Falsche Versprechen vergraulen Talente
Wenn die Recruiting-Maßnahmen eines Unternehmens erfolglos bleiben, wissen die eigenen Mitarbeiter meistens recht gut, woran das liegt. Man müsste sie nur mal fragen!
Diese These bildet den Auftakt zu unserer exklusiven Themenreihe „Employer Brand“ mit Jan Steffen, Geschäftsführender Gesellschafter von eTo Personalmarketing. Wir sprechen mit dem Recruiting-Experten über die Bedeutung einer attraktiven Arbeitgeber-Marke – der Employer Brand. Was zunächst für den ein oder anderen recht trocken klingen mag, ist geradezu essenziell für jedes Unternehmen – unabhängig vom jeweiligen Wirtschaftszweig.
Employer Brand – was heißt das?
Zunächst gilt es aber erst einmal zu klären, was der Begriff Employer Brand eigentlich bedeuten soll. Gemeint ist damit die Wirkung eines Betriebes nach außen. Wie wird er von den eigenen Arbeitnehmern, Bewerbern, Marktbegleitern und Kunden wahrgenommen? Es geht sozusagen um das Image und wie attraktiv dieses für potenzielle Bewerber ist. Das umfasst Aspekte wie Unternehmenskultur, Werte, Entwicklungsmöglichkeiten, Work-Life-Balance oder Mitarbeiterbenefits. So viel zur Theorie.
In der Praxis ist es oft sinnvoll, sich das eigene Unternehmen objektiv anzusehen, also mal ganz ohne die berühmte rosa Brille den aktuellen Status quo zu erfassen. Allerdings gestaltet sich dieser neutrale Blick von innen heraus oft schwierig. Zu sehr sind Geschäftsführer mit ihrem Unternehmen verbunden, um tatsächlich objektiv zu sein. Hilfreich können hier Experten wie Jan Steffen sein, die von außen, ohne emotionale Bindung, einen deutlichen besseren Kritikstandpunkt einnehmen können.
Schritt für Schritt zum Erfolg
Das ist der erste Schritt, um auf dem angespannten Personalmarkt wettbewerbsfähig zu werden bzw. zu bleiben. Denn will es mit der Gewinnung neuer Mitarbeiter nicht funktionieren, liegt der Grund dafür immer im Unternehmen selbst und selten bei den Bewerbern. Die Etablierung einer Employer Brand hilft dem Unternehmen qualifiziertes Personal anzuziehen, die Mitarbeiterbindung zu stärken und die Mitarbeiterzufriedenheit zu steigern.
Allerdings handelt es sich bei dieser Etablierung um einen längeren Prozess. Kein Unternehmen schafft es, von heute auf morgen, die ideale Employer Brand aufzubauen. Bis dahin ist häufig die Umsetzung mehrerer Schritte notwendig. Mit Jan Steffen werden wir in den folgenden Monaten diese Steps besprechen und wollen so einen Einblick in dieses spannende Thema geben.
In unserem ersten Gespräch mit Jan Steffen steht die Frage im Fokus, wie Betriebe verhindern, eine Scheinwelt aufzubauen, um Talente anzuziehen. Mitunter annoncieren Firmen mit großartigen Versprechen für ihre Stellenangebote. Es werden Benefits hervorgehoben, die so in der Realität nicht für den Bewerber vorzufinden sind. Wie problematisch das tatsächlich ist, erfahren Sie hier im Interview:
Wenn ein Unternehmen sich an Sie wendet und Unterstützung beim Aufbau der Employer Brand möchte, auf was für Realitäten treffen sie dabei?
Es gibt tatsächlich zwei Richtungen. Die eine Projektanfrage ist in der Regel die, dass sie ein Top Unternehmen haben, das eine gesunde Innovationskultur hat, eine super Talentförderung und niemand weiß davon. Das sind dann kleinere Familienbetriebe, die richtig abliefern, aber es nicht nach außen tragen.
Das ist die eine Strömung.
