Falsche Fragen

Wann Lügen im Vorstellungsgespräch erlaubt sind

Frau mit Tschador
Kopftuch & Co in einem Bewerbungsgespräch zu thematisieren ist nur in Ausnahmefällen zulässig. (© BillionPhotos.com – stock.adobe.com)
„Wollen Sie Kinder? Sind Sie in der Gewerkschaft? Wo kommen Sie her?“ Es gibt Fragen, die in Vorstellungsgesprächen unzulässig sind. Trotzdem werden sie gestellt. Aber wie sollte man dann reagieren?
Montag, 17.02.2020, 10:17 Uhr, Autor: Clemens Kriegelstein

Das Bewerbungsgespräch lief so gut, dass Jasamin Ulfat-Seddiqzai dachte, sie bekäme den Job. Dann aber wurde sie zu einem zweiten Gespräch eingeladen – dieses Mal mit dem Chef persönlich. „Er hat mir dann gesagt, er müsse mein Kopftuch thematisieren“, sagt die Anglistin und Germanistin. Sie unterrichtet an der Universität Duisburg-Essen zu Britischer Literatur im postkolonialen Kontext und forscht etwa zu orientalistischen Stereotypen und Rassismus. Damals sei es um einen Studentenjob im Büro einer Sprachschule gegangen, erzählt sie. „Im Vorstellungsgespräch hat mich mein Chef gefragt, ob ich bereit wäre, das Kopftuch abzusetzen.“ Sie habe wahrheitsgemäß geantwortet, sie könne sich das vorstellen, wenn der Job es erfordere.

Die Wissenschaftlerin und Journalistin hat häufig erlebt, dass es in Bewerbungsverfahren um ihren Glauben oder um ihren afghanischen Migrationshintergrund ging. Das seien private Themen, die für die Entscheidung des Arbeitgebers keine Rolle spielen dürfen, betont Evelyn Räder, Arbeitsrechtsexpertin in der Bundesrechtsabteilung der deutschen Gewerkschaft Verdi. „Ob ich einen Migrationshintergrund habe oder die deutsche Staatsbürgerschaft besitze, muss dem Arbeitgeber egal sein.“

Private Infos sind tabu – sofern sie nichts mit dem Job zu tun haben

Allerdings gebe es eine Ausnahme: Bei Zugewanderten müssten sich Arbeitgeber versichern, dass diese in Deutschland arbeiten dürfen. Beschäftigen sie jemanden trotz Arbeitsverbot, begingen sie selbst eine Ordnungswidrigkeit. Generell lässt sich sagen: Fragen nach privaten Informationen sind so lange tabu, wie sie nichts mit der Ausübung des Jobs zu tun haben.

„Es muss ein billigenswertes, berechtigtes und schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers bestehen“, sagt Räder. Wenn sich jemand beispielsweise als Lehrkraft für ein bestimmtes religiöses Bekenntnis bewirbt, dürfe auch nach der Religionszugehörigkeit gefragt werden, erklärt Johannes Schipp, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im Deutschen Anwaltverein.

Bewerber befinden sich häufig in einem Konflikt: Einerseits möchten sie ein Vertrauensverhältnis schaffen, andererseits nicht zu viel von sich preisgeben. „Deswegen hilft die Rechtsprechung aus dieser Zwickmühle“, erklärt Evelyn Räder. Das bedeutet: Bei unzulässigen Fragen darf man die Unwahrheit sagen.

