Terroranschlag: Ohne Weihnachtsmärkte stirbt eine ganze Branche
Deutschland steht unter Schock. Mit dem Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz in Berlin-Mitte sind die schlimmsten Befürchtungen wahr geworden. 12 Tote und viele Schwerverletzte, die noch um ihr Leben kämpfen, fielen dem Anschlag zum Opfer. Die psychologischen Folgen für die Angehörigen der Toten, die Verletzten und deren Familien sind nicht absehbar.
Folgen für die Schausteller
Genauer abschätzen lassen sich aber die wirtschaftlichen Folgen für Schausteller und das Gastgewerbe – alles hängt aber davon ab, ob der Terror und die Angst sich in den Köpfen der Verbraucher stärker eingräbt. Ein zögerliches Abwegen der eigenen Sicherheit bei den Weihnachtsmarktbesuchern hierzulande würde den Wirtschaftsfaktor „Weihnachtsmarkt“ empfindlich treffen – und damit auch das gesamte Gastgewerbe in den betroffenen Städten.
Ein Drittel des Jahresumsatzes würde fehlen
2.500 Weihnachtsmärkte gibt es in Deutschland. In Spitzenzeiten an Adventswochenenden arbeiten laut dem Bundesverband Deutscher Schausteller und Marktkaufleute e. V. (BSM) 188.000 Beschäftigte für den Budenzauber. 5.000 gemeldete Schaustellerbetriebe schuften dann 12-15 Stunden täglich für ihren Jahresumsatz. Ca. 27 bis 30 Euro gibt der Besucher durchschnittlich auf dem Weihnachtsmarkt in Deutschland aus. Zwischen drei und fünf Milliarden Euro setzen die Weihnachtsmärkte und das angrenzende Gastgewerbe in dieser Zeit um. Ohne das Geschäft mit dem Glühwein und der Bratwurst würde vielen Schaustellern fast ein Drittel ihres Jahresumsatzes fehlen – bleiben die Besucher aufgrund solcher tragischen Unglücke in Zukunft den Märkten fern, scheitern ganze Existenzen.
Fast 200.000 Jobs sind gefährdet
Hans-Peter Arens ist Präsident des BSM und selbst erfolgreicher Schausteller auf dem Dortmunder Weihnachtsmarkt, einem der größten Deutschlands. „Ich kann nur besinnlich sein, wenn die Kasse stimmt“, erklärt er gegenüber Spiegel Online und spricht vielen seiner Kollegen aus der Seele. Die Kasse stimmt, wenn die Besucher weiter so hysterisch positiv auf Weihnachtsmärkte reagieren wie in den letzten 10 Jahren, in denen die Besucherzahlen um 70 Prozent gestiegen sind. 85 Millionen Menschen, die sich auf die besondere Atmosphäre freuen und dies auch mit ihren Ausgaben für das kulinarisch Angebot quittieren, besuchten 2015 die deutschen Weihnachtsmärkte. „Nicht nur deutsche Gäste, sondern auch Besucher aus ausländischen Quellmärkten wie Großbritannien und der Schweiz planen bei ihrem Besuch Dortmunds zur Adventszeit Übernachtungen ein“, erklärt Matthias Rothermund, Geschäftsführer der Dortmunder Tourismus GmbH dem Handelsblatt. Seine Aussage macht auch die Dimension klar, wie stark die Weihnachtsmärkte auch mit dem regionalen Gastgewerbe verquickt sind.
Gastgewerbe profitiert von vollen Weihnachtsmärkten
Gastronomen, Hoteliers und Einzelhändler kassieren beim Ansturm auf die Weihnachtsmärkte kräftig mit: „Dann sagen die Leute: Wir trinken noch einen Absacker oder man hat sich noch einmal Appetit geholt und besucht ein Restaurant nach dem Besuch des Weihnachtsmarktes“, sagt ein Sprecher des Dehoga Bundesverbands im Interview mit dem Handelsblatt. Außerdem bräuchten die Touristen unter den Glühwein-Trinkern eine Übernachtungsmöglichkeit. Knapp 5 Prozent der 85 Millionen Weihnachtsmarkt-Besucher jährlich übernachten in der jeweiligen Stadt. Der deutschen Hotellerie würden pro Jahr somit 4,25 Millionen Gäste fehlen, wenn die Weihnachtsmärkte in Zukunft der Terrorangst zum Opfer fielen.
Zwischen Verunsicherung und Trotzreaktionen
Nach dem ersten Schock ist noch keine ernste Situation für die Schausteller, Gastronomen und Hoteliers zu befürchten. „Die wirtschaftlichen Konsequenzen des Anschlags, die heute im Hintergrund stehen, werden aller Erfahrung nach kaum messbar sein“, erklärt der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (Hans-Böckler-Stiftung), Gustav Horn, gegenüber der Deutschen Presseagentur. Die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) ist etwas pessimistischer: „Generell dürfte schon eine Verunsicherung aufkommen“, sagt Rolf Bürkl von der GfK. Der Terroranschlag könne bei den Besuchern aber auch eine Trotzreaktion auslösen, so Bürkl weiter. Dies würde dann wiederum dem Gastgewerbe in die Karten spielen. „Allerdings wird der ein oder andere Familienvater jetzt auch überlegen, ob er mit seinen Kindern noch auf den Weihnachtsmarkt besucht.“ Die Berliner Schaustellerin und Budenbesitzerin Gunda Kniep blickt trotz dem schrecklichen Anschlag positiv in die eigene Zukunft. Von einer vorübergehenden Schließung der Weihnachtsmärkte hält sie im Interview mit der taz nichts: „Mit der Hysterie kann ich nichts anfangen. Wir sehen doch, dass die Leute kommen wollen.“ Diese Hoffnung hegt eine ganze Branche. (FL)