Die andere Richtung sind Unternehmen, welche nach außen hin einen Schein aufrechterhalten, quasi eine Art Marketing-Blase erzeugen, obwohl offensichtlich ist, dass das nicht deckungsgleich ist mit der Realität.
Deswegen ist auch unser Ansatz der, in die Unternehmen hineinzugehen. Dort reden wir aber nicht ausschließlich mit den Geschäftsführern oder auf Management-Ebene. Stattdessen sprechen wir mit den „Spielern“ vor Ort – das heißt, wir reden mit den Zimmermädchen, den Kellnern und Abteilungsleitern. Nur so bekommen wir ein authentisches Bild davon, wie das Unternehmen aus Mitarbeitersicht wahrgenommen wird und welche Herausforderungen bestehen. Häufig stellen wir dabei fest, dass die Wahrnehmung der Eigentümer von dem Bild der Mitarbeiter abweicht.
Welche Abweichungen stellen Sie den beispielsweise fest?
Oft stellen wir fest, dass die Geschäftsführung Dinge für die Mitarbeiter unternimmt, die aus ihrer Sicht wertvoll sind. Doch manchmal ist das, was im Management als wertvoll wahrgenommen wird, nicht wirklich relevant für die Mitarbeiter. Wenn das Unternehmen also Maßnahmen ergreift, die die Mitarbeiter nicht als Mehrwert sehen, dann drehen sich alle im Kreis.
Wie reagieren Unternehmen auf Ihr Feedback, wenn die Wahrnehmungen stark auseinandergehen?
Es gibt tatsächlich Fälle, in denen Unternehmen anfangs etwas überrascht sind. Es ist entscheidend, dass ein Unternehmen bereit ist, auf die Ergebnisse einzugehen, auch wenn es im ersten Moment vielleicht unbequem ist.
Was raten Sie, wenn es offensichtlich Handlungsbedarf im Unternehmen gibt?
Das ist oft ein längerer Prozess. Unternehmen müssen bereit sein, das Thema ernsthaft anzugehen, statt nur nach außen hin ein gutes Bild zu vermitteln. Wenn es z. B. Zusatzleistungen gibt, die für die Mitarbeiter nicht relevant sind, dann reicht es nicht, diese in der Kommunikation groß zu vermarkten. Es muss sichergestellt werden, dass die Bedürfnisse der Mitarbeitenden im Alltag erfüllt werden.
Könnten Sie uns ein Beispiel nennen?
Ein Beispiel ist ein Unternehmen, das seinen Mitarbeitern nach Feierabend die Nutzung eines Golfplatzes ermöglichte. Das klang im ersten Moment nett, aber wenn Sie einen Koch fragen, der seit neun Stunden in der Küche steht, ist seine Priorität wahrscheinlich eher, seine Familie zu unterstützen, anstatt nach Feierabend Golf zu spielen. Solche Beispiele zeigen, wie wichtig es ist, Zusatzleistungen anzubieten, die tatsächlich im Alltag der Mitarbeiter relevant sind.
Das klingt nach einer Menge Überzeugungsarbeit für das Management.
Auf jeden Fall. Wir bieten keine schnelle Lösung. Unser Ziel ist es, eine authentische Arbeitgeber-Marke aufzubauen, und das bedeutet auch, das Unternehmen dazu zu bringen, ehrlich mit sich selbst zu sein. Manchmal gibt es Unternehmen, die glauben, dass sie ein attraktiver Arbeitgeber sind, aber eine Befragung der Mitarbeitenden zeigt das Gegenteil.
Wie wichtig ist es also, dass die Außendarstellung eines Unternehmens mit der tatsächlichen Arbeitsrealität übereinstimmt, und welche Konsequenzen sehen Sie, wenn diese Diskrepanz nicht beachtet wird?
