Interview

„Wir investieren heute in die Erlebnisse von morgen“

Natalie Fischer-Nagel
„Natalie Fischer-Nagel, deutsche Delegierte von Relais & Châteaux und Direktorin Weissenhaus Grand Village Resort und Spa am Meer. (Foto: © Relais & Châteaux)
Natalie Fischer-Nagel, deutsche Delegierte von Relais & Châteaux und Direktorin Weissenhaus Grand Village Resort und Spa am Meer, spricht im Interview über veränderte Gästewünsche, die Zukunft von Relais & Châteaux und findet deutliche Worte für die aktuelle Corona-Politik.
Montag, 12.04.2021, 12:19 Uhr, Autor: Natalie Ziebolz

Frau Fischer-Nagel, wie hat sich die Coronakrise bisher auf die Mitglieder von Relais & Châteaux ausgewirkt?

Zweifellos ist das eine außergewöhnliche Situation, wenn man nun fast sechs Monate keine Umsätze generieren darf. Allerdings vereint Relais & Châteaux in Deutschland ausschließlich Familien- und privatgeführte Häuser. Glücklicherweise bedingt sich hier meist eine lange Historie und die Unternehmen sind seit Jahrzehnten in bedachter Eigentümerhand. Unsere Mitglieder sind im besten Sinne mittelständische Vollblutunternehmer mit einem Herzensbekenntnis zum Standort Deutschland, oftmals in den schönsten Regionen unseres Landes. Natürlich trifft uns mit unseren Mitarbeitern diese Situation sehr hart, wir verlassen uns jedoch in erster Linie auf uns selbst. Viele unserer Mitglieder haben die Zeit genutzt und ihre Häuser noch attraktiver gestaltet, von neuen SPA-Bereichen angefangen, bis hin zu Erweiterungen der Restaurants ist wirklich alles dabei. Wir investieren daher heute in die Erlebnisse unserer Gäste von morgen. Dennoch muss umgehend eine Strategie her, die sich nicht nur auf Inzidenzen und einen generellen Lockdown stützt. Die Schweizer Kollegen, sind hier in vielerlei Hinsicht ein Vorbild und haben zum großen Teil bewiesen wie die Hygienekonzepte erfolgreich umsetzbar sind.

Wie empfinden Sie die aktuelle Corona-Politik?

Aus meiner vor Ort gemachten, operativen Erfahrung sowie aus meinem Austausch mit meinen Kollegen in Deutschland und weltweit ist es selbstverständlich möglich, einen sicheren Urlaub in der Heimatregion umzusetzen, auch wenn noch nicht alle Gäste geimpft sind. Ich kann nicht mehr nachvollziehen, warum wir unsere deutschen Gäste in die Schweiz und nach Spanien reisen lassen und uns nicht vor Ort selbst helfen dürfen. Wir kennen doch mittlerweile alle die erforderlichen Maßnahmen, die dazu nötig sind. Als Unternehmer sind wir jeden Tag gefordert bedarfsgerecht Herausforderungen zu bewältigen. Daher ist es für mich unverständlich, warum nach 1,5 Jahren Pandemie die Digitalisierung der Gesundheitsämter nicht längst angeordnet wurde und keine 7-Tage-Woche in den Ämtern organisiert ist. Jeden Tag blickt unser Land auf die übermittelten Zahlen und liest daran die Zukunftsprognose ab. Wie es sein kann, dass man an 3 von 7 Tagen auf fehlerhafte Zahlen schaut, weil nicht vollständig übermittelt wird, ist für mich schwer verständlich. Ich bin auch überzeugt, dass hier viele Beamtinnen und Beamte gern unterstützen würden, sodass unser Land mit vereinten Kräften zu unseren Werten wie Gründlichkeit, Effizienz und pragmatische Umsetzungsstärke zurückfindet und wir auch mit Verantwortung für zukünftige Generationen als Gesellschaft nicht stillstehen müssen, sondern unser Geschick wieder selbst in die Hand nehmen können.

Würden Sie sagen, Teil einer Vereinigung zu sein ist in diesen Tagen von Vorteil für Gastronomen? 

Aus naheliegenden Gründen kommt das aus meiner Sicht auf die Vereinigung an. Wir, das ist Relais & Châteaux, sind in 60 Ländern durch unsere Mitglieder repräsentiert und vereinen insgesamt 600 leidenschaftliche Hoteliers. Viele unserer Mitglieder haben wieder geöffnet und generieren Erlöse. Auch damit finanziert sich eine starke Gemeinschaft, die in unserem Fall eine non-profit Vereinigung ist. Wir reinvestieren alle Erlöse zum Wohl unserer Mitglieder. Was für uns alle wichtig war, ist es, nach dem anfänglichen Schock im Frühling 2020 sehr schnell in den Reaktionsmodus umzuschalten und weiter für unsere Mitglieder attraktive Angebote zu unterbreiten. Ich habe zum Beispiel viel für die Startphase im Sommer von meinen Kollegen in Nordamerika lernen dürfen. Wir haben Zoom-Calls mit den Ikonen der Hotellerie und Gastronomie organsiert und konnten so überall auf der Welt von den Best-Practice Beispielen unserer Kollegen profitieren. Dennoch war und ist auch die persönliche und fachliche Weiterentwicklung unserer Mitarbeiter enorm wichtig. In Deutschland haben wir ein digitales Konzept aufgesetzt, das im Rahmen von Teaser-Calls allen unseren Mitarbeitern den Vorgeschmack auf die persönlich stattfindenden Trainings in den Häusern gibt und hier inspiriert und Gemeinschaft erleben lässt. Die Marke Relais & Châteaux hat in der Pandemie für uns weiter an Bedeutung gewonnen und war enorm präsent. Ich führe alle acht Wochen mit allen Mitgliedern Zoom-Calls durch und wir planen Kooperationen, Einkaufspools, Markenpartnerschaften, von denen unsere Mitglieder sofort und spürbar profitieren.

