Kommentar

Wirte als Spielball der Politik

Formular der Stadt Wien aus, mit dem sich jeder Gast bei einem Lokalbesuch registrieren muss
So sieht das offizielle Formular der Stadt Wien aus, mit dem sich jeder Gast bei einem Lokalbesuch registrieren muss, wobei auch individuelle Layouts oder elektronische Lösungen zulässig sind. (© Stadt Wien)
In einigen österreichischen Bundesländern wurde die Sperrstunde jetzt vorverlegt, in anderen müssen sich Gäste registrieren und in manchen bleibt alles wie es ist. Willkommen im Föderalismus!
Montag, 28.09.2020, 11:41 Uhr, Autor: Clemens Kriegelstein

Corona hat Gastronomie und vor allem Tourismus wieder fest im Griff, wechselseitige Reisewarnungen werden wie beiläufig ausgesprochen und ändern sich beinahe im Stundentakt, das längerfristige Planen von Reisen oder größeren Veranstaltungen ist zu einem Glückspiel geworden, gegen das jedes Roulettespiel geradezu eine Wissenschaft ist. Besonders übel ist es allerdings, wenn jetzt Politiker beginnen, alle ihr eigenes Süppchen zu kochen. Siehe Österreichs Bundesländer: In Vorarlberg, Tirol und Salzburg gilt seit wenigen Tagen eine Sperrstunde von 22 Uhr. (Wird im Hangar-7, bei Obauers & Co sicher spannend, wie man ein 6-Gang-Menü mit allem Schnickschnack in zwei bis drei Stunden unterbringen soll…) Im Rest des Landes dürfen Lokale dagegen weiterhin bis 1 Uhr öffnen. Allerdings gilt in Wien und Niederösterreich aktuell eine Registrierungspflicht für alle Gäste. Bedeutet: Jeder Gastronomiekunde muss Namen, Telefonnummer und Mailadresse bekanntgeben, tut er das nicht, droht im Extremfall dem Wirt eine Strafe. Nur zur Ausweiskontrolle ist die Gastronomie (noch) nicht verpflichtet. Wer also statt Peter Schmid als Namen Gerhard Meier angibt, macht sich maximal selbst strafbar.

Die Zettelwirtschaft (pro Gast ein Formular, das wochenlang aufbewahrt werden muss, öffentlich ausgehängte Namenslisten sind aus Datenschutzgrünen unzulässig) wird trotzdem ins Unermessliche gehen. Und auch wenn etwa Gastronomie-Obmann Mario Pulker die Maßnahme versucht positiv zu sehen („Eine Vorverlegung der Sperrstunde wäre für sehr viele unserer Betriebe eine finanzielle Katastrophe. Jedes Mittel, um das zu verhindern, soll uns recht sein.“), wird diese Registrierung wohl den einen oder anderen Gast vom Lokalbesuch abhalten, sei es weil man seine Daten – aus welchem Grund auch immer – nicht angeben möchte, sei es weil einem der Aufwand für einen schnellen Kaffee zu groß erscheint, sei es weil man nicht riskieren möchte, zehn Tage in Quarantäne zu müssen, nur weil drei Tische weiter eventuell ein Corona-Infizierter gesessen ist.

Wahlkampfzeiten

Indes drängt die Bundes-ÖVP speziell auch Wien, seit Wochen der Hotspot der Neuerkrankungen, ebenfalls auf eine Vorverlegung der Sperrstunde, was Wiens SPÖ-Bürgermeister Ludwig erstens aus Prinzip verweigert und zweitens herrscht in Wien ja gerade Wahlkampf, also will man da ohnehin alles vermeiden, was danach aussehen könnte, man hätte Corona nicht im Griff. Wobei sich die Gerüchte verdichten, dass es auch in Wien bald nach der Wahl am 11. Oktober zu weiteren Verschärfungen kommen könnte.

