Interview

„Die Sterne gehören nicht den Köchen“

Gwendal Poullennec und Ralf Flinkenflügel
Gwendal Poullennec (l.) und Ralf Flinkenflügel. Letzterer muss aufgrund seiner aktiven Tätigkeit als Tester anonym bleiben. (© Michelin)
HOGAPAGE sprach mit Gwendal Poullennec (International Director Guide Michelin) und Ralf Flinkenflügel (Direktor Guide Michelin Deutschland & Schweiz) über Bewertungskriterien und klagende Köche.
Montag, 28.10.2019, 10:37 Uhr, Autor: Clemens Kriegelstein

HOGAPAGE: In Frankreich hat vor kurzem Marc Veyrat den Guide Michelin geklagt, um die genauen Gründe für die Herabstufung seines Hauses von drei auf zwei Sterne zu erfahren. Wie läuft denn die Kommunikation mit Köchen generell ab? Gibt es auf Anfrage keine nähere Begründung für die Bewertung? Im Guide selbst gibt es ja tatsächlich kaum einen Hinweis darauf.
Gwendal Poullennec: Die Arbeit des Guide Michelin ist schon immer von einer positiven Grundeinstellung zur Gastronomie geprägt. Wir sind offen für Diskussionen und empfangen auch Köche zum Gespräch, um über die Entwicklung ihrer Küche zu sprechen – basierend auf den Erfahrungen, die unsere Inspektoren in ihren Restaurants gemacht haben. Das war auch der Fall bei Herrn Veyrat, den wir auf seine Anfrage hin im März 2019 zum Gespräch empfangen haben, um zu versuchen, einen Dialog mit ihm zu führen.

HOGAPAGE: Marc Veyrat wollte ja vor ein paar Monaten angeblich seine Sterne zurückgeben, was aber nicht akzeptiert wurde. Ist es prinzipiell nicht möglich zu sagen, dass man nicht getestet und im Guide nicht erwähnt werden möchte? Der Franzose Sébastien Bras soll das ja trotzdem einmal durchgesetzt haben.
Gwendal Poullennec: Die Sterne werden an Restaurants, nicht an die Köche selbst verliehen. Sie gehören nicht den Köchen, daher ist es auch nicht möglich, einen Michelin-Stern zurückzugeben. Der Guide Michelin steht für ehrliche und relevante Empfehlungen für die Liebhaber guten Essens. Wenn wir der Meinung sind, dass Marc Veyrats Restaurant es verdient, unseren Lesern empfohlen zu werden, wird es im nächsten Guide Michelin stehen.
Der Fall von Sébastian Bras war speziell: Er plante, die kulinarische Ausrichtung des Restaurants zu ändern, als er es von seinem Vater übernommen hatte. Daher haben wir in diesem Fall entschieden, ihn für ein Jahr aus dem Guide Michelin zu streichen, um ihm genügend Zeit zu geben, das neue Konzept zu etablieren. Wir haben seine Entwicklung weiterverfolgt und die Inspektoren entschieden dann, dass das Restaurant wieder seinen Platz im Guide verdient hatte. Daraufhin haben wir es – mit 2 Sternen – wieder aufgenommen.

HOGAPAGE: Ist der Guide Michelin in Deutschland, Österreich oder der Schweiz jemals verklagt worden und wenn ja, von wem und warum bzw. mit welchem Ergebnis?
Ralf Flinkenflügel: Nein, das hat es noch nie gegeben.

HOGAPAGE: Wie oft wird ein Restaurant eigentlich besucht, bevor es einen dritten Stern erhält oder diesen verliert? Die wirtschaftlichen Auswirkungen so einer Bewertung können ja im einen wie im anderen Fall beträchtlich sein.
Ralf Flinkenflügel: Wir sind uns der Tragweite einer solchen Entscheidung bewusst, deshalb prüfen wir diese Restaurants besonders sorgfältig. Bevor wir z. B. Herrn Amador und seinem Team in Wien den dritten Stern im Guide Michelin Main Cities of Europe 2019 gegeben haben, waren neun unterschiedliche Inspektoren bzw. Direktoren des Guide Michelin aus 5 unterschiedlichen Nationen dort zum Testen.

HOGAPAGE: Ihr Konkurrent Gault-Millau ist vor allem in Österreich für seine ausführlichen, teils sogar ironisch bis sarkastischen Texte bekannt. Bietet so etwas dem Leser keinen Mehrwert?
Ralf Flinkenflügel: Herabsetzende Texte zu verfassen ist nicht die Art des Guide Michelin. Sollten wir zum Beispiel eine schlechte Erfahrung in einem Restaurant machen, schicken wir lieber noch einen zweiten Inspektor dort hin. Wenn sich die negative Tendenz bestätigt, wird das Restaurant gestrichen.

HOGAPAGE: Wenn man sich die Speisekarten Schweizer Top-Restaurants ansieht, bemerkt man Gerichte wie Tournedo Rossini, flambierten Hummer oder Pfeffersteaks. In Österreich zum Beispiel sucht man solche Gerichte in einem Sternelokal seit mindestens 30 Jahren erfolglos. Sind die Schweizer Gäste so konservativ oder Österreichs Köche so innovativ im Vergleich?
Ralf Flinkenflügel: Das entspricht so nicht den Tatsachen. Die Gastronomie in der Schweiz hat sich über die letzten Jahre kontinuierlich weiterentwickelt und die dortige Szene ist heute sehr vielfältig. Neben klassischen Restaurants gibt es viele Betriebe, die sehr regional orientiert sind, andere wiederum sehr kreativ – der Guide Michelin zeichnet schon immer Topküchen aller Stilrichtungen aus. Für uns zählen die Kriterien Qualität der Produkte, fachgerechte Zubereitung, Originalität der Gerichte sowie Beständigkeit auf Dauer und über die gesamte Speisekarte hinweg. Allerdings würde ich zustimmen, dass gerade die Generation der jungen Köche dynamische und ideenreiche Akzente setzen – in beiden Ländern und auch in Deutschland!

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