Klima und Wirtschaft im Einklang: Keine Mission Impossible
Rund 1.000 Menschen waren vom 31. Januar bis 1. Februar in die Berliner Urania gekommen und erlebten ein mit zahlreichen Highlights gespicktes Kongressprogramm, das in diesem Jahr das Schwerpunktthema Thema Food aufgegriffen hatte. Welch einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert ein bewusster Umgang mit den Ressourcen unserer Erde heute hat, bewies die Gästeliste der Veranstaltung: Bundesumweltministerin Svenja Schulze war nicht die einzige prominente Rednerin in der Urania. Auch der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Dr. Anton Hofreiter und die beiden Europa-Parlamentarierinnen Delara Burkhardt (SPD) und Sarah Wiener (Die Grünen) waren der Einladung gefolgt. Dazu kamen zahlreiche Unternehmer, wie z.B. Alfred Ritter, Eigentümer des Süßwarenherstellers Alfred Ritter GmbH & Co. KG. oder Heiner Klokkers, CEO der Hubergroup sowie einige Visionäre mit Best-Practice Projekten im Gepäck.
Der rote Faden durch alle Vorträge und Panels war dabei stets die Cradle-to-Cradle-Philosophie: Sie beginnt bereits bei der Entwicklung eines Produkts oder einer Dienstleistung und definiert zunächst ein Nutzungsszenario. Davon ausgehend werden gesunde und komplett kreislauffähige Materialien ausgewählt, bei der Produktion auf erneuerbare Energien gesetzt und hohe soziale Standards eingehalten. Ein Win-win für alle Seiten – für Mensch, Umwelt und Wirtschaft – sind die C2C-Befürworter sich einig. Kein Wunder also, dass Bundesumweltministerin Svenja Schulze die Schirmherrschaft für den C2C Congress übernommen hat.
Optimistischer und visionärer Ansatz
„Ich bin der Überzeugung, dass eine Lösung der Umwelt- und Klimaprobleme den Wirtschaftsstandort nicht schwächen wird“, sagte Svenja Schulze in ihrem Grußwort. „Es ist wichtig, dass wir über Perspektiven und Chancen reden“, fügte sie hinzu. Der Cradle to Cradle Ansatz sei „sehr optimistisch, sehr visionär“ und entspreche damit genau dieser Richtung.
Dass das 2019 verabschiedete Klimapaket als einziger politischer Aufschlag ausreiche, um entsprechende Rahmenbedingungen zu setzen, sei nicht realistisch, so Schulze in der anschließenden Diskussion mit der geschäftsführenden Vorständin der veranstaltenden Cradle to Cradle NGO, Nora Sophie Griefahn, Sabine Nallinger, Vorständin Stiftung 2 – Deutsche Unternehmer für Klimaschutz, und Reinhard Schneider, Eigentümer Werner & Mertz GmbH (bekannt für die Marke Frosch). „Wir müssen dranbleiben, jedes Jahr nachlegen und weitere Maßnahmen einführen“, so Schulze.
Mit neuen Technologien international punkten
Die deutschen Unternehmen müssten sich ihrer Verantwortung für Umwelt und Klima stellen, sagte Nallinger. Und das schon alleine aus Wettbewerbsgründen. „Klimafreundliche Technologien sind eine Chance, um im internationalen Wettbewerb besser zu sein als andere. Wir müssen noch viel mehr im Rahmen von C2C-Produktdesign, neuen Sharing-Modellen und neuen organisatorischen Lösungen schaffen“, so Nallinger.
Ein Beispiel dafür ist der Reinigungsmittelhersteller Werner & Mertz, der Schneider zufolge eine gesellschaftliche Veränderung spürt. „Wir arbeiten seit 30 Jahren gegen das Vorurteil, dass Nachhaltigkeit zugleich Verzicht bedeutet. Heute gibt es noch viel mehr Technologien, die diesen vermeintlichen Zielkonflikt zu überwinden helfen“, so Schneider. Das komme immer stärker in der Gesellschaft an.
