Brave New Work
von Michael EichhammerSind die gerade entstehenden neuen Arbeitswelten tatsächlich der ultimative Schlüssel zum Erfolg? HOGAPAGE geht der Frage nach…
Der Sozialphilosoph Frithjof Bergmann prägte einen Begriff, der die moderne Arbeitswelt zu einer sanften Revolution anstiftet: New Work. Moderne Einflüsse wie die Globalisierung und Digitalisierung verändern unsere Arbeitsweise. Zu den Vorreitern zählten die DAX-30-Unternehmen und Unternehmensberatungen. Mehr und mehr findet das Thema auch in weiteren Branchen Anklang. New Work bietet auch in der HoGa-Branche die Chance auf ein verbessertes Arbeitsklima bei gleichbleibender oder gar verbesserter Effizienz.
Führt Wertewandel zu mehr Zufriedenheit?
Ein Wertewandel mit Aspekten wie dem Streben nach Individualität, Selbstverwirklichung und Sinnhaftigkeit führten dazu, dass die Art und Weise, wie wir bisher arbeiteten, zunehmend in Frage gestellt wird. Geld und Karrieremachen alleine reicht vielen Menschen nicht mehr als Motivation. Vor allem die junge Generation fragt nicht nur nach Löhnen, sondern auch nach dem Sinn. Aber auch ältere Arbeitnehmer wollen nicht im Hamsterrad laufen. »Wir brauchen nicht nur Know-how, sondern auch Know-why«, so das neue Credo. Die neue Anspruchshaltung scheint auf den ersten Blick der Bereitschaft, Einsatz für das Unternehmen zu zeigen, im Weg zu stehen. Dieser Schein trügt. Der Arbeitgeber hat die Fäden in der Hand. Den Sinn, den sich die Arbeitnehmer in ihrer Tätigkeit wünschen, kann eine gute Unternehmenskultur selbst stiften.
Doch sind die Werte des New Work kompatibel mit den speziellen Anforderungen der Branche? »Natürlich haben wir in der Gastronomie- und Tourismus-Branche Herausforderungen wie lange, oft sogar durchgängige Öffnungszeiten oder saisonale Arbeit«, so Katharina Pirktl, Geschäftsführerin des Alpenresort Schwarz im österreichischen Mieming. »Aber ich bin mir sicher, dass wir durch viel Denken und Offenheit immer kreativer werden.«
Zentrale Werte des New Work wie das Teilhaben an der Gemeinschaft, Selbstständigkeit und Freiheit sind in ihren Augen auch charakteristisch für den Tourismus. Die Werte im Haus sollten dem Arbeitnehmer allerdings nicht wie Vorschriften von oben erscheinen, sondern die eigenen Vorstellungen abbilden. Eine Möglichkeit, dies zu gewährleisten, ist es, die Unternehmenswerte oder die Ziele eines Teams gemeinsam zu entwickeln und zu vereinbaren. »Wir haben 2018 zusammen mit unseren Gastgebern in mehreren Workshops unsere Werte, die wir vor 15 Jahren mit den Abteilungsleitern erarbeitet hatten, überdacht«, erzählt Katharina Pirktl. Werte wie »ideenreich« und »zielorientiert« waren das Ergebnis. Die Mitarbeiter wurden auch befragt, welche zeitlosen Werte Bestandteile des Tiroler Resorts bleiben sollten – die gemeinsame Entscheidung: »Herzlichkeit« und »Begeisterung«.
Demokratie, Anarchie oder doch Führung?
Weitere Schlagworte des New Work sind flache Hierarchien und Teilhabe. Das soll nicht bedeuten, dass Führungsstil ersetzt wird durch pure Demokratie. Gefragt ist Teamgeist. Es wird nicht mehr in klassischen Abteilungen gedacht, sondern in einem gesamtbetrieblichen »Wir« sowie in Projekt-Teams oder Arbeitsgruppen. Diese Gruppen sollten möglichst heterogen sein. Die Kritik der New-Work-Anhänger: Die klassische Abteilungsdenke lasse keine Konflikte zu – und damit auch keine Verbesserungen. In Teams mit unterschiedlichen Kompetenzen und Meinungen dagegen würden andere Ideen importiert und kreative Visionen diskutiert.