Notlüge kann bei unzulässigen Fragen helfen

Eine andere Möglichkeit ist, auf die Unzulässigkeit einer Frage hinzuweisen. Der Arbeitgeber werde sich dann aber womöglich seinen eigenen Reim darauf machen, sagt Johannes Schipp. „Es kann sein, dass es unter Umständen klüger ist, zur Notlüge zu greifen.“ Ein klassisches Beispiel für unzulässige Fragen sind die Themen Familienplanung und Schwangerschaft. Ob jemand Kinder bekommen möchte, habe nichts mit der Qualifikation für eine Stelle zu tun, betont Räder. „Ich würde auch niemandem raten, von sich aus darüber zu sprechen, denn das gehört nicht in ein Bewerbungsgespräch.“

Über eine bestehende Schwangerschaft muss selbst dann nicht gesprochen werden, wenn es um eine Bewerbung als Schwangerschaftsvertretung geht, erklärt Schipp. Ausnahmen könne es nur geben, wenn jemand eine Stelle über den gesamten Zeitraum etwa eines befristeten Arbeitsverhältnisses nicht antreten kann – beispielsweise, weil Schwangere in dem Beruf einem Beschäftigungsverbot unterliegen.

Unzulässig sind Fragen nach Krankheiten oder Vorstrafen

Bei der Frage nach dem Kopftuch hat Ulfat-Seddiqzai wahrheitsgemäß geantwortet. Laut Schipp hätte sie jedoch sagen können, was sie möchte. In ihrem Fall ging es um zukünftiges Verhalten, erklärt er. Der Arbeitgeber habe später nicht das Recht, Absichtserklärungen einzufordern. Der Anwalt sieht auch keinen Grund, warum es im Büro einer Sprachschule ein Kopftuchverbot geben solle. „Hier ist es relativ klar: Das geht den Arbeitgeber nichts an.“

Auch Fragen nach Krankheiten, Suchtproblemen oder Behinderungen dürfen normalerweise nicht gestellt werden, sagt Schipp. Als Ausnahme gilt, wenn ein bestimmter Job dadurch nicht ausgeübt werden kann. Gleiches gilt für Vorstrafen: Ansprechen müssen Bewerber und Bewerberinnen sie nur, wenn für die Arbeitsstelle wichtig sind. Eine Vorstrafe wegen Trunkenheit im Verkehr sei für einen Bankangestellten nicht relevant, für einen Busfahrer hingegen schon.

Bewerber haben auch eine Offenbarungspflicht

Auch nach einer Gewerkschafts- oder Parteizugehörigkeit dürfe der Arbeitgeber nicht fragen – außer man bewirbt sich etwa bei einer politischen Organisation. „In solchen Fällen kann es erlaubt sein zu fragen, ob man nicht Mitglied beim politischen Gegner ist“, sagt Schipp. Bei bestimmten Themen könne sogar eine Offenbarungspflicht herrschen. Die gelte für Eigenschaften, die für die Tätigkeit von ausschlaggebender Bedeutung sind: Wer sich als Lastkraftwagenfahrer bewirbt, aber keinen Führerschein hat, muss das offenlegen.

Vor einem Bewerbungsgespräch empfiehlt es sich darüber nachzudenken, welche Informationen man preisgeben sollte und welche nicht. Ratsam ist auch zu überlegen, wie man auf unzulässige Fragen reagieren würde. „Ich gebe Antworten, die möglichst schlagfertig sind“, erzählt Jasamin Ulfat-Seddiqzai. Eine Strategie, die auf jeden Fall funktioniere, gebe es aber nicht.

Wer klagt, muss Benachteiligung beweisen

Als ihr im Bewerbungsgespräch ungefragt mitgeteilt wurde, dass sie auf dem Flur nicht beten dürfe, habe sie geantwortet: „Ich bin nicht zum Beten hier und werde auch nicht missionieren.“ Das mit dem Missionieren war als Witz gemeint, wurde aber nicht so aufgefasst.

Wer im Bewerbungsprozess ohne sachlichen Grund ungleich behandelt wurde, kann nach Paragraf 15 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) Schadensersatzanspruch geltend machen, erklärt Evelyn Räder. Die Schwierigkeit bestehe jedoch darin, eine Benachteiligung zu beweisen. „Daran scheitern die Klagen nicht selten“, sagt Johannes Schipp. (dpa/CK)

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