Das haut echt vom Hocker!
Hotel- und Restaurantkonzepte, mit denen Sie Gäste von heute aus der Reserve locken
von Karoline GiokasZahlreiche Studien der letzten beiden Pandemie-Jahre bestätigen es: Die Ansprüche der Menschen haben sich gewandelt. Im Vergleich zum Vor-Corona-Status ist ihre Wertschätzung in vielen Bereichen deutlich gestiegen. Nach den zahlreichen Entbehrungen möchten die Deutschen beim Genuss außer Haus vor allem eines: es sich so richtig gut gehen lassen.
Laut Expedia geht es Reisenden nicht mehr nur darum, irgendwohin zu fahren und sich verwöhnen zu lassen. »Sie wollen so viel Neues wie möglich erleben – und das sowohl die Quantität als auch Qualität betreffend«, bestätigt die Expedia-Sprecherin Svetlana Hirth. Umso interessanter ist daher die Frage: Welche Konzepte fahren Gastronomen und Hoteliers heutzutage auf, um den Gästeansprüchen gerecht zu werden?
#Abwechslung hoch 12
Mal ehrlich, hätten Sie je geglaubt, dass eine Pandemie das Bedürfnis nach nachhaltigen Lebensmitteln derart wecken könnte? Nahrungsmittel, die in der Region gezüchtet, geerntet und verpackt werden, sind angesagter denn je – zur Freude von Küchenchef Kamel Haddad. Ihm aber sind vier Jahreszeiten zu wenig. Um der Vielfalt der Natur Ausdruck zu verleihen, setzt er im Berliner »12seasons« noch einen obendrauf und erfindet sich alle zwölf Monate neu: In jedem kreiert er eine neue Karte inklusive dazu passender Weine.
»Aktuell stehen Bohnen, Fenchel, Blumenkohl und Holunder auf dem Speiseplan. Damit überlässt Kamel der Natur, was auf den Teller kommt«, erklärt Tim Hansen, der gemeinsam mit Vitali Müller das Restaurant betreibt. Ist das nicht extrem aufwendig? »Natürlich, die Karte monatlich von Grund auf neu zu denken, kostet Zeit«, meint Haddad, »aber so geben wir immer neuen Gerichten die Frische, Intensität und Qualität, die uns in der Küche und auch unseren Gästen Freude bereiten.«
Und in der Praxis funktioniert es auch: »Pünktlich zum Monatsbeginn müssen alle Details festgelegt sein – für Küche wie das Service-Team. In der ersten Woche gilt es, alles Neue zu verinnerlichen. In Woche zwei stellt sich eine gewisse Routine ein. In der dritten wird die kommende Karte festgelegt und in Woche vier laufen wieder die Vorbereitungen für die folgende Season«, erklärt Hansen das Prozedere.
Die jeweiligen Produkte über einen ganzen Monat in beständiger Qualität zu einem konstanten Preis zu erhalten, ist die wohl größte Herausforderung des niemals stillstehenden Konzeptes. »Die aktuellen Preissteigerungen aufgrund der politischen Lage stellen für uns eine ganz besondere Lage dar«, betont Hansen. »Noch kann das 8-Gang-Menü für 99 Euro angeboten werden. Wir werden aber sicher in naher Zukunft die Preise anpassen. Nur so können wir weiterhin unsere Produkte anbieten und dem Aufwand gerecht werden.«
#mehr Individualität geht (fast) nicht
Die Menschen haben seit Corona gelernt, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Sie hegen nun oft den Wunsch, sich selbst zu verwirklichen, und konsumieren vermehrt Produkte, die den eigenen Wünschen, Vorlieben und Werten entsprechen. Gastronomen und Hoteliers kommt nun mehr denn je die Aufgabe zu, das steigende Bedürfnis ihrer Gäste nach Individualität zufriedenzustellen. Customizing – die Personalisierung – ist in der Gastronomie zwar grundsätzlich nichts Neues, denn schon immer konnten Gäste beispielsweise in Restaurants um Änderungen in der Menüfolge bitten oder verschiedene Beilagen auswählen. Das Neuro Campus Hotel »Das Morgen« im schweizerischen Vitznau an der Luzerner Riviera geht aber nun noch einen Schritt weiter.
