Wenig Hoffnung auf Lockdown-Entschädigung
Die Lockdowns in der Corona-Pandemie haben viele Branchen hart getroffen – aber der Bundesgerichtshof (BGH) macht Betroffenen wenig Hoffnung auf staatliche Entschädigung. Die obersten Zivilrichter in Karlsruhe bezweifeln, dass die im Infektionsschutzgesetz vorgesehenen Entschädigungsregelungen für flächendeckende Betriebsschließungen gedacht sind. Das wurde am Donnerstag in der Verhandlung eines Musterfalls aus Brandenburg deutlich. Das Urteil wird am 17. März verkündet. (Az. III ZR 79/21)
Der Vorsitzende Richter Ulrich Herrmann sagte aber bereits, es gehe hier möglicherweise generell nicht um Staatshaftung, sondern um eine sozialstaatliche Frage. Der Fall habe sehr grundsätzliche Bedeutung. Bundesweit gebe es eine sehr große Zahl ähnlicher Gerichtsverfahren.
Entschädigung für die verbliebenen Einbußen
Um die Ausbreitung des neuen Virus zu stoppen, hatten Bund und Länder in der ersten Pandemie-Welle im März 2020 das öffentliche Leben mit drastischen Maßnahmen heruntergefahren. Auch die Gastronomie musste schließen, Hotels durften keine Touristen mehr aufnehmen.
Das traf auch Schloss Diedersdorf, einen familiengeführten Betrieb mit Hotel, mehreren Restaurants und großem Biergarten südlich von Berlin. Auf dem Gelände gibt es 14 Veranstaltungsräumlichkeiten mit insgesamt 4.000 Sitzplätzen, dazu 100 Hotelbetten, sagt Salina Worm, die an der Seite ihres Vaters Thomas Schloss Diedersdorf führt. Im Frühjahr 2020 konnten wochenlang nur noch Glühwein und Bier zum Mitnehmen verkauft werden. „Im Vergleich zu dem, was wir sonst machen, ist das ein Bruchteil“, sagt die 21-Jährige.
Das Infektionsschutzgesetz sieht zwar in bestimmten Fällen eine finanzielle Entschädigung vor – aber nur für jemanden, der „als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern“ Verdienstausfälle hat.
Worm fordert Gleichbehandlung
Salina Worm stört vor allem „die Ungleichbehandlung, die hinter der ganzen Sache steckt“: Ein Betrieb, den die Behörden wegen eines Corona-Falls schließen, werde entschädigt. „Wir haben gesetzeskonform gehandelt und viel Geld in Hygienemaßnahmen investiert“, sagt sie. „Wir wurden trotzdem geschlossen, und es gibt keine Entschädigung.“
Die Familie hat 60.000 Euro Soforthilfe bekommen. „Aber das eine hat mit dem anderen nichts zu tun“, findet Worm. „Und die Soforthilfe mussten wir jetzt auch zurückzahlen.“ Mit der Klage fordert ihr Vater vom Land Brandenburg Entschädigung für die verbliebenen Einbußen, rund 27.000 Euro zunächst. Die genaue Schadenshöhe müsste nachträglich ermittelt werden, falls die Worms Recht bekommen.
Rechtsanwalt Joachim Kummer, der die Familie vor dem BGH vertritt, sagte in der Verhandlung, sein Mandant mache einen Vermögensnachteil von 5.438 Euro am Tag geltend – durch entgangenen Gewinn und laufende Kosten. Die Soforthilfe decke gerade einmal elf Tage ab. Worm müsse erst recht entschädigt werden: Niemand aus seinem Betrieb habe Corona gehabt, trotzdem sei er mit den Maßnahmen belegt worden.
Bewertung des Dehoga
Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) beklagt branchenweit verheerende Folgen. „Insgesamt neun Monate Lockdown und eine Vielzahl von weitreichenden Corona-Maßnahmen haben riesige Löcher in die Bilanzen unserer Unternehmer gerissen“, teilt eine Sprecherin mit. Von März 2020 bis Dezember 2021 habe die Branche real 73,8 Milliarden Euro an Umsatz verloren. Das entspreche einem Minus von 40,3 Prozent 2021 und 39,0 Prozent im Jahr 2020.
Muss diese Schäden der Staat ausgleichen? Dafür ist die Situation zu komplex, sagt BGH-Anwalt Guido Toussaint, der das Land Brandenburg vertritt. Die Pandemie habe auch Branchen hart getroffen, die nicht unmittelbar von Schließungsanordnungen betroffen waren. Und die wirtschaftlichen Folgen wären womöglich noch viel höher, hätte der Staat nicht eingegriffen. Es sei nicht Aufgabe der Gerichte, hier eine angemessene Lösung zu finden, sondern des Gesetzgebers.
Begründung der Vorinstanz
So hatte es auch das Oberlandesgericht Brandenburg gesehen, das Worms Klage in der Vorinstanz abgewiesen hatte. Eine Regelung sei dem Gesetzgeber vorbehalten – „nicht zuletzt deshalb, weil die Zubilligung von Entschädigungs- oder Ausgleichsansprüchen in Massen-Schadensfällen weitreichende Folgen für die Staatsfinanzen haben kann“, heißt es in dem Urteil vom 1. Juni 2021.
Die Corona-Pandemie sei „ein Schadensgroßereignis, das die gesamte Gesellschaft und weite Teile der Wirtschaft traf und trifft“. Die „sozialverträgliche Verteilung der pandemiebedingt ungleichen Lasten“ sei daher „eine in erster Linie sozialstaatliche Herausforderung“.
(dpa/CSL)