„Die Politik versteht die Besonderheiten der Branche nicht“
„Wir sind noch lange nicht über dem Berg und die uneinheitlichen Regelungen in den Bundesländern erschweren den Restart in der Touristik massiv“: So lautete das Fazit der Speaker beim ersten virtuellen Presse-Roundtable, in dem das neue Aktionsbündnis Tourismusvielfalt (ATV) die aktuelle Situation der Tourismusbranche erörterte. Der Verbund wies dabei auch auf eine dramatische Abwanderung von Fachkräften hin und forderte einmal mehr „einen längst überfälligen Tourismusgipfel der Bundesregierung mit touristischen Branchenvertretern“.
Die Bündnispartner stehen für rund zehntausend Unternehmen, die für über eine Million Arbeitsplätze verantwortlich sind, „und damit deutlich mehr als die Autoindustrie, die in der Politik leider eine viel stärkere Gewichtung als die Touristik hat“, bedauerte ATV-Sprecher Michael Buller einleitend. Er betonte, dass die Dauerkrise durch die Corona-Pandemie nicht auf Knopfdruck zu lösen sei. „Wir brauchen daher die Zusammenarbeit und das Gehör aller touristischen Verbände“, erläuterte er die Hintergründe zur Gründung des Aktionsbündnisses.
Kein wirtschaftlicher Betrieb möglich
Für die Bundestouristik machte Christiane Leonard, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands Deutscher Omnibusunternehmen (bdo), im Roundtable auf die noch immer dramatische Lage durch die Corona-Krise aufmerksam. „Das größte aktuelle Problem ist, dass beim jetzt einsetzenden Restart eine Koordination der Bundesländer fehlt“, kritisierte sie. „Durch einen Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen ist in der Praxis trotz erfolgter Freigaben kein wirtschaftlicher Betrieb möglich.“ Dies treffe nicht nur die Busbranche hart: Aufgrund der engen Verbindung der Busunternehmen zu anderen Teilen der Reisewirtschaft – wie z.B. Hotellerie, Gastronomie, Freizeitparks oder Kultureinrichtungen – leide das gesamte System weiter mehr als nötig, so ihre Einschätzung zum derzeitigen Status Quo der Touristik.
Personalmangel stellt Betriebe vor Probleme
„Wir stehen vor einem Riesen-Scherbenhaufen“, fasst Zeèv Rosenberg, Vorstand und stellvertretender Präsident der Hospitality Sales & Marketing Association (HSMA) Deutschland und hauptberuflich als Projektleiter bei der AMANO Group in Berlin als Projektleiter tätig, die desolate Lage in der Hotellerie zusammen. „Zwar zieht die Buchungslage momentan an, aber wir werden die Folgen der Corona-Krise im Hotelbereich noch lange spüren“, lautete seine Prognose. Da rund 30 Prozent der Mitarbeiter aus der Branche entflohen seien, stelle die Kompensation des Personalmangels für die Betriebe ein großes Problem dar. „Zudem wird die Stadthotellerie weiter stark leiden, denn es fehlen in diesem Jahr die Messen und Kongresse und es gibt für die Branche aktuell keine Perspektive diesbezüglich für 2022.“ Er kritisierte zudem, dass viele Fördergelder noch nicht an die Hotelunternehmen ausbezahlt worden seien.
Unterschiedliche Regeln führen zu Ungerechtigkeiten
Auch für den Ferienhausbereich stellt „der Flickenteppich der unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern“ derzeit eines der größten Probleme dar, äußerte sich Michelle Schwefel, Leiterin der Geschäftsstelle beim Deutschen Ferienhausverband (DFV), im Roundtable. „Die führt nicht nur zu Ungerechtigkeiten, sondern vor allem auch zu einer Verunsicherung bei Anbietern und Urlaubsgästen“, lautete ihre Kritik. Vor allem im strukturschwachen Raum stelle der Ferienwohnungs-Tourismus einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar. „Es bleibt abzuwarten, wie viele Anbieter die Krise überstehen“, sorgt sich Michelle Schwefel. 50 Prozent hätten sich an Ostern noch in ihrer Existenz bedroht gesehen – auch aufgrund des Dauerthemas fehlende Hilfszahlungen. „Die Politik versteht die Besonderheiten der Reisebranche nicht.“
Zeitversetzte Verläufe der Infektionswellen
Petra Thomas, ATV-Sprecherin und Geschäftsführerin von Forum Anders Reisen, gewährte einen Einblick in die Situation der Reiseveranstalter. „Hier gilt es erst einmal, alle Akteure wieder zusammenzutrommeln, da es in vielen Ländern keine oder nur geringe staatliche Hilfe gab, und das wirtschaftliche Überleben bei vielen alles andere als gesichert ist“, lautete ihre aktuelle Einschätzung. Zudem müssten Fernreiseveranstalter aufgrund von zum Teil zeitversetzten Verläufen der Infektionswellen und fehlender Impfstoffe einen weitaus längeren Atem haben. „Dafür braucht es weitere staatliche Überbrückungsgelder, die Förderung darf nicht zu früh aufhören, um die Unternehmen in der anhaltenden Krise nicht allein zu lassen.“ Wie schaffe ich ein Gruppenerlebnis Corona-konform und wie gehe ich mit einem unterschiedlichen Schutzstatus um, wenn Eltern geimpft sind, Kinder aber nicht? Auch dies sind Petra Thomas zufolge noch wichtige Fragen, die für Veranstalter geklärt werden müssen.
Verbindliche, einheitliche und transparente Rahmenbedingungen
Abschließend forderte Anke Budde, Vizepräsidentin und Geschäftsstellenleiterin bei der Allianz selbständiger Reiseunternehmen (asr), für den Reisevertrieb verbindliche, einheitliche und transparente Rahmenbedingungen der Politik als Grundlage für einen erfolgreichen Restart. „Wir brauchen nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern auch international einheitliche Regelungen für den Reiseverkehr“, lautete ihre Forderung. Zudem müssten im Rahmen von Tourismus-Aufbaufonds Fördergelder bereitgestellt und gemeinsame Maßnahmen von Branche und Politik umgesetzt werden, um die Tourismuswirtschaft wieder aufzubauen und das Vertrauen der Kunden – vor allem in die Sicherheit des Reisens – nachhaltig zurückzugewinnen.
(Aktionsbündnis Tourismusvielfalt/NZ)