Das Themenhotel ist ein Teil des von Investor Peter Pühringer für rund 40 Millionen Schweizer Franken renovierten Komplexes Campus Kultur Kulinarik Vitznau. Es gründet auf einer dem neuronalen Netzwerk des menschlichen Gehirns ähnelnden Vision: Es soll fortlaufend neue Verbindungen, Konzepte, Ideen und Werke aus Kultur, Kulinarik und Wissenschaft entwickeln und unter einem Dach vereinen. Im Zentrum steht der Mensch mit seinen Bedürfnissen nach Genuss und Sinnbildung.
Abenteuer Geschmackssinn
Insgesamt gliedert das Neuro Campus Hotel sein gastronomisches Angebot in vier Gastzonen: das »Gestern«, »Heute«, »Morgen« und das »Rooftop«. Während mit dem »Gestern« die Besucher ein klassisches Restaurant im Stil eines heimelig anmutenden »Stüblis« mit modern interpretierter regionaler Küche erwartet, bewegen sich das »Heute« und das »Morgen« auf experimentelleren Ebenen. Um im »Heute« zu speisen, öffnet der Gast via App die Speisekarte, wählt ein Gericht aus und passt dies in der Feingestaltung seinen Bedürfnissen an – beispielsweise mit weniger stärkenden Beilagen und Fleisch, dafür mehr Gemüse.
Im »Morgen« begibt sich der Gast auf eine »Dinner Experience«, die ihm auf spielerische Weise beibringen soll, lustvoll Erkenntnisse und ein neues Bewusstsein seiner Ernährung zu gewinnen. Bevor das Menü festgelegt wird, durchläuft der Gast daher ein Assessment, in dem seine Unverträglichkeiten und Vorlieben in dem digitalen Genusspass taste4.me festgehalten werden.
Yannik Walter, Golvet
»Wir wollen von Erlebnissen und Assoziationen befreien und zum bewussten Moment des Geschmackssinns einladen.«
»Basierend darauf, werden dem Gast zu Beginn des Menüs sowie zwischen den Gängen verschiedene Amuse-Bouche gereicht, die optisch alle gleich sind, sich aber im Geschmack unterscheiden. Je nachdem, ob er sich für salzig oder süß entscheidet, wird diese Wahl mit unserer Rezeptdatenbank abgeglichen und nach und nach ein ganz persönliches Geschmacksprofil eines Gastes sowie sein Menü erstellt«, erklärt Resident Manager Tim Moitzi das Vorgehen. »Unsere Gäste sind dem Konzept gegenüber sehr offen und manchmal sogar überrascht, wie man durch optische Tricks den Geschmack beeinflussen kann. Andere fangen an, ihre Geschmacksempfindungen auf neue Art und Weise zu hinterfragen.«
Minimum drei Stunden muss der Gast für das Experiment, das ihm aufzeigen soll, wohin das Thema Ernährung in Zukunft eventuell führen kann, in seinen Zeitplan einkalkulieren – und vorab natürlich reservieren.
Kleine Randnotiz: In der Küche und im Service kommt ein eigens entwickelter und über die Restaurant-App steuerbarer Gastroboter namens Telli zum Einsatz, der sich als verlässlicher Tellerbringer erweist.
#Symbiose aus Food & Drinks
Wie man als Gastronom des Gastes Vorlieben in Sachen Drinks aufspürt, zeigt das Berliner Sternerestaurant »Golvet«. Anhand von drei verschieden farbigen Dragees soll der Gast hier zu seinem Lieblingsdrink finden. »Jedes der drei Dragees eröffnet eine andere Aromen- und Geschmackswelt. Der Gast darf frei und ungelöst entscheiden, in welche er an diesem Tag eintauchen möchte«, erklärt Bar Manager Yannik Walter. Jeder Drageefarbe ist eine eigene Bar-Karte zugeordnet – Rot ist z. B. der »Tequila Boy« mit Tequila, Sake und Kirsche, Gelb steht für »Wood Stork« mit Whiskey, Vanille, Joghurt und Orangenblüte und Grün beinhaltet »Green Thunder« mit Karotten, Gin, Gurke und Minze.
