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What’s next?

Wie gehen wir in Zukunft mit der Personalpolitik um?

von Karoline Giokas
Donnerstag, 03.11.2022
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Zimmer sind nicht bezugsfertig, beim Essen dauert jeder Vorgang doppelt so lange – noch immer sind neue Mitarbeiter nur schwer zu finden. Die Gründe hierfür wurden seit dem Corona-Aufkommen heiß diskutiert. „Wir alle sollten inzwischen eingesehen haben, dass wir uns rühren müssen“, attestiert Christoph Hoenig sogleich. 58 Mitarbeiter beschäftigt der Geschäftsführer in seinem Neumühle Resort & SPA an der Fränkischen Saale, rund 40 Prozent davon sind Quereinsteiger. Und Hoenig stolz darauf: „Die Ausbildung, wie wir sie in den letzten Jahren in Deutschland praktiziert haben, hat so keine Zukunft mehr“, sagt er überzeugt.  

Eine seiner Mitarbeiterinnen hat studiert, wollte in dem erlernten Fachbereich aber nicht arbeiten und ist lieber in die Hotellerie eingestiegen. „Sie ist sehr gebildet, hat eine großartige Auffassungsgabe und bringt unheimlich viel Spaß am Gastgeben mit.“ Ein anderer Mitarbeiter ist ursprünglich gelernter Einzelhandelskaufmann, hat im Betrieb als Page angefangen und wird jetzt zum stellvertretenden Empfangschef gemacht – eine Erfolgsstory.

Koch dekoriert essen
Foto: Bockenheimer Weinstube

Quereinsteiger mit Motivation

„Ganz ehrlich: Ich arbeite lieber mit Menschen, die leidenschaftlich an ihren Job gehen, als mit Qualifizierten, die das Gastgeber-Gen verloren haben. Das, worauf es in unserer Branche ankommt – unseren Gästen unvergessliche Momente bescheren zu wollen“, bringt es Hoenig auf den Punkt. Gern ermöglicht er auch ausländischen Kollegen den Einstieg in sein Haus – 
ist Hoenig doch überzeugt, dass sich „die Businesssprache über kurz oder lang auf Englisch beschränken wird“. Allerdings wirft die Gesetzgebung ihm hierbei so manchen Stein in den Weg. 
„Gerade suchen wir eine Lösung, um einen 34-jährigen Hotelfachmann aus der Türkei mit fairem Gehalt, angepasst an sein Können, bei uns beschäftigen zu können. Obwohl er nämlich bereits fertig gelernt hat, bekommt er in Deutschland lediglich ein Ausbildungsvisum, sprich, er muss hier nochmals eine Ausbildung absolvieren – das ist doch grotesk.“ Die Politik müsse seiner Ansicht nach mehr dafür tun, Migranten, die Lust und Spaß daran haben, im Gastgewerbe zu arbeiten, dies auch zu ermöglichen.

Wir machen in Sachen Gehalt keinen Unterschied. Es geht um die Performance, die die Mitarbeiter abliefern. Egal, welche Qualifikationen sie mitbringen 

Christoph Hoenig, Neumühle Resort & Spa

Hilfe aus dem Ausland?

Gerade seit Beginn des Ukraine-Krieges ist Bewegung in die Debatte um Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland gekommen: Was Gastronomen und Hoteliers schon lange fordern, wurde plötzlich angegangen. Die Rede ist von vereinfachten Zuwanderungsregeln zum Arbeitsmarkt, um so mehr Arbeitskräfte aus dem Ausland einstellen zu können. Aktuell liegt der Anteil von Beschäftigten mit Migrationsgeschichte im Gastgewerbe laut Angaben der Bundesagentur für Arbeit bei rund 35 Prozent (Stand Juli). Jetzt soll das im Juli von der Bundesregierung erste beschlossene Migrationspaket für Erleichterung bei der Fachkräfteeinwanderung sorgen, wobei unter anderem das sogenannte Chancen-Aufenthaltsrecht geduldeten Menschen, oder Menschen, deren Asylanträge abgelehnt wurden, die aber gut  gut integriert sind, durch eine einjährige Aufenthaltserlaubnis die Möglichkeit bieten soll, die notwendigen Voraussetzungen für ein Bleiberecht zu erfüllen. Damit würden auch die Bürokratie und die Unsicherheit wegfallen. 