Das bedeutet nicht, dass es keine Projektleitung mehr geben soll. Die Führung wird nicht antiautoritär, sondern nur komplexer. Fest steht aber: Der raue Umgangston ist nicht mehr zeitgemäß. Einen Befehlston machen gerade junge Mitarbeiter heute nicht mehr auf Dauer mit. Miteinander und mehr Kollegialität sind gefragt. Paradigmen wie »Der Chef hat immer Recht« oder »Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser« sind obsolet. In ist dagegen »Empowerment« (übersetzt: Übertragung von Verantwortung): Wer Mitarbeitenden Gestaltungsfreiheit und Verantwortung gibt, bestärkt sie im Gefühl von Freiheit – einem der wichtigsten Konzepte des New Work. Was hat der Chef davon? Je mehr Menschen ihre Arbeit mitgestalten können, desto eher übernehmen sie auch aus freien Stücken Verantwortung für die Qualität.
Digitalisierung ist keine Frage des Alters
Vor allem für junge Menschen gehören digitale Lösungen als Selbstverständlichkeit zum Alltag dazu. Entsprechend sind es in erster Linie diese Digital Natives, die auch im Arbeitsumfeld innovative Technologien erwarten. »Als Arbeitgeber können sich Hoteliers mit Angeboten wie Online-Check-in oder digitaler Schlüsselvergabe im Wettbewerb um junge Nachwuchstalente abheben und ihnen ein modernes und innovatives Arbeitsumfeld bieten«, ist Juan A. Sanmiguel, Gründer und CEO von Hotelbird, überzeugt. Natürlich profitieren auch die älteren Mitarbeiter von der Digitalisierung. Vor allem wenn das Personal dadurch von langweiligen und zeitraubenden Routinetätigkeiten entlastet wird. »Dank digitaler Lösungen können die Mitarbeiter sich wieder auf das Wichtigste konzentrieren: den Dienst am Gast«, sagt Sanmiguel.
Up to date dank virtueller Vernetzung
New Work heißt auch gemeinsam arbeiten. Die Digitalisierung erlaubt es, sich auch virtuell zu vernetzen. Beispielsweise durch Smartphones und Tablets. Ein mit iPad und Co. ausgestatteter Mitarbeiter kann tagesaktuelle Unternehmensinformationen abrufen oder Vorschläge für Verbesserungen einbringen. Eine Mitarbeiter-App kann auch ermöglichen, in Echtzeit mit einem bestimmten Kollegen zu kommunizieren, ohne den anderen im Haus suchen zu müssen. Ist z.B. die erforderliche Arbeit erledigt, erfährt man dies im gleichen Moment, indem der Mitarbeiter ein Häkchen setzt, welches auch auf den anderen Geräten zu sehen ist.
Wie viel Flexibilität erlaubt die Branche?
Spontan die Arbeit unterbrechen und rausgehen, wenn die Sonne scheint? Arbeiten von der heimischen Couch aus? Auf den ersten Blick erscheinen manche Ideale der New-Work-Jünger in unserer Branche nicht praktikabel. Das Tagesgeschäft erfordert nun mal Präsenz im Betrieb und am Gast. Flexibilität bezieht sich jedoch nicht nur auf die Option »Home Office«. Ideen wie Desksharing erlauben eine große Portion Flexibilität innerhalb des Unternehmens.
Flexibilität ist dabei nicht nur eine
Frage des Arbeitsortes, sondern insbesondere der Arbeitszeit. Stichwort: Jobsharing und Job-Rotation. Auch die smarte mobile Technik kann beim Zeitmanagement helfen – indem sie Mitarbeitern erlaubt, ihre Schichten selbst abzustimmen oder zu tauschen. Vorstellbar sind »Vorfahrtsregelungen«, beispielsweise für Eltern. Flexibilität kann auch bedeuten, dass das Hotel eine interne Kinderbetreuung für die Mitarbeiter anbietet. Die Erfahrung lehrt, dass nicht nur Jüngere eine stärkere Flexibilisierung wünschen, sondern ältere Beschäftigte diese teils noch stärker wertschätzen.
