Gasthäuser in Hessen schlagen neue Wege ein
In Hessen gibt es immer mehr Dörfer ohne Gaststätte. Im Jahr 2017 habe es landesweit noch 19 Gemeinden im ländlichen Raum mit weniger als einem Profibetrieb je 1.000 Einwohner gegeben, darunter zwei ganz ohne Gasthof, erklärt der Hauptgeschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga Hessen, Oliver Kasties, auf Anfrage.
Bis 2021 sei diese Zahl auf 42 Gemeinden angewachsen, davon drei ganz ohne einen Betrieb. Die Quote der unterversorgten Gemeinden steigt damit von 4,5 Prozent (2017) auf 9,9 Prozent (2021), wie Kasties ergänzte. Aktuellere statistische Daten liegen nicht vor.
Gasthäuser sind wichtig für die Gemeinden
„Das Gasthaussterben ist ein massiver Schaden für den ländlichen Raum“, erläutert der Dehoga-Hauptgeschäftsführer. Als Gründe nennt er die von der Bundesregierung beschlossene Erhöhung der Gastro-Mehrwertsteuer und stark gestiegene Kosten.
Wegen der unvermeidlichen Preiserhöhungen sinke die Gästenachfrage und damit auch der Umsatz. Viele Menschen könnten sich als Folge der Steuererhöhung Essen im Restaurant nicht mehr leisten, sagt Kasties.
Zudem fehlten die Nachfolger in den Betrieben.
Schlangenbad-Bärstadt zeigt, wie es geht
Allerdings gibt es auch positive Beispiele in Hessen, etwa im Taunus-Örtchen Schlangenbad-Bärstadt. Dort wurde aus der Dorfgemeinschaft heraus eine Genossenschaft gegründet, um die Kneipe im Dorf zu erhalten. Wirtschaftlich stehe die „VolksWirtschaft Lindehof“ stabil da, erklärt der erste Vorsitzende Stefan Münzer. Das Projekt sei jedoch nicht auf Gewinn ausgerichtet, bekräftigt er. Die Rendite für die Genossenschaftler gebe es in flüssiger Form – als Freibier bei der jährlichen Generalversammlung.
Dorf gründet Genossenschaft
Als es im Örtchen Bärstadt keine Dorfkneipe mehr gibt, nehmen die Menschen dort die Sache selbst in die Hand. Die Idee kam aus einer Männerrunde. „Als es hier im Dorf keine richtige Kneipe mehr gab, haben wir uns gedacht: Das versuchen wir selbst“, sagt Stefan Münzer aus der Taunus-Gemeinde Schlangenbad-Bärstadt.
Über eine Internet-Recherche kam der Kontakt zu einer genossenschaftlich geführten Gaststätte in Nordrhein-Westfalen. Eine mehrköpfige Abordnung aus Bärstadt machte sich auf den Weg zu den Initiatoren des Gasthofs Jäger in Gummersbach-Hülsenbusch. Anschließend nahm das Kneipen-Projekt im Rheingau-Taunus-Kreis Fahrt auf.
Bereits am Gründungsabend fanden sich 150 Genossen, die jeweils einen Beitrag von 100 Euro beisteuerten. „Das war für uns das Signal – es machen genügend Leute mit“, sagt Münzer, erster Vorsitzender der Genossenschaft. Im Mai 2019 eröffnete die „VolksWirtschaft Lindenhof e.G.“. In den gepachteten Räumen gab es in der Vergangenheit eine Traditionsgaststätte, zwischenzeitlich war eine To-Go-Pizzeria eingezogen.
Dorfkneipe ist wichtig für soziales Miteinander
„Bei uns war die Post weg, die Bank weg, der Metzger hatte zu – es fehlten zunehmend Impulse für den gesellschaftlichen Zusammenhalt“, erzählt Münzer. Die neue Kneipe habe dem Ort neuen Schwung gegeben.
Vorstandsmitglied Andrea Meyer berichtet, die „VolksWirtschaft“ mache es auch für Zugezogene leichter, in der Dorfgemeinschaft dabei zu sein.
Viele der inzwischen rund 200 Genossenschaftler kannten sich schon vorher, etwa aus einer Theatergruppe, wie Vorstandsmitglied Kerstin Höhn erzählt. Aber einige stammten nicht aus Bärstadt, sondern aus umliegenden Ortschaften – das gilt auch für das ehrenamtliche Thekenteam.
Rendite wird mit Bier ausgezahlt
Wirtschaftlich stehe die „VolksWirtschaft“ stabil da, erklärt Münzer. Das werde vom Genossenschaftsverband jährlich geprüft. Das Projekt sei nicht auf Gewinn ausgerichtet, bekräftigt er. Die Rendite für die Genossenschaftler gebe es in flüssiger Form – als Freibier bei der jährlichen Generalversammlung.
Dem ersten Vorsitzenden ist es wichtig, das Modell weiterzutragen und andere Initiativen mit dem Know-how aus Bärstadt zu unterstützen – erst vor Kurzem hat er dazu einen Vortrag im nordhessischen Habichtswald gehalten.
„Gastwerk“ Gießen-Wieseck geht anderen Weg
Nicht als Genossenschaft, sondern als Familienprojekt haben die drei Schwestern Larina Keller, Vanessa Neumann und Daniela Neumann 2023 das alteingesessene, gutbürgerliche Traditionslokal „Waldfrieden“ in Gießen-Wieseck übernommen. Das Trio habe nach neuen beruflichen Herausforderungen gesucht und gemeinsam ein Konzept entwickelt. „Und dazu suchten wir eine passende Immobilie“, berichtet Daniela Neumann.
Die drei Gründerinnen standen vor der Aufgabe, 1.000 Quadratmeter mit neuem Leben zu füllen. Schnitzel, Kotelett und Co. kommen in dem Konzept der Schwestern nicht vor. Sie haben stattdessen vor rund einem Jahr ein Gartencafé eröffnet. Das „Gastwerk Waldfrieden“ soll zudem Räume bieten für Veranstaltungen, Feiern, kreative Workshops oder Handwerkskurse.
„Das Konzept wird gut angenommen“, sagt Daniela Neumann. Manche der Stammgäste vermissten zwar ihr Schnitzel und fragten, wann es denn wieder „richtiges Essen“ gäbe – aber es seien viele neue Besucher dazugekommen. Bald stehen auch die komplett modernisierten Gästezimmer mit insgesamt zwölf Betten für Übernachtungen bereit.
Ausschreibung: Hessens beste Dorfgasthäuser
Um soziales Miteinander, Geselligkeit und Vereinsleben zu fördern, ist in Hessen 2024 zum dritten Mal der Wettbewerb für „Die besten Dorfgasthäuser“ ausgelobt worden. Aus einer Vielzahl von Bewerbungen wurden 50 Häuser prämiert. Sie erhielten eine Urkunde und eine Plakette für das Gasthaus.
Außerdem werden sie in den Gastronomieführer „Die besten Dorfgasthäuser in Hessen“ des Hotel- und Gastronomieverbandes Dehoga aufgenommen. Darin ist unter anderem die „VolksWirtschaft“ in Schlangenbad-Bärstadt zu finden.
„In unseren Dorfgasthäusern halten die Menschen Traditionen, Geschichten und Kultur am Leben“, hatte Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) zur Prämierung erklärt. Er kündigte an, dass das Sonderprogramm des Landes zum Erhalt und zur Stärkung von Hotellerie und Gastronomie in ländlichen Räumen fortgesetzt werden soll.
(dpa/CHHI)