Wie Hotelgäste den Hurrikan erlebten
Grau und etwas trutzig steht das Hotel in Bonita Springs am Rand der Hauptstraße. Sonst von der Sonne Floridas überflutet, fällt nun schier der Himmel auf das Haus. Mit ohrenbetäubenden Lärm rast der Sturm auf das Gebäude zu, immer und immer wieder. Hurrikan „Irma“ schickt wahre Sintfluten. Unweit von Bonita Springs kommt das Auge des Hurrikans am Sonntagnachmittag (Ortszeit) an Land, nachdem er schon zuvor seine ganze Wucht auf die Südspitze Floridas geschleudert hatte.
Gäste bleiben trotz verpflichtender Evakuierung
Das „Days Inn“ liegt noch knapp in der Zone, in der die Behörden vom Lee County die Evakuierung verpflichtend angeordnet haben. Dennoch suchen rund 100 Menschen aus der Region an diesem denkwürdigen Sonntag dort Schutz. Die Menschen wissen: Der Zweckbau ist stabil genug, um „Irma“ zu trotzen. Alles, was in der Gegend nach 1992 gebaut wurde, muss hurrikansicher sein. Damals hatte Hurrikan „Andrew“ weite Teile Floridas verwüstet, die Behörden haben gelernt.
Es ist eine eigenwillige Mischung von Menschen, die im „Days Inn“ zusammengekommen ist. Einige sind aufgeregt. Was wird wohl aus ihrem Hab und Gut werden, das sie zurücklassen mussten? Andere sind sehr cool, wieder andere tun nur so. Wichtigtuer sind dabei, Leute, die immer ganz genau wissen, was als nächstes passieren wird und denen gute Ratschläge nie ausgehen. Tom Tortorice ist da, ein 89 Jahre alter Koreakrieg-Veteran. Ihn interessiert das Unwetter viel weniger als der Nordkorea-Konflikt.
Kokosnüsse werden zu Geschossen
Anita Pereira (41) gehört ebenfalls zu der illustren Zufallsgemeinschaft. Ihr Haus liegt 45 Autominuten südlich in der Höhe von Fort Myers auf der Insel Marco Island. „Die Gegend wurde zwangsevakuiert“, sagt die gebürtige Ravensburgerin. „Alle mussten runter von der Insel, weil es zu gefährlich war, da zu bleiben.“ Mit ihren zwei Töchtern und dem Ehemann versucht sie nun, den Sturm auszusitzen.
„Wir fühlen uns hier etwas sicherer“, sagt sie. Sie hätten eigens ein Zimmer nahe am Treppenhaus gebucht, sei dieses doch aus Beton errichtet. Badezimmer ohne Fenster, sonst eher unbeliebt, sind in Hurrikan-Zeiten ein Glücksfall. „Ich habe Schlafsäcke in die Wanne gelegt, damit es für die Kinder so bequem wie möglich ist.“ Draußen im Hotelgarten liegen die Palmwedel waagerecht im Wind, wenn wieder eine dieser urgewaltigen Böen durchzieht. Die Kokosnüsse schaukeln gefährlich. Andernorts wurden sie abgenommen, die süßen Früchte können im Hurrikan zu gefährlichen Geschossen werden. Der Wind pfeift nur so an den Fensterscheiben entlang, eine graue Wand aus Wasser versperrt den Blick.
Kein Strom und nachgebende Türen
Die Hotelleitung hat die Eingangstür verrammelt. Wagen, auf denen normalerweise das Gepäck der Reisenden tranportiert wird, dienen als Sicherung – auch sie gibt nach. Ein paar Freiwillige reparieren die Tür. Einer fährt seinen Pick-Up-Truck als Sicherung von außen gegen das Hotelportal. Im Treppenhaus ist es schon tagsüber dunkel, die Batterien der Notlampen halten nur ein paar Stunden. Auch auf den Fluren ist es duster, hinter einzelnen Zimmertüren ist das Gequengel kleiner Kinder zu hören. Ihnen ist langweilig, hier im Notquartier. ann der Strom zurückkommt, ist ungewiss. Die Netzbetreiber machen für die kommenden Wochen keine großen Hoffnungen.
Im Frühstücksraum des „Days Inn“ ist man zusammengerückt. Nachdem der Strom zuvor mehrmals kurzzeitig ausgefallen war, ist er nun endgültig weg. Fernsehen, Licht, Kaffee – Fehlanzeige. Die Gestrandeten spekulieren, was sie wohl am nötigsten brauchen werden, wenn „Irma“ erst einmal durchgezogen ist. „Reifen“, glaubt Steve Pietrzyk, ein 53 Jahre alter Kleinunternehmer. „Man wird ja ständig einen Platten haben, durch das ganze Zeug, das auf den Straßen liegen wird.“
Es habe sie schließlich viel schlimmer treffen können: Ihre Nachbarn sind in einer zur Notunterkunft umfunktionierten Arena untergekommen. Steve Pietrzyk zeigt ein Foto auf seinem Smartphone. Menschen drängen sich dicht an dicht, nahezu jeder Quadratzentimeter ist besetzt. Fast 10.000 Menschen haben in der Halle Zuflucht gefunden – mehr, als die Arena an Schlafplatz bietet. „Die Leute müssen auf den Klappsesseln auf der Tribüne sitzen, die können sich nicht mal hinlegen“, erzählt Pietrzyk. (dpa/MJ)