„Wir kämpfen täglich ums Überleben!“
Zwei Jahre Pandemie haben tiefe Spuren in der Gastronomiebranche hinterlassen. Auch wenn sie sich derzeit nicht in einem kompletten Lockdown befindet, sind sowohl Planbarkeit und Perspektiven ein akutes Thema, das die Branche umtreibt. Neben steigenden Kosten für Einkauf und Energie, kämpfen Gastgeber für und um Mitarbeiter, die sich aufgrund von Perspektivlosigkeit sowie Unsicherheit aus der Branche zurückziehen.
Gleichzeitig sind oftmals eigene Reserven aufgebraucht und Schulden angehäuft. Heute kamen daher im Rahmen eines Treffens der Leaders Club Deutschland namhafte Vertreter der Gastronomie in Berlin zusammen, um über die aktuelle Situation zu diskutieren.
Wieder auf eigenen Beinen stehen
Kerstin Rapp-Schwan, Inhaberin der Schwan Restaurants, vertrat stellvertretend die Individualgastronomie und beklagte vor allem die fehlende Planbarkeit für Unternehmen und die Mitarbeiter. „Wir haben alle Bedingungen, Auflagen und individuellen Forderungen erfüllt. Die aktuellen Regelungen müssen fallen, damit unsere Mitarbeiter endlich wieder normal arbeiten können.
Es ist in der Politik noch nicht angekommen, wie es sich in der Praxis anfühlt, den Angestellten keine Perspektive geben zu können. Wir würden gerne wieder auf eigenen Beinen stehen, möchten wieder selber entscheiden, wie wir unter welchen Bestimmungen unsere Restaurants führen – statt uns immer wieder ad hoc von Krise zu Krise zu orientieren.“
Gastronomie als Visitenkarte
TV-Koch und Gastronom Tim Mälzer sieht keinerlei Sinnhaftigkeit von weiteren Einschränkung in ausschließlich gastronomischen Bereichen- „Schließlich ist doch inzwischen jeder für die entsprechenden Hygienemaßnahmen sensibilisiert.“ Der Eigentümer der Bullerei Hamburg sah sich im Januar 2022 selbst gezwungen, sein Geschäft zu schließen – um die Kontrolle zu behalten. „Uns war nicht mehr erkenntlich, wie wir für die nächsten Wochen den Laden wirtschaftlich führen können, denn wir konnten uns nicht mehr weiter aus der Substanz der letzten zwei Jahre heraus finanzieren. Die Schulden wären unkalkulierbar, dazu kam die Verunsicherung der Mitarbeiter.“
Der Gastronom betont, welch Aushängeschild die Restaurants für jede Region sind. „Wir sind ein wahrhaft attraktiver Arbeitgeber, müssen aber nach dieser komplett von der Gastronomie unverschuldeten Krise jetzt die Grundlage dafür bekommen, dass wir unsere Leute auch wieder halten können.“
Politik muss die Branche retten
Mirko Silz, CEO FR L‘osteria SE sprach für alle Vertreter der Systemgastronomie. Sein Unternehmen musste sich innerhalb der letzten zwei Jahre mit insgesamt 125 Restaurants in 16 Bundesländern immer wieder auf neue Bedingungen einstellen – logistisch gesehen eine enorme Herausforderung. Seine Forderung daher: „Der Flickentepich muss weg. Wir brauchen bundesweit einheitliche Regelungen für die Gastronomie, um die täglichen Herausforderungen mit unseren rund 5.000 Mitarbeitern zu meistern.“
Außerdem sei die Überbrückungshilfe IV und Kurzarbeitergeld zwar hilfreich, „sie müssen aber aus meiner Sicht dringend rückwirkend nachgeschärft werden. Denn Unternehmen, die während der Krise weiter investiert haben, werden am Ende des Tages nach durch die Entriegelung der Überbrückungshilfe bestraft, konkret man braucht mindestens 30 Prozent Umsatzrückgang, bevor man überhaupt Hilfsleistungen erhält. In der Gastronomie wird aber das Geld nicht nach den ersten 90 Prozent, sondern erst nach den letzten 10 Prozent des Umsatzes verdient.“
Zudem bräuchten Gastronomen Rahmenbedingungen, also weitere liquiditätssichernde und -fördernde Maßnahmen, um unter dem Kostandruck der inflationsbedingt enorm ist, die Schulden wieder zurückführen zu können. „Wir fordern eine zeitliche Ausdehnung der Rückführung der KfW-Mittel und eine Entfristung der Mehrwertsteuer über den 31. 12. 2022 hinaus, bei gleichzeitiger Einbeziehung der Getränke in den minimisierten Steuersatz von 7 Prozent.“
Silz‘ Appell an die Politik ist eindeutig: „Sie ist mehr als gefragt, die Gastronomie nun kurzfristig wie auch mittelfristig zu retten, als Kulturgut und wichtigen Faktor des gesellschaftlichen Miteinanders zu sichern.“
(KG)