„Lunch shaming“: Wer das Schulessen nicht zahlt, wird gedemütigt
Andere Länder, andere Sitten. Den guten Geschmack jedoch scheinen immer mehr amerikanische Schulen und ihre Kantinen zu vergessen. Nach Recherchen des „Spiegel“ häufen sich in den USA Fälle, die unter dem Phänomen „lunch shaming“ bekannt sind. Das jüngste bekannte Beispiel ereignete sich in der Schulkantine einer Grundschule in Pennsylvania. Dort griff eine Mitarbeiterin der Schule einem Schüler das Hähnchen vom Teller und warf es vor seinen Augen in den Müll – Grund dieses rigorosen Verhaltens: die Eltern des Kindes hatten das Essensgeld nicht bezahlt.
Weitere Vorfälle aus anderen Bundesstaaten skizzieren die dramatische Diskriminierung der betroffenen Kinder. Wie der „Spiegel“ in seiner Online-Ausgabe weiter berichtet, rufe das „lunch shaming“ besorgniserregende Praktiken hervor. Kinder deren Eltern das Schulgeld nicht bezahlt hätten, müssten zur Strafe den Fußboden der Mensa schrubben. Andere bekämen Stempel mit der Aufschrift „Ich schulde Essensgeld“ auf den Arm gedruckt.
Kantinenmitarbeiterin Stacy Kolitska hat gekündigt
Stacy Koltiska, die Kantinenangestellte aus Pennsylvania und dreifache Mutter, nahm dem Jungen gemäß den Vorschriften sein Hühnchen vom Teller. Sie hat ihren Job mittlerweile gekündigt, weil sie die gängige Praxis nicht gutheiße. Sie könne nicht länger für „eine Einrichtung arbeiten, die wegen 2,05 Dollar einem Kind das Essen verweigert und es demütigt“, schrieb sie in ihrer Kündigung, die in den USA für Schlagzeilen sorgte.
Der Bundesstaat New Mexico hat bereits Konsequenzen aus der öffentlichen Diskussion gezogen. Seit April ist es dort verboten, Kinder wegen der Essengeldschulden ihrer Eltern an den Pranger zu stellen. In Kalifornien und Texas denke man ebenfalls über ein derartiges Gesetz nach. „Diese Praxis ist weitverbreitet“, sagt Jennifer Ramo, Leiterin der Organisation Appleseed in New Mexico, die das Verbot des „lunch shaming“ initiiert hat.
„Das Essen wird tatsächlich weggeworfen, und die Kinder bekommen ein Käsebrot oder auch gar nichts“, erklärt sie. Viele Schulleiter wären der Meinung, dass Eltern offene Rechnungen für das Schulessen eher begleichen, wenn sie deren Kinder in der Kantine beschämen.
Viele Eltern in den USA schulden den Schulen Essensgeld
Drei Viertel der Schulbezirke in den USA stünden laut einer Studie des Verbandes für Ernährung in der Schule 2016 am Ende des Schuljahres beim Essensgeld in der Kreide. In manchen Bezirken schuldeten die Eltern den Schulen demnach Millionen Dollar. Oft sei es so, dass Lehrer, Kantinenmitarbeiter, oder Sponsoren offene Essensrechnungen für die Schüler begleichen, um die mittellosen Kinder vor einer Diskriminierung zu bewahren und ihnen eine warme Mahlzeit zu ermöglichen.
„Wie kann man erwarten, dass sich ein Kind acht Stunden in der Schule konzentriert, ohne etwas zu essen zu bekommen?“, fragt die ehemalige Kantinenmitarbeiterin Koltiska empört. „Wir geben Gefangenen drei Mal am Tag zu essen, aber unsere Kinder bekommen nichts.“ (Spiegel.de / FL)