Und so geht bei einer weltweiten Pandemie weiterhin nicht nur jeder einzelne Staat seine eigenen Wege, sondern in Österreich auch jedes Bundesland. Fehlt nur noch, dass in Wien jeder Bezirksvorstehen seine eigenen Regeln aufstellt. Wobei – vielleicht sollte man das nicht zu laut sagen… Übrig bleibt in jedem Fall der Wirt, der binnen kürzester Zeit jede neue Volte der Politik zu exekutieren hat und dabei je nach Standort entweder Glück oder Pech hat. Eine einheitliche, langfristige und stringente Politik sieht jedenfalls anders aus.

Zurück zur Startseite

Weitere Themen

Frau schreibt auf einem Notizblock
Corona-Maßnahmen
Corona-Maßnahmen

Kommt Registrierungspflicht in ganz Österreich?

Gesundheitsminister Rudi Anschober sieht große Vorteile beim Contact-Tracing: „Wenn es datenschutzkonform ist, dann ist das ein unterstützenswerter Weg.“
weiblicher Gast und Kellner in einem Caféhaus
Steigende Corona-Zahlen
Steigende Corona-Zahlen

Neue Verschärfungen für die Gastronomie

Ab Montag null Uhr gilt in Österreichs Gastronomie u.a. die Pflicht zu einem Mund-Nasenschutz auch wieder für Gäste. Die Senkung der MWSt für Gastronomie und Hotellerie wird bis 2021 verlängert.
Würstelstand-Besucherin und -Mitarbeiter mit Mund-Nasenschutz
Österreich verschärft Maßnahmen
Österreich verschärft Maßnahmen

Maskenpflicht in der Gastronomie kommt wieder

In Österreich sind in den vergangenen Tagen die Coronazahlen deutlich gestiegen. Als Resultat davon wird die Maskenpflicht in der Gastronomie für Servicemitarbeiter wiedereingeführt.
Junger Mann sintzt in einem Lokal und schaut auf sein Handy
Corona-Gästelisten
Corona-Gästelisten

Zettel-Chaos befürchtet

In Österreich überlegt man analog zu Deutschland oder der Schweiz Gästelisten in der Gastronomie einzuführen. Der Wirtschaftsbund übt an diesem Vorstoß Kritik.
Eine junge Frau verzweifelt im Büro zwischen vielen Aktenordnern und zerknülltem Papier.
Kommentar
Kommentar

Anwesenheitslisten sind keine Lösung

Noch mehr Bürokratie, noch mehr Papierkram: Der Aufwands-Nutzen-Faktor von verpflichtenden Anwesenheitslisten in Österreichs Gastronomie wäre wohl überschaubar.
Mann füllt Formular aus
Contact Tracing
Contact Tracing

Kommen jetzt Anwesenheitslisten in der österreichischen Gastronomie?

In Österreich denkt die Regierung über die namentliche Erfassung von Lokalgästen nach, um neue Cluster schneller eindämmen zu können – vorerst aber nur auf freiwilliger Basis.
Panorama von Euro Banknoten und Münzen
CORONA-HILFE
CORONA-HILFE

Übernahme der Fixkosten wird ausgeweitet

Österreichs Finanzminister Gernot Blümel hat aktuell einen 100-prozentigen Fixkostenzuschuss für Firmen aus besonders betroffenen Branchen, etwa Nachtgastronomie, Veranstalter oder Reisebüros, angekündigt.
Discoszene
Sperrstunde verlängert
Sperrstunde verlängert

Österreichs Nachtclubs bleiben weiter geschlossen

Aufgrund der steigenden Corona-Zahlen wird in ursprünglich für 1. August in Aussicht gestellte Öffnung der Nachgastronomie für mindestens zwei Wochen verschoben.
Leere Disco-Tanzfläche
Entscheidung über Nachtgastronomie am 15. Juli
Entscheidung über Nachtgastronomie am 15. Juli

Dürfen Clubs und Discos ab 1. August wieder aufsperren?

Derzeit laufen Gespräche zwischen Branchenvertretern und dem Gesundheits- sowie Tourismusministerium in Österreich. Die Politik gibt sich allerdings noch abwartend.