Gastro Sessions: Leidenschaft lässt sich nicht digitalisieren
Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz zur Begrüßung einräumt, dass „das mit der Mehrwertsteuer ganz schön blöd gelaufen ist“ und Scooter-Frontman HP Baxxter noch viel Spaß mit dem spannenden Thema KI wünscht, dann ist vermutlich ebenjene Künstliche Intelligenz im Spiel, die derzeit nicht nur die Gastronomie, sondern die ganze Welt auf den Kopf stellt. Und so hatte der Leaders Club seine diesjährigen Gastro Sessions unter das Motto „People’s Business Meets Technology“ gestellt.
Rund 130 Teilnehmer folgten der Einladung zur zweitägigen Konferenz in das historische Kutschstall Ensemble im Herzen Potsdams, darunter ebenso wissbegierige Start-up-Gründer wie die Veteranen der deutschen Gastro-Szene.
Sie alle erlebten ein inspirierendes Programm aus Vorträgen, Panels und Deep Dives zu den nur scheinbar gegensätzlichen Themen Digitalisierung und Menschenführung.
Spätestens bei der finalen Gesprächsrunde war klar: Künstliche und menschliche Intelligenz müssen in der Hospitality der Zukunft zwingend zusammenarbeiten, um wirtschaftlich erfolgreiche, mitarbeiterfreundliche und die Gäste begeisternde Konzepte zu gestalten. Denn trotz der Vielfalt neuer Möglichkeiten der Technologie ist der zwischenmenschliche Kontakt ganz besonders in der Gastronomie unverzichtbar.
„Auch wenn viele Dinge, von denen wir heute als Zukunft reden, andernorts schon längst existieren“, verwies Moderator Michael Kuriat auf selbstfahrende Busse, digitale Schwimmbadüberwachung oder den ersten KI-Radiosender. „Wenn wir uns mit diesen Dingen beschäftigen, sollten wir kontrovers diskutieren und bereit sein, neue Wege zu gehen. Aber“, so Kuriat, „Wir sind und bleiben ein People Business und werden nie auf Menschen verzichten können.“
Nicht Mitarbeiter-, sondern Gastgebermangel
Warum nicht, das erklärte Gastgeber René „Redo“ Dost: „Leidenschaft lässt sich nicht digitalisieren. Das kann keine KI!“. Durch Corona sei diese Leidenschaft bei den Menschen ein Stück weit weggebrochen, beobachtet der Unternehmer, der in Potsdam zu den gastronomischen Schwergewichten zählt.
„Fachkräftemangel interessiert mich nicht. Das Problem ist der Gastgebermangel! Wir müssen wieder Menschen in unseren Bann ziehen, die Verantwortung übernehmen“, appellierte Dost an die Kollegen. Dabei gebe es viel zu oft ein Gegen- statt Miteinander. „Lassen wir den Neid weg. Es geht nicht nur ums Geldverdienen.“
Wie und womit Gastronomen heute und in den kommenden Jahren Geld verdienen und ihre Gäste glücklich machen können, weiß Trend-Expertin Karin Tischer vom Food Innovation Center food & more in Kaarst. Sie berichtete von ihren Expeditionen in 50 Länder auf sechs Kontinenten: „Gesundheit, Plantarismus und pflanzliche Proteine lauten nur einige der Schlüsseltrends.“
Die Expertin erwartet nichts geringeres als eine stille „Revolution des Geschmacks“, ausgelöst durch das verstärkte Interesse der Verbraucher an Pflanzlichem. Heißt: „Das veränderte Essverhalten beeinflusst die Sensorik und unsere Geschmacksknospen. Das macht die Herausforderung, Produkte zu entwickeln, die wirklich den Geschmack der Gäste treffen, noch schwieriger.“
Analoge Leidenschaft digital nach außen tragen
Dann wurde es tatsächlich technisch: Digitalisierungsberater und Podcaster Markus Wessel stellte die Gastro Tech Map vor, eine ausführliche Übersicht der aktuell relevantesten Gastro Tech-Anbieter für jeden Bereich der gastronomischen Unternehmensführung.
„Die Karte ist eine Recherchehilfe und Inspirationsquelle für alle, die nach den für sie passenden Lösungen für die Digitalisierung ihrer Betriebe suchen. Nur mit den richtigen Technologien können wir profitabler arbeiten und uns wieder mehr unseren Gästen widmen. Denn auch wenn sich unsere Leidenschaft als Gastgeber nicht digitalisieren lässt, können wir sie doch digital nach außen tragen.“
Zwei Anbieter solcher Tech-Lösungen kamen anschließend zu Wort. Isabelle Otte von gastronovi plädierte dafür, sich von Insellösungen zu verabschieden und alle Prozesse in ein Single-Source-System einzubinden. „Gastronomen wollen keine Buchhalter am Monitor sein, sondern sich um ihre Gäste kümmern!“
Damit das gelingt, müssten zunächst alle Abläufe im Restaurant standardisiert und wo möglich auch automatisiert werden. „Damit lässt sich die Produktivität um bis zu 85 Prozent erhöhen“, berichtete Kesavan Ashokkumar vom Finanztechnologiespezialisten cisbox.
Keine Zukunft ohne KI
Die Größe dessen, was mit der Künstlichen Intelligenz auf die Menschheit zukommt, wurde auch am zweiten Tag erahnbar, als James Ardinast und Jonathan Speier ihr Experiment the byte – Deutschlands erstes KI-gestütztes Restaurant – vorstellten. „KI ist wie die Landung einer außerirdischen Spezies auf der Erde. Wir werden schon bald nicht mehr die klügste kognitive Intelligenz auf diesem Planeten sein“, prognostizierte Speier.
