Mehrwertsteuerentfristung verschärft Lage in der Gastronomie
„Die Gastronomie-Branche steht auch nach der Corona-Pandemie vor einer Vielzahl von Herausforderungen, darunter Inflation, steigende Energie- und Personalkosten sowie ein Trend zum Home-Office“, erläuterte der Deutschland-Geschäftsführer des Informationsdienstleisters Crif, Frank Schlein, am Donnerstag.
„Die Erhöhung der Mehrwertsteuer könnte die Situation, insbesondere für bereits finanziell schwache Gastronomie-Unternehmen, weiter verschärfen.“
Gut jedem zehnten Gastro-Betrieb droht die Insolvenz
August-Zahlen zufolge gelten laut einer Auswertung des Informationsdienstleisters Crif 14.219 Restaurants, Gaststätten, Imbisse und Cafés in Deutschland als insolvenzgefährdet. Das seien 11,9 Prozent der knapp 120.000 analysierten Betriebe.
Im Januar 2020, vor Ausbruch der Corona-Pandemie in Deutschland, habe die Zahl der insolvenzgefährdeten Gastronomiebetriebe bei 12.662 gelegen.
Regionale Unterschiede
Ein Blick auf die regionalen Zahlen zeigt, dass das Insolvenzrisiko bei Unternehmen aus der Gastronomie in Bremen am höchsten ist. Dort gelten 15,9 Prozent bzw. 141 der Gastronomieunternehmen als insolvenzgefährdet. Es folgen Berlin (15,8 Prozent der Gastronomen insolvenzgefährdet; absolut: 1.307), Nordrhein-Westfalen (13,7 Prozent; 3.002), Sachsen-Anhalt (13,4 Prozent; 535) und Hamburg (12,7 Prozent; 394).
Das geringste Insolvenzrisiko haben derzeit Unternehmen aus der Gastronomie in Mecklenburg-Vorpommern (9,5 Prozent; 297) und in Bayern (10 Prozent; 1.866).
Deutlich mehr Insolvenzen als 2022
Crif verwies darauf, dass im ersten Halbjahr 2023 die Zahl der Pleiten in der Gastronomie überdurchschnittlich angestiegen sei: Mit 743 Insolvenzen habe es in der Branche hierzulande in den ersten sechs Monaten des Jahres 29,4 Prozent mehr Pleiten gegeben als ein Jahr zuvor.
Auf Jahressicht 2023 prognostiziert Crif derzeit in der Gastronomie 1.600 und damit 36,5 Prozent mehr als 2022. „Im kommenden Jahr werden die Insolvenzen in der Gastronomie weiter steigen“, sagt Dr. Schlein.
Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) geht davon aus, dass bei einer Rückkehr zur vollen Mehrwertsteuer etwa 12.000 Betriebe aufgeben werden. Dies hatte eine Umfrage des Verbands unter 9.600 Mitgliedsbetrieben gezeigt.
Auch der Dehoga Bayern schlug Alarm. Er warnte davor, dass mehr als 2.000 Betriebe befürchten, schließen zu müssen, sollte die Mehrwertsteuer wieder auf 19 Prozent angehoben werden. Dies verdeutlichte eine Umfrage unter 11.000 Mitgliedern des Verbandes, an der mehr als 2.100 Befragte teilnahmen.
Forderungen aus der Branche
Der Dehoga fordert daher ebenso wie der Bundesverband der Systemgastronomie und die Hoteldirektorenvereinigung Deutschland die Beibehaltung der reduzierten Mehrwertsteuer. Auch das Deutsche Tiefkühlinstitut unterstützt die Forderung des Dehoga, den reduzierten Mehrwertsteuersatz beizubehalten.
Dabei werden die Stimmen aus der Branche lauter: Das Franchiseunternehmen Hans im Glück richtete sich z. B. in einem offenen Brief an über 300 Politiker und erhofft sich, durch diesen ein Zeichen für die Branche zu setzen, argumentative Klarheit zu bringen und der gastronomischen Perspektive ein Gehör zu verschaffen, sodass eine Mehrwertsteuererhöhung politisch abgewendet werden kann. Auch das HoGa-Netz erhob seine Stimme und forderte die Beibehaltung des Mehrwertsteuersatzes von 7 Prozent.
Um ihrem Anliegen mehr Nachdruck zu verleihen und die Politik zum Einlenken zu bewegen, haben die Jeunes Restaurateurs Deutschland um Präsident Oliver Röder nun eine Petition ins Leben gerufen. Bislang haben 13.000 Personen diese unterzeichnet. Erreicht werden, soll ein Quorum von 50.000 Unterschriften.
Stimmen aus der Politik
Sogar einige Politiker haben sich bereits für das Beibehalten der reduzieren Mehrwertsteuer ausgesprochen. So hat sich z. B. die SPD-Vorsitzende Saskia Esken dafür ausgesprochen, den ermäßigten Mehrwertsteuersatz in der Gastronomie fortzuführen. Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) teilte nach einer Kabinettssitzung in Schwerin mit, dass das Land Mecklenburg-Vorpommern eine Initiative in den Bundesrat einbringen will.
Zuletzt hatte sich Berlins Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey gegen die Rückkehr zum normalen Steuersatz von 19 Prozent für Speisen in der Gastronomie ausgesprochen.
Christian Lindner zeigt Sympathie für eine Verlängerung
Die Mehrwertsteuer auf Speisen in der Gastronomie war während der Corona-Pandemie von 19 Prozent auf 7 Prozent verringert worden. Angesichts einer befürchteten Energiekrise war die Regelung bis Ende 2023 verlängert worden.
Wie es 2024 weitergeht, habe im November abschließend der Bundestag als Haushaltsgesetzgeber zu entscheiden, hatte jüngst Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) gesagt.
In einem Interview ließ er Sympathie dafür erkennen, auf Essen im Restaurant weiterhin einen reduzierten Mehrwertsteuersatz anzusetzen. „Ich habe vielfach gesagt, dass ich Sympathie für eine Verlängerung habe“, erklärte Lindner.
Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:
- Giffey für verlängerte Steuerermäßigung für Speisen im Restaurant
- Jeunes Restaurateurs starten Petition für reduzierte Mehrwertsteuer
- Manuela Schwesig will Initiative für 7-Prozent-Mehrwertsteuer in den Bundesrat bringen
- Saskia Esken fordert Fortführung der ermäßigten Mehrwertsteuer in der Gastronomie
- JRE-Präsident warnt vor der Mehrwertsteuererhöhung
- Tourismuswirtschaft warnt vor Erhöhung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie
- Gastronomie stemmt sich gegen die Mehrwertsteuererhöhung
- Anke Rehlinger fordert dauerhaft niedrige Mehrwertsteuer in der Gastronomie
- Dehoga schlägt Alarm: Mehrwertsteuererhöhung bedroht Tausende Betriebe
- FDP und SSW wollen die ermäßigte Mehrwertsteuer in der Gastronomie beibehalten
- Deutsches Tiefkühlinstitut fordert Beibehaltung der reduzierten Mehrwertsteuer in der Gastronomie
- Union beharrt auf dauerhafter Mehrwertsteuersenkung für die Gastronomie
- Dehoga-Umfrage zeigt: Mehrwertsteuererhöhung bedroht Existenzen im Gastgewerbe
- HDV kritisiert Entscheidung zur 7-Prozent-Mehrwertsteuerregelung in der Gastronomie
- BdS fordert: „7-Prozent-Mehrwertsteuer muss bleiben!“
- Gesetzesentwurf für dauerhaft reduzierte Mehrwertsteuer abgelehnt
(dpa/SAKL)