Die wichtige Rolle der Landwirtschaft
Auch welche Rahmenbedingungen die EU-Gesetzgebung schaffen muss, um eine effektive Kreislaufwirtschaft zu fördern, war Thema in einer spannenden Gesprächsrunde, an der u.a. die Köchin und Kochbuchautorin Sarah Wiener teilnahm, die seit vergangenem Jahr als Mitglied der Grünen im Europäischen Parlament sitzt. Die im Dezember 2019 vorgestellten Maßnahmen für mehr Klimaschutz, der Green Deal, seien ihrer Ansicht nach ein Schritt in die richtige Richtung.
„Mich hat aber empört, dass die Themen Landwirtschaft und Handel überhaupt nicht in dem Paket vorkommen. Wir können kein nachhaltiges Wirtschaftssystem schaffen, wenn die Landwirtschaft ausgenommen ist. An diesem Sektor hängen die Agrochemie, das Transportwesen sowie globale Waren- und Ressourcenströme. Fehlende Biodiversität und soziale Standards sowie vergiftete Böden sind weitere, extrem komplexe Probleme der europäischen Landwirtschaft. Der Großteil der EU-Milliarden, die in den Sektor fließen sind reine Flächensubventionen – und die setzen völlig falsche Anreize“, so Sarah Wiener.
Jeder muss sich geheizte Wohnung leisten können
EU-Parlamentarierin Delara Burkhardt (SPD) kassierte derweil viel Beifall für ihre Forderung, das „eingebaute Verfallsdatum in Elektrogeräten“ per EU-Gesetz zu verbieten. Auf diese Weise könne man viel Müll und Belastung für die Umwelt vermeiden und zugleich den Menschen etwas Gutes tun. Überhaupt, so forderte sie, solle der Klimaschutz nicht zulasten der kleinen Leute gehen. „Es kann nicht sein, dass sich die Menschen in Europa entscheiden müssen, ob sie eine warme Mahlzeit wollen oder ihre Wohnung heizen“, stellt sie klar.
Neben viel Theorie, demonstrierte der Kongress auch einige handfeste Beispiele, wie das Denken in Kreisläufen zukünftig unsere Gesellschaft und Umwelt positiv verändern kann. So wie das Projekt, das Dr. Maximilian Abouleish-Boes von der SEKEM Holding, vorstellte: 1977 gründete sein Schwiegervater, Dr. Ibrahim Abouleish, die SEKEM Initiative auf einem unberührten Teil der ägyptischen Wüste (70 Hektar), 60 km nordöstlich von Kairo. Mit biodynamischen Methoden revitalisierte er das Wüstenland und gründete ein Landwirtschaftsunternehmen. Im Laufe der Jahre ist SEKEM zum Dach einer facettenreichen agroindustriellen Unternehmensgruppe und verschiedener NGOs geworden.
Urban Farming – die Natur als Vorbild
Viel Beachtung fand Unternehmerin Anne-Kathrin Kuhlemann, die auf ihrer StadtFarm Smart Urban Farming direkt im Herzen Berlins lebt. Mit AquaTerraPonik produziert das Team nach dem Vorbild der Natur und in Kreisläufen lokal und nachhaltig frischen Fisch, Salate, Kräuter & Gemüse. Visionär, kulinarisch, die Nachbarschaft als Partner für lokale Partizipation ist die Stadtfarm heute Treffpunkt für alle, die pure Natur und Genuss erleben wollen. Weitere StadtFarmen sollen schon bald kommen, verspricht Kuhlemann, die sich ihr Kapital per Crowdfunding beschafft hat.
Beispiele wie diese kamen beim Publikum besonders gut an. Denn sie zeigten vor allem eines: Cradle to Cradle steht für eine nachhaltige Lebensweise, die eben nicht unbedingt mit knallhartem Verzicht verbunden ist – sondern in erster Linie das Leben der Menschen schöner und gesünder machen kann.