Haben sich das Reiseverhalten – abgesehen von den gesetzlichen Beschränkungen – beziehungsweise die Ansprüche der Gäste im Laufe des letzten Jahres verändert?

Natürlich hat sich das für unsere Häuser im DACH Raum stark bemerkbar gemacht, dass auf Fernreisen verzichtet wurde. Wir hatten überall den Tenor, dass es bemerkenswert ist, wie schön und vor allem stressfrei ohne tagelange Anreise ein Urlaub im eigenen Land ist. Die Gäste haben großen Wert auf die Einhaltung der Hygieneregeln gelegt und fühlen sich dann in familiengeführten Häusern, die eine überschaubare Anzahl von Zimmern haben, einfach gut aufgehoben. Wir gehen auch im Restjahr 2021 von einer ähnlichen Entwicklung aus.

Wie geht Relais & Châteux mit den geänderten Ansprüchen um?

Es ist sofort eine Vielzahl von Maßnahmen aufgesetzt worden, vier Wochen nach Pandemiebeginn gab es neben gebrandeten Hygienekits, eine Markenkooperation mit einem der weltweit führenden Hygiene- und Gesundheitszertifizierungsunternehmen Bureau Veritas. Wir haben sofort und weltweit unsere Vertriebsaktivitäten gemeinsam mit unseren Reisebüropartnern und lokalen Agenturen angepasst. Bereits im Frühling 2020 haben wir erkannt, dass wir auch unser Relais & Châteaux Intranet für unsere Mitglieder und deren Mitarbeiter weiterentwickeln möchten und somit noch effektiver kommunizieren. Das ist der Ort, an dem sich jedes Mitglied bestens über alle Angebote und Aktivitäten informieren kann. Ich habe zum Beispiel selbst im Sommer 2020 ein Best-Practice für unsere Kollegen aufgezeichnet. Es war wundervoll zu sehen, wie hilfreich offenbar einige, operative Hinweise waren, die man eben nur im Alltag mit Gästen erlebt und die somit unseren Kollegen Zeit und Mühe erspart haben. Das alles geht nur mit begeisterten Mitgliedern, die sich als wichtiger und aktiver Teil der Gemeinschaft sehen und wir freuen uns, dass wir im Juni dieses Jahres das neue System für unsere Kollegen präsentieren können.

Zwar sehen die aktuellen Beschlüsse noch keine Öffnung vor, gibt es dennoch Maßnahmen, die bei Ihnen ergriffen werden, um für den Neustart von Hotellerie und Gastronomie gewappnet zu sein?

Jeder Hotelier und Gastronom macht sich jeden Tag Gedanken, wie er schnellstmöglich und bestmöglich seine Gäste wieder empfangen kann. Er hat die bereits erfolgreichen Strategien aus dem Sommer 2020 weiterentwickelt und perfektioniert. Jedes unserer Mitglieder ist binnen 72 Stunden bereit, Gäste formvollendet zu empfangen.

Wohin soll die Reise von Relais & Châteaux in Zukunft gehen? Gibt es konkrete Pläne für die Zeit nach der Pandemie?

Als Mitglied im Board of Directors bin ich nach jedem virtuellen Treffen sehr zuversichtlich, was die Zukunft nach der Pandemie bringen wird. Wir haben zunächst die Frequenz der Meetings weiter erhöht, um jederzeit schnell handlungsfähig zu sein und auf aktuellste Entwicklungen im Sinne unserer Mitglieder reagieren zu können. Wir betrachten im Board die Situationen stets 1,5 Jahre im Voraus und nehmen die Motivation, die wir durch die notwendige Digitalisierung gewonnen haben, mit in die Zukunft. Neben einem neuen digitalen Auftritt, flankiert von spannenden Podcasts, freuen wir uns auf die globale große Chance, mit einem verjüngten Klientel in Kontakt zu treten und diese mit den Vorzügen und dem Qualitätsversprechen der Marke Relais & Châteaux bekannt zu machen. Gerade hier erleben wir mit unseren unaufhörlichen Bemühungen und dem Bekenntnis zum Schutz der Ressourcen unseres Planeten und der Bewahrung und Pflege der kulinarischen Kultur eine große Zustimmung. Hier werden wir noch viel von uns hören lassen. Daher haben wir allen Grund, positiv in die Zukunft zu blicken und diese gemeinsam als Teil der starken Relais & Châteaux-Familie aktiv zu gestalten.

Vielen Dank für das Gespräch!

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