Spirituosen-Trends: Was kommt nach dem Gin?
Gerade bei Obstbränden hatte man bis in die 1980er-Jahre hinein oft den Eindruck, dass hier Verwertung vor Veredelung stand. Der klassische Obstler war vor allem scharf, verlangte einen robusten Magen und konnte notfalls wahrscheinlich sogar als Rostlöser eingesetzt werden. Erst in den 1990er-Jahren fiel der Startschuss zum „Qualitätsbrennertum“. Verschnittware mit Zuckerzusatz war nicht mehr gefragt und in den Barkarten fanden sich plötzlich auch Kirsch- und Birnendestillate auf einer Augenhöhe.
Gin versus New Western Style
Ein andauernder Trend der Spirituosen-Szene ist in jedem Falle der Gin. Wer heute einen „Gin“ bestellt, erntet ähnlich fragende Blicke, als würde er einfach einen „Weißwein“ ordern. Und die Diskussion darüber, welcher Gin zu welchem Tonic passt, soll tatsächlich schon Freundschaften auf die Probe gestellt haben. „Was da bereits seit Jahren abgeht, ist Wahnsinn!“ meint Spirituosen-Experte Wolfram Ortner. Allerdings sollten es ihmzufolge die Produzenten mit der Kreativität nicht übertreiben. „Auch wenn ein Gin aus vielen Zutaten besteht, muss dennoch die Wacholderkomponente klar erkennbar sein. Wenn dies nicht der Fall ist, spricht man vom ›New Western Style‹, der mit einem klassischen Gin eigentlich nichts mehr zu tun hat.“
Der gute alte Cognac erwacht aus dem Koma….
Wie sieht es dagegen mit den beiden Klassikern Cognac und Armagnac aus? Denen wird schon seit geraumer Zeit immer wieder ein Comeback nachgesagt. Nach Ortners Erfahrung fänden auch diese Destillate nach einigen Jahrzehnten Todesstarre allmählich wieder ihren geistvollen Weg in die Bargläser zurück. Etwas skeptischer zeigt sich Spirituosen-Experte Markus Unterrainer: „Armagnac ist mausetot, bei Cognac sieht es nur unwesentlich besser aus. Das liegt einerseits am etwas antiquierten Image und andererseits daran, dass die Leute mit Altersbezeichnungen wie VSOP oder XO wenig anfangen können.“ Bei Whisky sähe er dagegen den größten Hype bereits als überschritten an.
Ist der Mezcal groß im Kommen?
Einen weiteren neuen Trend will Bar-Manager Niko Pavlidis im Mezcal ausgemacht haben. „Mittlerweile gibt es in Deutschland eine große Bandbreite an guten, hundertprozentigen Agaven-Tequilas, die fast so schmecken wie ein gut gelagerter Rum – und gute Bars haben heutzutage mehrere Qualitäten im Angebot.“ Eine Einschätzung, die die Münchner Barlegende Charles Schumann nicht unbedingt teilt: „Mezcal ist eine Sache für Liebhaber, wird aber nie ganz vorne sein bei der Nachfrage.“ Generell sind für Pavlidis die Nachfrage nach Nischenpropdukten und die Qualität von Cocktails ganz enorm gestiegen. „Kräuter und Gewürze, Bitters, Tee, frische Säfte, Kaffee, Infusionen und Marmeladen sind heute die Zutaten vieler Cocktails. Auch alkoholfreie Drinks mit frischen Früchten und Gemüse sind immer mehr gefragt.“
Vorteil für Hotelbars
Wie gut der Spirituosenverkauf generell in der Gastronomie läuft, liegt Wolfram Ortners Einschätzung nach sehr stark in den Händen des Wirtes: „Betriebe, die ihre Spirituosenkultur pflegen, verkaufen nach wie vor ihre Getränke“, weiß der Experte zu berichten. Selbstverständlich hätten beim Thema Spirituosen die Hotelbars, wo der Gast den Weg nur noch nach oben in sein Zimmer finden muss, einen enormen Vorteil gegenüber Landgasthöfen, von welchen der Gast zehn Kilometer mit dem Auto nach Hause fährt. Dass der Spaß am Genuss von Whisky, Williams & Co. zwar ungebrochen sei, sich aber u. a. aus diesen Gründen nach Hause verlagert habe, sehe man auch daran, dass der Umsatz der internationalen großen Marken stetig wachse – und zwar im Handel, nicht in der Gastronomie!
Text: Clemens Kriegelstein/Thomas Hack
Bildquelle: Getty Images/Marian Vejcik