Jugend forscht – nach neuen Arbeitsmodellen
»Die Millennials setzen andere Prioritäten in der Wahl ihrer Tätigkeit: hohe Transparenz, Wertschätzung, Verantwortung, Fehlertoleranz, zeitliche und räumliche Flexibilität, moderne Technik, Weiterbildung…«, sagt Patrick G. Rueff, Gründer und Inhaber der Hotelmarketing Gruppe. Neu sind diese Sehnsüchte nicht, »die Millennials sind nur die Ersten, die sich auch trauen, die Erfüllung dieser Wünsche zu fordern«. Doch ist die HoGa-Branche der richtige Ort, um diese Sehnsüchte zu befriedigen und eine attraktive Antwort auf die Sinnfrage zu geben? Ist die Branche attraktiv für die Jugend? Hier darf man ruhig selbstbewusst auftreten. »Themen wie Kulinarik, Urlaub, Lifestyle, Mode, Sport, Fitness usw. sind natürliche Bestandteile vieler HoGa-Betriebe«, so Rueff. »Es sind nur Modelle zu entwickeln, wie diese Themen von den eigenen Mitarbeitern genutzt werden können.«
Natürlich ist New Work nicht nur ein Thema für die jungen Mitarbeiter. Menschen jeden Alters wollen sich wohlfühlen. »Alles beginnt mit der Wertschätzung der Mitarbeiter. Erst dann folgen gute Rahmenbedingungen: Arbeitszeit, Unterkunft, Verpflegung, Gehalt, Urlaub, Weiterbildung«, weiß Patrick G. Rueff von der Hotelmarketing Gruppe. »Wir machen die Erfahrung, dass die HoGa-Betriebe mit den flachsten Hierarchieebenen und den kürzesten Entscheidungswegen häufig auch die beliebtesten und schließlich auch die erfolgreichsten sind«, berichtet Rueff. »Der Betrieb, der sich gegenüber seinen Mitarbeitern wertschätzend öffnet, Mitwirkung zulässt, transparent kommuniziert, Richtungen und Karrierewege aufzeigt und die passenden Rahmenbedingungen zur Erreichung der Karrierestufen ermöglicht, gewinnt.«
Zufriedene Kunden und Mitarbeiter
»Die Zufriedenheit eines Mitarbeiters wird heutzutage nicht mehr über Lohn gesteuert«, sagt Britta Budeus-Wiegert vom Hotel Bornmühle in Groß Nemerow. Statt »verkrusteter Strukturen« appelliert sie für »eine inspirierende Arbeitsumgebung, in der sich alle wohlfühlen und effizienter arbeiten«. Dazu gehört auch, dass der Arbeitgeber sich an der Lebenswirklichkeit seines Arbeitnehmers orientiert und ihm mehr Flexibilität bei der Organisation des privaten Alltags anbietet.
»Die Mitarbeiterzufriedenheit ist nicht so wichtig wie die der Gäste – sondern noch wichtiger!«, findet Michael Lidl, einer der beiden Geschäftsführer der Hospitality-Unternehmensberatung Treugast Solutions Group. Denn während man die Gästeakquise über den Preis oder Werbung steuern kann, ist das Akquirieren von qualifizierten Mitarbeitern schwieriger. Lidls Vorschläge für zufriedene Mitarbeiter: »Faire Bezahlung und eine Wertschätzung, die sich auch in ordentlichen Räumlichkeiten und gutem Essen für das Personal spiegeln – das sind die Basics.« Die Kür: den Mitarbeitern ein dynamisches Arbeitsumfeld bieten, das ihm Entwicklungschancen ermöglicht. Das Signal: Unser Unternehmen wächst, du kannst mitwachsen.
Wichtig für Arbeitgeber ist, zu begreifen: Jeder Mensch hat eine andere intrinsische Motivation. Beim einen kann dies die Karriere sein, beim anderen das Geld, beim nächsten die möglichst große Freizeit. Letztere werden flexible Arbeitszeitmodelle zu schätzen wissen. Für alle gilt jedoch: »Wenn ich merke, dass das Unternehmen mich wertschätzt und mich nicht ausnutzt, gebe ich auch etwas zurück«, ist Michael Lidl überzeugt.
Ein angenehmes Betriebsklima freut nicht nur die Mitarbeiter, es spricht sich auch im Arbeitsmarkt herum und löst Initiativbewerbungen aus, die zum eigenen Unternehmen passen. New Work ist langfristig eine Win-win-Situation für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen. Wer zufrieden ist, arbeitet motiviert, bleibt dem Betrieb treu und wird seine Zufriedenheit auch nach außen ausstrahlen – gerade in einer Branche mit intensivem Kundenkontakt ein essenzieller Aspekt. Wie Arbeitgeber vom New-Work-Ansatz profitieren? Echte Begeisterung ist unbezahlbar.
Nachgefragt bei
…Verena Vinke, Detecon International GmbH
»Ein frischer Blick auf die Dinge wird möglich«
Verena Vinke ist Expertin für New Work, Leadership und Innovationskultur beim Management- und Technologie-Beratungsunternehmen Detecon International GmbH.
