„Verkaufsschlager war der österreichische Guide Michelin nicht“
HOGAPAGE: Herr Flinkenflügel, der Guide Michelin ist auf der ganzen Welt zu Hause. Sind die Bewertungskriterien auch überall gleich oder passt man sie den regionalen Gegebenheiten an?
Ralf Flinkenflügel: Die Inspektoren des Guide Michelin wenden überall dieselben Bewertungskriterien an, damit die Empfehlungen von Land zu Land vergleichbar sind. Dabei berücksichtigen sie auch regionale und kulturelle Einflüsse. Denken Sie nur mal an die asiatische Küche, die ganz andere Ansätze verfolgt als beispielsweise die französische oder italienische Küche.
Vor zehn Jahren hat der Guide Michelin seine Österreich-Ausgabe nach nur fünf Jahren Präsenz wieder vom Markt genommen. Was waren damals die Gründe dafür, dass aktuell nur mehr Wien und Salzburg in den Main-Citys of Europe vorkommen?
Das war damals eine wirtschaftlich notwendige Maßnahme, die wir genauso bedauern wie die österreichischen Gastronomen. Die Einführung des Guide Österreich war zwar begeistert gefeiert worden, aber ein Verkaufsschlager wurde das Buch in den fünf Jahren nicht. Vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise, die damals herrschte – Stichworte US-Immobilienblase, Lehman-Pleite – konnte Michelin diesen Guide nicht weiterführen. Auch der Guide Las Vegas wurde damals eingestellt.
Ist ein Comeback in absehbarer Zeit denkbar?
Der Guide hat in den letzten Jahren expandiert und viele neue Destinationen erschlossen. Diese Entwicklung wird sich weiter fortsetzen, daher sind zusätzliche Regionen grundsätzlich immer denkbar und das gastronomische Potenzial Österreichs ist unbestritten. Zurzeit liegen uns aus Paris aber keine Signale in der Richtung vor.
Die etwas kleinere Schweiz hat eine eigene Ausgabe. Ist die Kulinarik dort so viel spannender oder hängt das eher mit der geographischen und auch kulturellen Nähe zum Michelin-Mutterland Frankreich zusammen?
Der Guide Schweiz war eine der ersten Ausgaben außerhalb Frankreichs. Er erschien bereits 1908, nur acht Jahre nach dem französischen „Ur-Guide“. Daher ist er schon etwas Besonderes. Der Guide Österreich wurde aber auf keinen Fall wegen kulinarischer Defizite eingestellt. Es waren wie bereits erwähnt rein wirtschaftliche Gründe.
Wurde noch nie über eine gemeinsame Österreich/Schweiz-Ausgabe nachgedacht? Vielleicht gemeinsam mit Bayern und Südtirol als Alpen-Ausgabe, so wie es etwa eine gemeinsame Skandinavien-Ausgabe gibt.
Das war bisher noch kein Thema.
Egal wen man in Österreich in der Branche fragt, kaum jemand versteht, dass es in Österreich noch kein Drei-Sterne-Restaurant gibt. Können Sie uns verraten, was den Österreichern zum Sprung in die internationale Top-Liga fehlt?
Nein, das kann ich nicht. Dadurch, dass wir nur in Wien und Salzburg Restaurants testen, habe ich keinen Überblick über ganz Österreich. Doch selbst dann ließe sich das nicht verallgemeinern. Jeder Fall ist anders gewichtet und jeder muss seinen eigenen Weg finden. Nur so können neue Ideen, Vielfalt und Authentizität entstehen. Wenn sich die Küchenchefs an die Redaktion des Guide Michelin wenden, erhalten sie aber detailliert Auskunft darüber, was die Inspektoren bei ihren Besuchen bei ihnen erlebt haben.
Könnten Sie Namen nennen, wer Ihrer Ansicht nach das Potential für den dritten Stern hätte? Etwa Heinz Reitbauer, Silvio Nickol, Markus Mraz oder vielleicht Juan Amador, der das in Deutschland ja auch schon geschafft hat?
Das sind alles hervorragende Küchenchefs, aber Sie werden sicher verstehen, dass ich keine Namen nennen kann. Der Guide Michelin hat viel Gewicht, und wir nehmen unsere Verantwortung sehr ernst. Hier muss ich die sprichwörtliche Diskretion eines Michelin Inspektors wahren.