Anlass für das neue Bar-Konzept gab Walters langjährige Erfahrung als Bartender. »Gäste sind von vielen Spirituosen und Geschmacksprofilen sehr voreingenommen. Wir wollen mit den Erlebnissen und Assoziationen brechen und dazu einladen, sich bewusst ausschließlich mit dem Geschmackssinn zu beschäftigen«, so Yannik Walter.
Damit nicht genug, denn im Golvet gehen die Drinks mit den von Sternekoch Zörner kreierten Gerichten eine harmonische Symbiose ein. Beim »Cuisine Bartending« werden Zutaten aus dem jeweils aktuellen Menü komplementär weiterverwendet. »Beim Menü ›Der Frühling‹ wurden beispielsweise als zweiter Gang ›verbrannte Rübchen‹ gereicht, mit Rotkraut, Milch und Kamille. Hierzu mixe ich einen ›Chou Rouge‹ auf Basis von Bourbon, infusioniert mit frischem Rotkraut«, erklärt der Bartender.
Tim Hansen, 12seasons
»Bei uns werden die Produkte aus der Natur zum Star auf dem Teller – jeden Monat aufs neue.«
#Wellness in vollen Zügen
Gern mehr von allem wollen die Deutschen laut den Studien der vergangenen zwei Jahre auch beim Thema Gesundheit und Wellness haben – rund 22 Prozent der Teilnehmer einer Expedia-Umfrage visieren demnach explizit Unterkünfte mit Spa-Ausstattung an. Gepaart mit der Investitionsbereitschaft der Gastgeber während der ruhigeren Lockdown-Monate, ergeben sich heute noch exklusivere Wellness-Möglichkeiten als vor der Pandemie. Setzen Wellness-Anbieter deshalb inzwischen oft auf Experten-Know-how? Christoph Hoenig, der Geschäftsführer des Neumühle Resort & Spa in Franken, plant zumindest, das Spa im Resort in ein Wellbeing-Resort mit Luxusfaktor zu verwandeln. Aber: »Wir sind nicht nur ein Wellbeing-Resort für Gäste, sondern auch für Mitarbeiter«, erklärt er.
Hoenig investiert bewusst in die intensive Zusammenarbeit mit echten Profis, deren Konzepte und Ideen – und damit vor allem in Personal: »Wir setzen auf ein halbes Dutzend Fachexperten mit, zusammengezählt fast 120 Jahren Erfahrung – die jüngste Mitarbeiterin ist Mitte 30«, schildert Hoenig. Adäquates Personal sieht er als den Schlüsselfaktor für Erfolg. Kein leichtes Unterfangen, bedenkt man den aktuellen Fachkräftemangel.
»Die Neumühle ist zwar seit 40 Jahren ein klassisches Hotel, unsere Philosophie ist aber eher die eines Start-ups. Ein angemessenes Gehalt ist wichtig, aber nicht alles. Gemeinsame Ausflüge unter Kollegen und Mitarbeiterevents stehen genauso wie konstantes Weiterbildungsangebot auf der Tagesordnung. Das vermittelt den Mitarbeitern ein hohes Maß an Wertschätzung und garantiert Wohlfühlatmosphäre. Neue Kollegen suchen wir in der Umgebung und fragen sie, was sie brauchen, um bei uns zu arbeiten«, so Hoenig. »Nur Spa-Gastgeber, die mit Leidenschaft, Professionalität und Top-Know-how ihr Können an den Tag legen, können das Gefühl der absoluten Zufriedenheit auch an den Gast weiterreichen.«
Paul Urchs, Hotel Adula
»Gäste lieben die Kombination des Draußenschlafens mit dem ‚Luxus‘ eines Hotels ‒ sie schlafen bei all Dem Sternegucken meist sogar zu wenig.«
Wissen, was man kann
Und das ist heute wichtiger denn je. Laut Hoenig legen Gäste viel Wert auf Wertschätzung und besondere Momente im Spa. Standard-Massagen hauen längst keinen mehr aus den Frotteelatschen. Neben den gut ausgebildeten Spa-Therapeuten aus den eigenen Reihen arbeitet Hoenig daher mit wechselnden Gasttherapeuten, die außergewöhnliche Perspektiven mit einbringen und den Gästen ein immer wechselndes Erlebnis bescheren. »Unser Spa-Konzept hat einen ganzheitlichen Ansatz. Selbst Gäste, die keine Spa-Behandlung buchen, spüren den Spirit im ganzen Hotel. So erhalten sie auf der Liegewiese Massage-Kostproben oder bei warmen Temperaturen ein erfrischendes Oshibori an der Liege serviert.«
#Glamping – Camping mit Chic?