Wir haben oft die Situation, dass Unternehmen, besonders im Bereich Personalmarketing, sich unter Druck setzen, nach außen hin ein besonders junges, dynamisches und modernes Image zu präsentieren – weil man denkt, das ist das, was Bewerber anzieht. Aber wenn wir ehrlich sind, basiert das häufig auf einer Notsituation oder einer Art Selbsttäuschung. Diese Vorstellung wird dann von der Marketingabteilung nach außen getragen, ohne dass dahinter wirklich eine echte Unternehmenskultur steht. Doch das ist ein gefährlicher Weg, weil sich die wahre Unternehmenskultur irgendwann offenbart, und zwar spätestens, wenn die neuen Mitarbeiter anfangen.
Was passiert dann?
Die Kennzahl „Kündigung in der Probezeit“ ist da ein ganz wichtiges Thema. Wenn jemand sich für das Unternehmen entscheidet und dann merkt, dass die Realität ganz anders aussieht als die bunten Versprechungen, folgt oft die Kündigung. Und das ist nicht nur ein wirtschaftliches Problem, sondern auch ein Imageproblem. Denn Studien zeigen, dass negative Erfahrungen viel stärker weitergetragen werden als positive. Eine schlechte Erfahrung wird vielfach weitergegeben – ob durch Gespräche mit Freunden, in sozialen Medien oder sogar in Bewertungsplattformen.
Das kann für ein Unternehmen gerade in kleineren Regionen schnell sehr problematisch werden. Wenn ein Restaurant in einer Kleinstadt über schlechte Erfahrungen spricht, wird sich das rasch herumsprechen. Deshalb arbeiten wir oft mit unseren Kunden daran, diese Diskrepanz zwischen Image und Realität zu überwinden.
Wir haben schon erlebt, dass ein Kunde seine Marke in eine sehr bunte, überzogene Richtung entwickelt hatte. Wir mussten dann gemeinsam den Kurs korrigieren. Wir haben uns zuerst angeschaut, was die Mitarbeiter wirklich unzufrieden macht, haben an der internen Kultur gearbeitet und das dann in die Außendarstellung integriert.
Was empfehlen Sie einem Unternehmen, um die Mitarbeiterzufriedenheit zu stärken?
Als Eigentümer sollte man nicht versuchen, alle Probleme alleine zu lösen, sondern aktiv das Gespräch mit den Mitarbeitern suchen und herausfinden, was sie wirklich beschäftigt. Oft sind sie die ersten, die einem die richtigen Hinweise geben. Ich würde empfehlen, in kleinen, aber gezielten Schritten zu starten und nach und nach Lösungen zu erarbeiten, statt alles auf einmal angehen zu wollen. Deshalb empfehlen wir immer Veränderungen nacheinander umzusetzen. So lässt sich vieles schrittweise in die operativen Prozesse integrieren, und es wird einfacher, die Mitarbeiter auf diesem Weg mitzunehmen.
Gibt es denn auch das Gegenteil, dass Unternehmen mehr Benefits haben, als ihnen bewusst ist?
Ja! Wenn wir am Anfang mit Geschäftsführern sprechen, fragen wir immer nach den Benefits, die sie ihren Mitarbeitern bieten. Oft beginnen sie dann nachzudenken und merken, dass sie tatsächlich eine Vielzahl von Angeboten haben, wie zum Beispiel Unterstützung bei der Wohnungssuche. Dabei kommen immer mehr relevante Leistungen ans Licht. Leider wird dies jedoch nicht in der Außenkommunikation berücksichtigt.
Wir sehen dann oft eine Liste mit 10 Zusatzleistungen, aber wenn wir uns die Stellenanzeige ansehen, finden wir nur allgemeine Begriffe wie „flache Hierarchien“ oder „dynamisches Team“. Diese Punkte sprechen jedoch nicht die Bedürfnisse der Mitarbeiter an, und so gehen die relevanten Benefits oft unter. Das ist extrem Schade, daher müssen wir die wirklich guten Benefits dann nach außen tragen.
Herr Steffen, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mit uns zu sprechen!
(Jan Steffen/CHHI)