Reeperbahn im Hamburger Kult-Stadtteil St. Pauli Bar- und Kneipenbesitzer am vergangenen Donnerstagabend auf ihre Existenznöte aufmerksam und forderten finanzielle Hilfe. Dragqueen Olivia Jones, die selbst mehrere Bars auf dem Kiez betreibt, hatte zu der Protestaktion aufgerufen. Sie mache sich große Sorgen um die Clubs, Bars, Diskotheken und Kneipen, sagte die 50-Jährige. „Denn viele stehen vor dem Abgrund. Wir waren die ersten, die schließen mussten. Und werden die letzten sein, die wieder öffnen können. Für uns gibt es kein Licht am Ende des Tunnels.“ Coronabedingt durften an der Versammlung auf der Großen Freiheit nur 25 Kiez-Gastronomen stellvertretend für mehr die als 200 Clubs, Bars, Kneipen und Discos in der Hansestadt teilnehmen.
„Wir möchten mit unserer Aktion nicht anklagen, sondern ein starkes Bild senden“, erklärte Jones. „So wie hier auf St. Pauli geht es gerade Bars und Clubs in ganz Deutschland. Und nicht alle haben die Möglichkeit, so prominent wie wir auf sich aufmerksam zu machen. Auch denen möchten wir mit unserer Aktion eine Stimme geben.“
Reduzierte Mehrwertsteuer für Bar nicht wirksam
Ein Problem sei, dass die derzeit von der Politik geplanten Lockerungen und Erleichterungen für die Gastronomie und Hotels, etwa die Senkung der Mehrwertsteuer auf Speisen, Bars und Clubs bundesweit schlicht nicht betreffen. Zudem sei es nahezu unmöglich, Sicherheitsabstand und Hygieneregeln einzuhalten. „Es gibt keine Bar und auch keine Disco, in der man feiert mit anderthalb Meter bis zwei Meter Abstand“, sagte Jones.
Daher fordern Jones und ihre Mitstreiter unter anderem weitere finanzielle Hilfen für die betroffenen Betriebe. Außerdem Mehrwertsteuer-Senkung auch für Kneipen, Bars, Clubs und Discos, und damit auf alle Getränke und Eintrittsgelder. Denn die bisherige Reduzierung der Mehrwertsteuer auf sieben Prozent helfe bislang nur Restaurants. Helfen würden außerdem KfW-Schnellkredite, die man auch kleineren Betrieben ermöglichen sollte, und großzügigere Regeln für die Außengastronomie, wie zum Beispiel die Freigabe von Parkplätzen, Gehwegen und Hinterhöfen.
„Natürlich sind Clubs und Bars systemrelevant“
Vor allem aber wünschen sich die Demonstranten, dass auch Bars, Clubs und Discos als „systemrelevant“ anerkannt werden: „Ich hoffe mal nicht, dass St. Pauli – einer der bekanntesten Stadtteile der Welt, der so lebensfroh war – irgendwann ein Club- und Bar-Friedhof ist. Natürlich sind Clubs und Bars systemrelevant. Gerade nach der Krise“, sagte Jones. Daher sollten auch deren Vertreter in Gespräche mit Behörden und Politik einbezogen werden. Nicht nur „die großen Verbände“ sollen, laut Organisation, die Möglichkeit bekommen, an Exit-Strategien und der Erarbeitung von Hygiene-Maßnahmen mitzuwirken.
(SCOOPCOM!/dpa/KP)