Auch wenn nicht ganz freiwillig, sind eine Menge Menschen in den Lockdown-Monaten zu echten Naturliebhabern mutiert. Es wurde gepicknickt, Rad gefahren, Quality Time im Freien verbracht. Was liegt da näher, als der Verbundenheit der Gäste zu den Elementen auch in der Hotellerie nachzukommen? Ganz im Sinne des »Glamorous Camping«, integrieren immer mehr Hoteliers Outdoor-Lounges in den Hotelgarten, den Ruhebereich oder sogar aufs Gebäudedach.
Bescherte beispielsweise noch im Winter eine durchsichtige Bubble auf der Terrasse des Bündner Hotels Adula den Gästen unter (fast) freiem Himmel einen atemberaubenden Blick auf die Sterne, präsentiert sich diese »1001 Steilas Suite« nun im Sommerlook: Das von Strohboid aus Holz gefertigte Zelt wird im Sommer nicht zu warm, schützt aber trotzdem vor kühlen Bergbrisen. Die Einrichtung erinnert an den Boho-Beachhouse-Stil, in schlichten Beige- und Blautönen gehalten. Geschlafen wird im luxuriösen, handgefertigten Boxspringbett.
Die Idee dazu entstand laut Hoteldirektor Paul Urchs im Dezember 2021, als Gäste sich aufgrund eingeschränkter Reisemöglichkeiten nach Mikro-Abenteuern sehnten. »Inzwischen kommt die Kombination des Draußenschlafens mit dem gesamten ‚Luxus‘ eines Hotels bei den Gästen sehr gut an.«
Das Gefühl der Freiheit erleben
Glamping im Hotel mag im ersten Moment komisch klingen, macht bei genauerer Betrachtung aber Sinn. »Viele Hotels haben einen Garten, der kaum genutzt wird. Mit Glamping-Lounges können sie Raumkapazitäten erweitern – das ganze Jahr über. Die Lounges sind wind- und wetterfest und können beheizt werden«, zählt Max Schade, Gründer & CEO Strohboid, die Benefits der neuen Art des Übernachtens auf.
Die Alps Resorts haben das Potenzial des naturverbundenen Übernachtungsangebotes bereits erkannt und Mitte Mai gleich ein ganzes Glamping Village in Kötschach eröffnet. »Vor allem Menschen, die in großen Städten leben, fehlt es sukzessive an Grünflächen und an der direkten Nähe zur Natur, zum Wald und zu den Wiesen. Glamping bietet eine naturnahe Entschleunigung und vereint zwei sogenannte Mega-Trends – Flexibilität und Cocooning, also der Trend zur Privatsphäre«, erklärt Thomas Payr, Geschäftsführer der Alps Resorts.
»On top gibt es noch das Gefühl der völligen Unabhängigkeit. Die Gäste entscheiden selbst, wann sie zum Beispiel frühstücken, wo und wie sie ihre Tage gestalten.« So genießen Freundesgruppen und Familien mit kleinen Kindern die großzügig gestalteten Chalets, nutzen Pärchen in den Baumhäusern eine romantische Auszeit in luftiger Höhe und mieten sich vor allem ehemalige Camping-Urlauber nun in die Luxuszelte ein, in denen sie den luxuriösen Komfort einer Vollausstattung mit Klimatisierung, Küche und Bad sowie richtigen Betten schätzen. Vor allem für den Alpenraum prophezeit Payr einen Zuwachs dieses Trends. »Die Gruppe der Menschen, die einfach mal barfuß durch das Gras spazieren, gemütlich in der Hängematte zwischen zwei Bäumen den Sonnenaufgang beobachten und den kleinen Bach am Luxuszelt rauschen hören – also verlorene Gefühle der Kindheit wieder erleben möchten –, wird immer größer. Daher wird Glamping noch zu einem starken Mainstream-Angebot in vielen schönen Natur-Locations werden.«