Gemütlich urige Sitzecke
Foto: Bockenheimer Weinstube

Prof. Herbert Brücker, Leiter des Forschungsbereiches Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), einer Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit, sieht eine noch nicht bewältigte Hürde vor allem in Sachen Qualifikationsanerkennung für ausländische Arbeitskräfte aus Ländern außerhalb der EU. „Viele ausländische Fachkräfte sind sehr gut qualifiziert, haben aber andere Bildungsabschlüsse als in Deutschland mit seinem weltweit fast einmaligen Ausbildungssystem. Die Abschlüsse werden deshalb häufig nicht als gleichwertig anerkannt. Ohne diese Anerkennung darf man aber nicht einreisen und arbeiten. Dadurch geht ein großes Potenzial verloren.“

Wilhelm K. Weber
Foto: www.martinjoppen.de/Martin Joppen Photographie

Die richtigen Anreize finden

Indes ist Wilhelm K. Weber, Verwaltungsratspräsident der Swiss Hospitality Collection, überzeugt: „Verzweiflung ist absolut nicht sexy! Kürzere Arbeitszeiten und höhere Gehälter nicht das Mittel zum Zweck.“ Wie er darauf kommt? Die Kooperation der Schweizer Hotels hat direkt bei denen nachgefragt, die es wissen müssen – bei rund 100 Lehrlingen im dritten Lehrjahr sowie Studenten – was diese eigentlich wollen. Die Antwort war eindeutig: „Wir möchten etwas erleben, die Welt bereisen, internationale Erfahrungen sammeln.“ Webers Überlegung dann: „Was können wir machen, um an diese Motivation anzuknüpfen? An verbesserte Konditionen wie weniger Arbeitsstunden hat man sich nach einem halben Jahr gewöhnt.“

Verzweiflung ist absolut nicht sexy! Kürzere Arbeitszeiten und höhere Gehälter nicht das Mittel zum Zweck 

Wilhelm K. Weber, Swiss Hospitality Collection

Die Lösung: Um Mitarbeiter langfristig zu binden, bietet die Vereinigung privat geführter Hotels nun allen Bewerbern an, drei Jahre unter ganz normalen Bedingungen für eines der kooperierenden Häuser zu arbeiten und am Ende den Einsatz mit einem „Round the World Ticket“ und bis zu sechs Monaten bezahlter Reisezeit belohnt zu bekommen. In der Praxis erhält jeder Mitarbeiter ein Gleitzeitkonto, auf dem er Überstunden sammelt. Am dafür nötigen Programm sowie einer korrespondierenden Profildatenbank, welche die Kontaktvermittlung von Hotel zu Bewerber ermöglicht, tüftelt Weber mit seinem Team aktuell noch. „Ist der Vertrag abgeschlossen, können die Angestellten dann ihr Reiseziel definieren und haben mit einer virtuellen Weltkarte inklusive Reiseroute stets einen Überblick darüber, wie nahe sie ihrem Ziel sind“, erklärt der Verwaltungsratspräsident. Die Bewerbungen sind jedenfalls in vollem Gange – sogar deutsche Hotels haben schon Interesse an dem Konzept bekundet und wollen es auf ihre Häuser adaptieren.

Christian Bauer
Foto: Ruby Hotels

Gastgeber wird Recruiting-Manager

Christian Bauer, Digitalexperte und Geschäftsführer von Resmio, rät mitarbeitersuchenden Betrieben, mehr Eigeninitiative in Sachen Selbstpräsentation zu stecken und sich nach außen mittels moderner Medien und Social-Media-Plattformen stilsicher zu präsentieren. „Einige Betriebe machen das schon ganz vorbildlich“, resümiert Bauer. „Aber die meisten Restaurantbetreiber gehen das Thema dann doch eher stiefmütterlich an, der digitale Auftritt steckt dementsprechend noch in den Kinderschuhen“, beobachtet Bauer. Die Arbeitswelt hat sich gewandelt: Gastronomen können nicht mehr darauf hoffen, dass einem qualifizierte Fachkräfte Tür und Tor einrennen. Bauer: „Der Ball liegt bei uns; wir müssen uns sprichwörtlich in Schale werfen und unsere Gastronomie als attraktiven Arbeitgeber präsentieren. Zeigen, warum es schön ist, mit uns und für unsere Gäste zu arbeiten.“

„Gastgeber können bei der Mitarbeitersuche digitale Schaffenskraft mit klassischem Handwerk kombinieren: Geben Sie doch mal eine Stellenanzeige für einen Barkeeper auf, der nicht nur coole Drinks mixt, sondern seine Kreationen fürs Restaurant auf Instagram perfekt in Szene setzt – schon ist das Jobangebot  viel attraktiver.“  

 Christian Bauer, Resmio   

Wichtig laut Bauer sei ein ganzheitliches Konzept. „Eine zeitgemäße Webseite, gepflegte Profile auf Facebook, Google und Instagram – all das vermittelt einen wichtigen ersten Eindruck von mir als Arbeitgeber“, betont der Digitalexperte und verweist auf Online-Kanäle, die für potenzielle Bewerber in der Regel die erste Anlaufstelle bei der Jobsuche darstellen. Aber Digitalisierung kann überfordern, schließlich sind nur die wenigsten Gastronomen echte Web-Profis. Deshalb rät Bauer, sich Schritt für Schritt voranzutasten. „Dann fallen die Berührungsängste, der große Nutzwert wird deutlich.“

