Flüchtlinge in der Gastro: Problem oder Potential?
Einfach mit einem Dartpfeil auf eine Deutschlandkarte werfen: Egal wohin man trifft, man kann sicher sein, dass in dieser Region Wirte mit Personal- und Fachkräftemangel zu kämpfen haben. Beispiel Roggenburg: In der „Alten Roggenschenke“ in Roggenburg, einer kleinen Gemeinde zwischen Augsburg und Ulm, musste Inge Blum am diesjährigen Muttertag insgesamt 300 Reservierungsanfragen ablehnen. Sogar an einem normalen Mittwochabend kommt es durchaus vor, dass bis zu 50 Interessenten keinen Platz im Lokal bekommen. In der „Augsburger Allgemeinen“ sagt Inge Blum: „Wir haben den Biergarten nur halb aufgestuhlt.“ Sie habe einfach nicht das Personal, um mehr Gäste zu bewirten. Bereits seit einiger Zeit habe sie Stellen für Küche, Theke und Service ausgeschrieben. „Doch wir finden niemanden“, zitiert die „Augsburger Allgemeine“. Mittlerweile gibt es zwei Ruhetage, an denen das Restaurant geschlossen bleibt. Auch im nahegelegenen Klostergasthof sagt Chef Christian Fischer: „An starken Tagen müssen wir die Öffnungszeiten einschränken. Den Biergarten können wir dann erst nachmittags aufmachen.“ Auch hier ist eine Stelle als Koch ausgeschrieben, Bewerbungen gab es jedoch noch keine einzige. Diese Situation ist bezeichnend für zahlreiche Wirte in der gesamten Bundesrepublik.
Die Gründe sind zahlreich, aber bereits lange bekannt. Fachkräfte gibt es nur wenige, und die wollen meist lieber in der Industrie arbeiten. Dort gibt es bessere Arbeitszeiten und höhere Löhne. Die Branche ist außerdem für junge Menschen nicht attraktiv, die wollen lieber studieren. Aushilfskräfte gibt es nur in den Städten in ausreichender Zahl. Zudem erschweren bürokratische und gesetzliche Hürden, wie die tägliche Höchstarbeitszeit oder unzählige Dokumentationspflichten den gastronomischen Erfolg zusätzlich.
Flüchtlinge könnten helfen, dürfen aber oft nicht arbeiten
Die Tausenden von Flüchtlingen wären eine hervorragende Hilfe für die hart arbeitende Gastronomie. Doch bis ein Flüchtling überhaupt arbeiten darf, dauert es wesentlich länger, als von der Politik anfangs angenommen. Auch hier schlägt wieder das „Bürokratiemonster Deutschland“ zu. In ganz Sachsen-Anhalt gibt es beispielsweise rund 14.000 erwerbsfähige Flüchtlinge, von denen derzeit jedoch nur 1.800 eine sozialversicherungspflichtige Arbeit gefunden haben, hauptsächlich in der Gastronomie sowie im Gesundheits- und Sozialwesen. 800 Flüchtlinge sind geringfügig beschäftigt. Laut Volksstimme.de befinden sich immer noch 6.600 Flüchtlinge in der Qualifizierung oder in Sprachkursen, 4.600 Frauen und Männer sind arbeitslos gemeldet. (Stand Oktober 2017)
Leider kommt es auch immer wieder vor, dass Flüchtlinge, die einen Ausbildungsvertrag abgeschlossen oder zumindest zugesichert bekommen haben und gewillt wären, eine Berufsausbildung zu absolvieren, abgeschoben werden. So erging es beispielsweise Natia Tsintskiladze, Valdrin Shabani und Marine Nikoghosyan. Diese drei Frauen standen kurz vor einer Ausbildung im Restaurant „Steins Traube“ und dem „Adler Gasthaus und Hotel“ in Finthen. Christian Rathgeber, Juniorchef des Adler-Hotels setzte sich für die drei geflüchteten Frauen ein und versuchte die Abschiebung zu verhindern, er bot sogar an, eine Wohnung in seinem Hotel zur Verfügung zu stellen. „Es hat keinerlei Kommunikation stattgefunden, ich bin da komplett auf Granit gestoßen“, erzählt der 27-Jährige gegenüber der AZ. Natia wurde bereits in Handschellen abgeführt, Valdrin und Marine warten noch auf das Ende ihres Asylverfahrens. Für Rathgeber ist dieses Vorgehen der Politik nicht nachvollziehbar. „Unsere Branche leidet massiv unter dem Fachkräftemangel“, wird er in der AZ zitiert. „Es kann nicht sein, dass fleißige Menschen abgeschoben werden, die in ihrem Heimatland keine Perspektive haben und hier Integrationswillen zeigen.“
Es bleibt nur zu hoffen, dass alle Beteiligten lernen, enger und flexibler zusammenzuarbeiten. Solange es in den Ämtern nur „Dienst nach Vorschrift“ gibt und nicht auf die Probleme und Ansprüche der Branchen und die individuellen Potenziale und Ambitionen der Flüchtlinge eingegangen wird, ist eine Bewältigung des Personal- und Fachkräftemangels eher unwahrscheinlich. (Allgemeine-Zeitung.de/Volksstimme.de/Augsburger Allgemeine/MJ)