Die Wiener Kaffeehauskultur
Viele könnten sich wohl keinen schöneren Beruf vorstellen. Dominik Prousek kostet spätestens jeden zweiten Tag rund 30 Torten. „Ich würde nicht naschen dazu sagen, es ist Qualitätskontrolle“, sagt Prousek. In der Wiener Kaffeehauskette „Aida“ ist Prousek in vierter Generation Chef und damit verantwortlich für einen Teil der Identität der Stadt. Jeden Tag werden in der Produktionshalle am Rande Wiens drei Tonnen Kuchen, Strudel und Schnitten hergestellt. Die Produkte gehen aber nicht nur in die Filialen in Wien, sondern auch nach Saudi-Arabien, China und Kroatien. Produkte, die ins Ausland geliefert werden, werden entsprechend angepasst. Chinesen wollen weniger Zucker, dafür darf es bei den Arabern umso mehr sein.
Trotz der langen Zeit hat sich seit der Gründung vor mehr als 100 Jahren wenig innerhalb der Produktpalette geändert. Cremeschnitten, Quarkplunder (in Österreich Topfengolatschegenannt) und Punschkrapferl – ein in Rum getränkter mit rosa Glasur verzierter Biskuitteig – sind nach wie vor Kassenschlager. Alle Rezepte bleiben seit jeher auf das Gramm genau gleich. „Unser Gäste kommen ja auch nicht, um ein gesundes Stück Kuchen zu essen“, so Prousek. Neben den sündigen Leckereien trinken die Kunden täglich rund 18.000 Tassen Kaffee. „Ich war schon als Kind mit meinem Vater in der Produktion und habe mit Marzipan gespielt“, erinnert sich der 30-Jährige, der den Betrieb 2013 übernahm. Ein Tag ohne einen Besuch im Kaffeehaus und ohne Süßspeise sei kaum vorstellbar. Zum Frühstück gibt es entweder ein Plundergebäck oder eine Ribiselschnitte. „Ich liebe Süßigkeiten.“ Und nur so ist dieser Beruf wohl überhaupt möglich.
Das Wiener Lebensgefühl
Der Besuch im Kaffeehaus gehört zum Lebensgefühl der Wiener. „Auf der ersten Silbe betont, bezeichnet Kaffee ein Getränk, auf der zweiten betont, bedeuten Café und Kaffeehaus in Wien und Österreich eine Lebensform“, schrieb der Schriftsteller Hans Weigel Ende der 1970er-Jahre. Für einen Wiener ist es selbstverständlich mehrere Stunden in einem Kaffeehaus zu sitzen und bei einer einzigen Tasse die Zeitung zu lesen. Ein Ort „in dem Zeit und Raum konsumiert werden, aber nur der Kaffee auf der Rechnung steht“, so heißt es etwa in der Begründung der Unesco. 2011 schaffte es die Kaffeehauskultur auf die Liste des immateriellen Kulturerbes.
Diese Kultur schlägt auch auf die Touristen über. „Der Besuch eines Kaffeehauses – auch als klassenloses Wohnzimmer der Wiener bezeichnet – ist ein wesentlicher Bestandteil eines Wien-Besuchs“, sagt Nikolaus Gräser vom Tourismusverband. Vor allem durch die jüngere Generation gäbe es eine Renaissance des klassischen Kaffeehauses. Daran würden auch internationale Ketten von Bohnenröstern nichts ändern. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, werde aber natürlich nicht sämtlich auf Neuerungen verzichtet. Im „Aida“ wurde 2013 beispielsweise tierische Gelatine aus der Produktion entfernt, damit die Speisen für muslimische Kunden halal sind.
Prouseks Vision ist es, dass bald in jeder großen Stadt ein Ableger eines Wiener Kaffeehauses zu finden ist. „Die Italiener und die Franzosen haben uns da überholt. Mir ist es wichtig, ein Stück Wien in die Welt hinauszutragen“. (dpa/MJ)