Einer, der sich richtig ins Zeug legt und traut, das Thema anzugehen, ist Tom Weber, Geschäftsführer des Restaurants „dasFiaker“ im österreichischen Laakirchen. „Wir produzieren eigene Videos, um neue Servicekräfte auf uns aufmerksam zu machen. Hier geht es uns in erster Linie darum, einen authentischen Eindruck zu vermitteln – das funktioniert am besten mit Humor und wir merken, dass das gut ankommt.“ Selbst seine Gäste unterstützen ihn und starten einen Aufruf auf ihren Kanälen, wenn Weber Personal sucht.

Zwei Köche der Bockenheimer Weinstube
Foto: Bockenheimer Weinstube

Zufriedene Gäste als Aushängeschild

Wie wertvoll der persönliche Kontakt zum Gast ist, weiß auch Daniel Hinz. Seine Bockenheimer Weinstube ist ein kleiner Betrieb an der Pfälzer Weinstraße mit rund 15 Mitarbeitern. Hinz und sein Chefkoch Christian Saul legen großen Wert auf ein familiäres Verhältnis unter den Kollegen – auch private Sorgen und Nöte haben hier ihre Berechtigung und werden ernst genommen. „Familie ist mir besonders wichtig, damit meine ich sowohl die im Job als auch die private. Kenne ich meine Mitarbeiter und weiß, was sie beschäftigt, kann ich ihnen als Arbeitgeber vertrauen und mit entsprechender Flexibilität entgegenkommen“, erklärt Inhaber Hinz.
 
Die Mitarbeitersuche nehmen der ehemalige Headhunter und sein Chefkoch selbst in die Hand. „Jobbörsen haben absolut ihre Berechtigung, sind aus unserer Sicht standortbedingt vorwiegend in Ballungsgebieten hilfreich.“ Ein einfacher Aushang bringt’s aber auch nicht, ist sich der 44-jährige Restaurantbesitzer sicher. Das Bockenheimer Weinstuben-Team schwört in Sachen Mitarbeiterfindung auch auf eigene Netzwerke – die der Kollegen, aber auch der Gäste. Mit Erfolg: Ihren neuen Sous Chef fanden sie über berufliche Verquickungen, so manche Servicekraft ist selbst gern Gast im Lokal oder ein Familienangehöriger von Stammgästen. „Nur wer sich selbst als Restaurantbesucher wohlfühlt, ist mit Leidenschaft Gastgeber“, so Hinz.

Uta Scheuerer
Foto: Ruby Hotels

Individualisten im Visier

Spannend wird es Ende 2022 bei den Ruby Hotels. Wer wohl der Erste ist, der sich piksen lässt? Ja, richtig gelesen. Seit Juni dieses Jahres wirbt die Hotelgruppe damit, dass die Branche sexy und Ruby mehr als ein klassischer Arbeitgeber ist, indem sie jedem neuen Mitarbeiter, der mindestens sechs Monate bei ihr beschäftigt ist, einen Zuschuss von bis zu 500 Euro für ein Tattoo zusichert. „Seitdem konnten wir 25 Prozent mehr Bewerbungen verzeichnen und auch schon einige erste neue Mitarbeiter für Ruby gewinnen“, berichtet Uta Scheuerer, Vice President Human Resources bei Ruby Hotels. 

Bei bestehenden Mitarbeitern fand die Kampagne so großen Anklang, dass nun auch diese den Zuschuss bekommen, wenn sie einen neuen Mitarbeiter für das Unternehmen werben, der mindestens sechs Monate bleibt. 

Christoph Hoenig
Foto: Neumühle Resort & Spa

Jetzt geht Ruby noch einen Schritt weiter, führt die 35- Stunden-Woche für die operativen Departments, wie die Reservierung, die Workspaces und Hotels ein und beteiligt alle Mitarbeiter ab 2023 am Unternehmens­gewinn. „Die Gewinnbetei­ligung erfolgt in allen Bereichen nach klar und offen definierten Kennzahlen wie GOI, GOP und NOP. Darüber hinaus orientiert sie sich an den tatsächlich geleisteten oder vertraglich vereinbarten Arbeitsstunden sowie an der Hierarchiestufe und der Dauer der Betriebsangehörigkeit“, geht Scheuerer näher ins Detail. Wie sich zeigt, sind die Leader unserer Branche also mächtig erfinderisch – kaum eine Idee scheint heute zu abwegig, um qualifizierte Kollegen zu anzuheuern. 

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