Edelsüße Raritäten
Nach der Hauptweinlese sieht man manchmal noch Weinberge, die noch nicht gelesen wurden. Sie wurden nicht etwa vergessen, sondern steigern bei günstiger Witterung täglich ihren Süßegrad. Aus ihnen soll ein „Edelsüßer“ – auch Botrytis-Wein genannt – entstehen. Doch was steckt eigentlich hinter der Rarität? Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut (DWI) erklärt die Zusammenhänge:
Herr Büscher, hören Liebhaber von trockenen Weinen das Wort süß, sagen sie meist: „Lass‘ mal, ich bin kein Süßer.“ Warum sollten sie sich da ausgerechnet auf Edelsüße einlassen?
Mit Edelsüßen begeistert man auch Freunde von trockenen Weinen. Sehr häufig schmecken sie sogar auch Nicht-Weintrinkern. Sie sind zwar extrem süß, aber nicht pappig süß wie mancher Likör. Man trinkt sie nicht in großen Mengen, sondern höchstens 0,1 bis 0,2 Liter pro Person – etwa statt einem Sherry als Aperitif oder als Krönung nach einem leckeren Abendessen. Die Herstellung ist für den Winzer allerdings mit sehr viel Aufwand und Risiko verbunden.
Warum?
Während für Eisweine noch grüne Beeren bei minus 7 Grad kaltem Frost geerntet werden, braucht es für die Beerenauslesen einen speziellen Edelschimmelpilz, der idealerweise bei warmem Herbstwetter mit Frühnebeln und nicht in jedem Jahr wächst. Der Pilz macht die Beerenhaut porös und lässt sie rosinenartig einschrumpfen. Das Wasser verdunstet, der Zucker und die Fruchtsäure der Traube werden konzentriert und entwickeln einen Geschmack von Honig, Karamell und Rosinen. Dann gilt es, genau diese eingetrockneten Beeren herauszulesen. Werden diese handverlesenen Trauben gepresst, kommt kaum noch Wasser heraus. Es ist eine Kunst, sie zu vergären. Weil die Hefen sich in diesem konzentrierten Most schwertun, den natürlichen Zucker zu verarbeiten, müssen diese Weine nur mindestens 5,5 Volumenprozent Alkohol haben. Während normale Weine sieben Volumenprozent als Minimum aufweisen müssen. Je nachdem wie süß die Trauben geerntet wurden, werden sie in Auslese, Beerenauslese und Trockenbeerenauslese eingestuft. Sie werden meist nur in kleinen Flaschen von 0,375 oder 0,5 Litern angeboten, weil die Winzer davon oft nur ein Zwanzigstel eines normalen Ertrages ernten. Trockenbeerenauslesen sind daher sehr selten und deshalb auch teuer.
Das klingt alles nach großer Kunst und exklusiven Raritäten. Aber wie schafft man es, dass ein süßes Gläschen Skeptiker vom Hocker haut?
Edelsüße brauchen den richtigen Begleiter. Für das glanzvolle Finale eines tollen festlichen Menüs, etwa zu Weihnachten, zaubert man eine Trockenbeerenauslese aus dem Hut und serviert sie etwa mit Blauschimmelkäse. Das Spiel zwischen Salzigkeit und Süße führt zu einer Geschmacksexplosion am Gaumen. Ansonsten gilt es, bei Edelsüßen auf das gleiche Niveau zu achten. Nach dem Motto: Gleiche Weinsüße zu gleicher Speisensüße. Zu vielen Desserts oder Stollen, in denen ja auch Rosinen stecken, eignet sich eine Beerenauslese vorzüglich. Man muss nur aufpassen, dass die Süße des Desserts nicht die Süße des Weines überlagert. Das passiert bei Eis recht schnell. Sehr schön harmonisch und karamellig wird es mit einer Beerenauslese zur Crème Brûlée. Zu Obstsalaten passen auch etwas weniger süße Auslesen. (Deutsches Weininstitut/dpa/NZ)
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