„Was wir zum Start des Ausbildungsjahres erlebt haben, kommt einem Erdrutsch gleich“
Die Zahl der Auszubildenden in der Tourismusbranche im Südwesten Deutschlands ist 2020 deutlich zurückgegangen. Die dortige Industrie- und Handelskammer und der Dehoga Baden-Württemberg zeigen sich besorgt. In einer gemeinsamen Mitteilung heißt es, dass der Rückgang bei den neu geschlossenen Ausbildungsverträgen in Hotels und Restaurants im Vergleich zu 2019 mit 21 Prozent mehr als ein Fünftel beträgt. Die Verunsicherung sei nicht nur bei Gastronomen, Hoteliers, Bar- und Clubbesitzern groß, deren Betriebe seit Monaten geschlossen sind, sondern auch bei Fachkräften und potenziellen Bewerbern, dem Nachwuchs.
Zwar seien die Ausbildungszahlen im Gastgewerbe schon seit einigen Jahren rückläufig, hätten sich zuletzt aber stabilisiert, sagte Martin Keppler, Hauptgeschäftsführer der im Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertag (BWIHK) für den Bereich Tourismus federführenden Industrie- und Handelskammer (IHK) Nordschwarzwald. „Doch was wir zum Start des Ausbildungsjahres mit den Corona-Auswirkungen erlebt haben, kommt einem Erdrutsch gleich.“
„Gut ausgebildete Fachkräfte im Gastgewerbe notwendiger denn je“
„Die Corona-Krise hat die große Ausbildungsbranche Gastgewerbe voll getroffen“, bestätigte auch Dehoga-Landeschef Fritz Engelhardt. Besonders deutlich wirke sich der Rückgang in den Städten aus. Hier gebe es für 2020 sogar 23 Prozent weniger neue Auszubildende. Dagegen sei es zum Beispiel in der Ferienregion Schwarzwald, die im Sommer noch mächtig boomte, ein Minus von nur 9 Prozent. „Nach Überwindung der Corona-Krise gilt es, bei der Ausbildung wieder durchzustarten, denn gut ausgebildete Fachkräfte werden wir im Gastgewerbe in den kommenden Jahren notwendiger brauchen denn je“, erklärt Engelhardt.
Ein Blick auf die Zahlen zeigt aber nicht nur, dass das Gastgewerbe in puncto Nachwuchs schwer angeschlagen ist, noch härter hat es die Veranstaltungswirtschaft (ein Minus von 20 Prozent im Vergleich zu 2019) und die Tourismuskaufleute getroffen – bei Letzteren sind es 63 Prozent und damit fast zwei Drittel weniger Ausbildungsverträge, die 2020 unterschrieben wurden. Starteten 2019 noch 238 junge Leute ihre Ausbildung im Reisebüro in Baden-Württemberg, waren es 2020 nur noch 88.
Sorge vor Nachwuchs-Abwanderung in andere Branchen
Die gesamte Branche brauche nun dringend eine Perspektive, auch für Mitarbeiter und Azubis, mahnten Keppler und Engelhardt. Ansonsten verschärfe sich die ohnehin schon vorhandene Fachkräfteproblematik. „Unternehmer müssen ihren Mitarbeitern zeitnah zumindest einen Fahrplan trotz Corona nennen können“, sagte Keppler. Sei dies nicht möglich, befürchte man eine zunehmende Abwanderungsbewegung in andere Branchen und Berufe, die ihr Ausbildungsangebot dank besserer Wirtschaftlichkeit stabiler halten können.
Ausbildungsstart im Februar nutzen
Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut sagte, der Einbruch bereite ihr große Sorgen. Sie empfahl daher Betrieben, die als Folge der Pandemie geschaffene Möglichkeit des alternativen Ausbildungsstarts im Februar zu nutzen und sich dafür an die Kammern zu wenden. „Ich hoffe, dass wir dadurch bei den Neuverträgen noch aufholen können“, sagte sie.
Auch DGB-Chef Martin Kunzmann bezeichnete den Rückgang der Zahlen als „alarmierend“. „Wir setzen darauf, dass möglichst viele Betriebe zum zweiten Ausbildungsstart im Februar jungen Menschen eine Chance geben“, sagte er.
Keine Entwarnung für bestehende Ausbildungsverhältnisse
Die Allianz Selbständiger Reiseunternehmen – Bundesverband e.V. (asr) fordert unterdessen eine bundesweite Unterstützung von der Bundesregierung für Azubis. Gleichzeitig brauche es geeignete staatliche Maßnahmen, um dem Fachkräftemangel der Touristik zu begegnen. Jochen Szech, Präsident des asr, sagte: „Wir müssen auf die Gefahr hinweisen, dass nach Eindämmung der Pandemie zwar eine wirtschaftliche Erholung der Touristik möglich ist, diese aber durch den Mangel an Fachkräften bedroht sein wird.“
Auch für die noch bestehenden Ausbildungsverhältnisse besteht nach Ansicht des asr kein Grund zur Entwarnung. Dirk Aufermann, Vorsitzender des Ausschusses Bildung im asr, befürchtet: „Viele Auszubildende müssen damit rechnen, bei anhaltender Buchungslage ihre Ausbildung ebenfalls nicht regulär zu Ende führen zu können.“ Daher fordert er für alle in der dualen Ausbildung befindlichen Auszubildenden eine Zusage, die Abschlussprüfung ablegen zu können, auch wenn das ausbildende Unternehmen nicht mehr existiere. „Dies ist ein entscheidender Schritt, um den Nachwuchs in der Branche halten zu können.“
Zudem appelliert der asr an das Bundesarbeitsministerium, das Förderprogramm Ausbildungsplätze sichern an die Realitäten anzupassen: „Die Kosten der dreijährigen Ausbildung liegen für touristische Betriebe bei über 30.000 Euro – da sind 2.000 bis 3.000 Euro Prämie kein ausreichender Anreiz für die Unternehmen“, mahnt Szech.
(dpa/lsw/asr/KP)