„Mein Büro entspricht der Käfighaltung!“
Quinoa, geraspelte Karotten, Salat und ein Stück Räucherfisch – der Mittagsteller von TV-Köchin und Politik-Quereinsteigerin Sarah Wiener in der Kantine des EU-Parlaments ist voll mit Nahrungsmitteln, die man gemeinhin als gesund bezeichnet. Sie schaut sich im Restaurant um. „Politiker neigen manchmal zu einem gewissen Übergewicht“, sagt die 56-Jährige. Das sei aber auch kein Wunder, wenn man permanent sitze und dann Nervennahrung für die Konzentration brauche. Die Themen Ernährung und Landwirtschaft sind nun auch ihre politischen Steckenpferde. Im Mai 2019 wurde Wiener für die österreichischen Grünen in das Parlament gewählt. „Ab heute geht’s los mit der Politik“, sagt die Fernsehköchin. In Brüssel habe sie zwar schon ein paar Fraktionssitzungen gehabt. Bei der konstituierenden Sitzung in Straßburg habe sie nun aber zum ersten Mal alle ihre Kollegen gesehen. Auch einen ersten politischen Kompromiss habe sie schon machen müssen, erklärt die Österreicherin – und auf die Mitgliedschaft im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit verzichten müssen. Dafür sei sie jetzt aber im Verbraucherschutz-Ausschuss und Vollmitglied im Ausschuss für Landwirtschaft. „Das wollte ich unbedingt“, so Wiener.
Von der Ernährungswende bis zu nachhaltigen Landwirtschaft
Ab September geht die Arbeit im EU-Parlament so richtig los. Auf ihrer Agenda stünden schon einige Punkte, sagt die 56-Jährige – die seien aber noch nicht ganz spruchreif. Generell dreht sich bei der politischen Sarah Wiener im Parlament alles um die Themen Ernährungswende, nachhaltige Ernährungssysteme und Landwirtschaftsstrukturen. Sie fühle sich den Menschen, die sie gewählt haben, verpflichtet. „Ihr verlängerter Arm und ihre Stimme zu sein“, sagt sie. „Und das nehme ich sehr ernst.“ Auf Facebook zieht Wiener dann noch mal im Detail Bilanz. Zum Beispiel erklärt sie, warum sie sich gezwungen sieht, im Flugzeug nach Straßburg und Brüssel zu reisen. Das sei „Mist“. Es gebe aus Berlin keine Nachtzüge zu sozialverträglichen Zeiten, ohne mitten in der Nacht umzusteigen. „Das zum Beispiel bis zu fünfmalige Umsteigen aus der Uckermark bringt mir nur Wettbewerbsnachteile anderen Abgeordneten gegenüber. Ich will keine Sorge um Zuganschlüsse und Krämpfe vom Kofferschleppen und -zerren kriegen.“
„Wenn sich da nix ändern lässt, mach ich meine eigene Küche!“
Und auch das Leben in Straßburg habe so seine Tücken, schreibt Wiener. „Mein Büro entspricht der Käfighaltung, die wir bei den Hühnern abschaffen wollen. Ich schaue auf eine Brandmauer.“ Aber man solle ja auch arbeiten. Anderes regt sie da viel mehr auf: „Eine echte Katastrophe ist, dass es für die Tausenden Leute keinen einzigen Liter Frischmilch gibt! Nirgends! Raus auf die Straße kommst du aber in Straßburg auch nicht, und es kostet ja auch Zeit. Und ich habe noch keinen einzigen Laden mit Frischmilch gefunden.“ Überhaupt die Verpflegung: „Wenn sich da nix ändern lässt, dann mach ich meine eigene Küche. Hab ich mir vorgenommen.“
Beim Essen mehr aufs Bauchgefühl hören
In den 80er Jahren zog es Wiener nach Berlin, wo ihr Vater das Szenerestaurant „Exil“ führte. Dort kultivierte sie in der Küche ihre Leidenschaft für Mehlspeisen. 1990 kaufte sie einen Wagen der DDR-Armee und bekochte Filmteams. Es folgten: Kochbücher, Fernsehen, Restaurants, eine Bäckerei, und jüngst ein Buch über Bienen. Außerdem betreibt sie in Brandenburg den Biobauernhof Gut Kerkow. Von ihren Tätigkeiten als Unternehmerin müsse sie nun aber einiges zurückfahren. „Ich musste meine Radiokolumne aufgeben. Ich muss erstmal herausfinden, wie viel Zeit und ob ich Zeit habe für Nebenprojekte“, sagt sie dpa. Auch ein Umzug nach Brüssel stehe an – ihre Wohnung in Berlin hat sie aufgegeben. Zeit, um die belgische Hauptstadt zu erkunden, habe sie aber noch nicht viel gehabt – zu viel Arbeit im Parlament. In die Kantine habe sie es dort allerdings schon geschafft. Das Fazit: „Ich finde, Menschen, die für eine Ernährungswende kämpfen, sollte man auch gut füttern, wenn wir hier schon in Käfighaltung gehalten werden.“ Wiener sagt, beim Essen sollten die Menschen wieder mehr auf ihr gesundes Bauchgefühl – auf gut Österreichisch: den „Hausverstand“ – hören. Nach dem Salatteller gibt es deswegen dann auch noch zwei französische Mini-Eclair mit Kaffee-Creme.