The byte sei ein Labor, in dem man Dinge ausprobiere und das sich mit jeder Auflage weiterentwickele. „Dabei müssen wir viel Skepsis bei den Mitarbeitern überwinden und manchmal auch Erwartungen der Gäste dämpfen“, verriet Ardinast.
Der Gastronom ist überzeugt: „In Zukunft gibt es keine Restaurants mehr ohne KI. Denn es gibt keine Zukunft ohne KI.“
Ein Unternehmer, in dessen 16 Restaurants die Künstliche Intelligenz längst wichtige Aufgaben übernimmt, ist Frank Klix (Purino). „Wer in KI investiert, investiert in seine Mitarbeiter“, betonte der Gastronom aus Krefeld. „Konzentrieren wir uns auf ihre operativen Talente und überlassen wir das Administrative der Technik. Dann kommt die Umsatzsteigerung automatisch!“
Im Umgang mit dem Team empfahl Klix zum Aufbau guter Beziehungen unter anderem Resilienz, Selbstreflektion und Achtsamkeit der Führung. Nach diesen Prinzipien will das Branchennetzwerk unter Klix’ Leitung demnächst in der Leaders Club Academy Führungskräfte qualifizieren. „Die Ausbildung soll zu einem Gütesiegel werden“, kündigte Klix an. „Damit wollen wir der Branche etwas zurückgeben.“
Raum für gute Gedanken schaffen
Alexander Scharf, Gastronom in Goslar, nahm den Faden auf und ergänzte: „In Menschen zu investieren, heißt, ins Unternehmen zu investieren.“ Als Unternehmer müsse man Raum für gute Gedanken schaffen, Werte und Erwartungen abgleichen, um mit Stress und Überforderung proaktiv umzugehen und den Alltag positiv zu gestalten.
„Wir stehen in der Verantwortung, Arbeitsplätze zu bieten, an denen Begeisterung für unsere Branche möglich ist und faire Löhne zu bezahlen, von denen unsere Mitarbeiter leben können.“
Auch Erich Nagl, Vorstand der Unternehmensberatung ETL, mahnte mehr Digitalisierung in der Branche an, um Menschen und Geldbeutel zu entlasten. „Wir nehmen keine Mandanten mehr an, die mit Papier arbeiten. Das ist einfach zu teuer“, kommentierte der Steuerfachmann. Er wünscht sich unter anderem einen branchenweit einheitlichen Standard für eine effiziente Verfahrensdokumentation statt individuell definierter Prozesse.
Die Einzigartigkeit eines Unternehmens entsteht ohnehin durch ganz andere Merkmale – für den Linzer Gastronom und Diskothekenbetreiber Stefan Süß liegt sie in der unkopierbaren Beziehung zu den Mitarbeitern und daraus folgend in deren Beziehung zu den Gästen.
Fünf einfache Maßnahmen reichten, damit Bindung fast automatisch entstehe: sich in die Augen zu schauen, zu lächeln, Dankbarkeit, miteinander zu sprechen und zuzuhören. „Den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, wird noch erfolgsentscheidender werden“, prophezeite Süß.
Vorbereitet sein auf das, was kommt
Zum Abschluss gab Melanie Leutenegger, Marketing-Expertin von der Agentur TNC, dem Publikum einen Ausblick auf das, was die KI bereits jetzt und in Zukunft zu leisten vermag. „Egal, ob Informationsbeschaffung, Kreation & Inspiration, Texterstellung, Prozesse & Planung, oder Auswertung: Spätestens seit ChatGPT ist Künstliche Intelligenz massentauglich.“ Unternehmen seien gut beraten, sich schon jetzt mit KI und ihren Möglichkeiten zu beschäftigen, um vorbereitet zu sein auf das, was kommt.
Im abschließenden Panel gab Erich Nagl den Zuhörern noch einen Rat: „Seid weiterhin Herr über eure Entscheidungen. Es geht nicht darum, zu Sklaven der KI zu werden.“
„Mensch bleiben!“, lautete so auch das Resümée von Leaders Club-Präsident Marc Uebelherr. „Behaltet das Herz am richtigen Fleck. Es ist die Leidenschaft, die zählt.“
Meet the best: Positives Fazit
Erstmals fand parallel zu den Gastro Sessions unter der Ägide des Leaders Clubs das Netzwerk-Format „Meet the Best“ der FBMA Stiftung statt, bei dem junge Nachwuchskräfte die Gelegenheit hatten, mit erfahrenen Hospitality-Profis ins persönliche Gespräch zu kommen.
Moderator Jean Ploner zog auch hier ein sehr positives Fazit: „Wir sind als Leaders Club stolz, die von der FMBA Stiftung initiierte Reihe Meet the Best zum ersten Mal erfolgreich durchgeführt zu haben. Das Feedback der Teilnehmer war überragend. Die Begegnung auf Augenhöhe mit Unternehmern und Führungskräften gibt dem Branchennachwuchs die Möglichkeit, ohne Scheu Fragen zu stellen und ehrliche Antworten zu erhalten – ein Gewinn für alle Beteiligten. Wir freuen uns schon auf eine Wiederholung im nächsten Jahr.“
Der Termin für die nächsten Gastro Sessions steht bereits fest: 7. und 8. Mai 2025.
(Leaders Club/SAKL)