Wie viel Führung braucht es, wie viel Partizipation?
Flache Hierarchien bieten Möglichkeiten, einen frischen Blick auf die Dinge zu werfen und die Managementposition nicht als den einzigen und erstrebenswertesten Weg in der Karriere zu sehen. Sicherlich geht es nicht ganz ohne Führung. Hier kommt es stark darauf an, seine Mitarbeiter zu entwickeln und zu befähigen, Entscheidungen zu treffen und eigenverantwortlich zu handeln. Hiermit wird den Entscheidern auch mehr Flexibilität eingeräumt, und nicht aller Stress lastet auf ihnen alleine.
Widersprechen die New-Work-Ansätze den Zielen der Arbeitgeber oder profitieren tatsächlich beide Seiten davon?
Das kommt auf den Arbeitgeber an. Bei uns hat New Work gebracht, dass die Ziele des Unternehmens besser erreicht werden, weil die Mitarbeiter in einer Vertrauens- und Ergebniskultur arbeiten, anstatt nur auf eine ständige Präsenzkultur zu setzen. Es macht das Arbeiten für die meisten Mitarbeiter angenehmer. Glückliche Mitarbeiter leisten gute Arbeit, und das ist im Sinne des Unternehmens und sollte somit gefördert werden.
…bei Laura Klingenberg, Branchen-Expertin
»Ein Muss: Anerkennung von Leistungen!«
Laura Klingenberg hat in Hotels im In- und Ausland gearbeitet, unter anderem als stellvertretende Hoteldirektion. Sie unterrichtet an einer Berufsschule für das Gastgewerbe, der Brillat-Savarin-Schule in Berlin-Weißensee. Zudem ist sie Kolumnistin beim Gastro-Magazin Nomyblog.
Mit dem Wandel der Arbeit geht auch ein Wertewandel einher, heißt es. Welche Werte sollten die »Leuchttürme« sein, an denen man sich orientiert?
Ich habe im Gespräch mit renommierten Häusern und hunderten Azubis in den letzten Jahren festgestellt, dass folgende drei Werte die »Leuchttürme« sind: Wertschätzung, Transparenz der Erwartungen und Selbstständigkeit. Die Wertschätzung vermittelt das Adlon Berlin beispielsweise schon zu Arbeitsbeginn. Das Hotel veranstaltet für alle Anfänger ein einwöchiges Einführungstraining, bei dem die neuen Mitarbeiter vor allem ihre Vorgesetzten besser kennen lernen können.
Welche Werte sind zeitlos und sollten unverändert bleiben?
Als Berufsschullehrerin beobachtete ich häufig, dass Azubis schon nach einem halben Jahr aufgrund von mangelnder Anerkennung kündigten. Ein vollkommen zeitloser Wert in unserer Branche und Gesellschaft ist daher immer noch das Interesse an dem Wohlergehen der Mitarbeiter und die resultierende Anerkennung guter Leistungen. In vielen großen Häusern in den USA wird beispielsweise jeden Monat der »Star of the month« für die meisten positiven Rückmeldungen von Gästen oder für den höchsten Umsatz mit Preisen belohnt. Das hat die Mitarbeiter
ungemein motiviert.
… bei Nicole Kobjoll, Schindlerhof, Nürnberg
»Transparenz ist der Schlüssel zum Erfolg«
Nicole Kobjoll ist Geschäftsführerin des Schindlerhofs in Nürnberg. Das Hotel wurde mehrfach ausgezeichnet als »Great Place to Work«.
Verraten Sie uns Ihre Erfolgsformel? Was machen Sie anders als andere?
Transparenz – über Kosten, Umsätze, aber auch qualitative Ziele. Alle im Team wissen, in welche Richtung es gehen muss. Jeder bringt seine Kreativität und Power zur Zielerreichung ein. Alle streben in die gleiche Richtung. Dadurch bekommt das Unternehmen Mitunternehmer statt Mitarbeiter. Freude kommt auf.
Welche Chancen und Möglichkeiten für New Work bringt die Digitalisierung für die Hotel/Gastro-Branche?
Wichtig ist hier meiner Meinung nach, die Technik zu führen, und nicht, sich selbst von der Technik führen zu lassen. Wir haben auch auf diesem Gebiet etwas »gespielt« und eine App entwickelt, die wir jetzt sogar erfolgreich an andere Firmen verkaufen – unter anderem an VR-Banken. Mit der App sind alle informiert – egal ob im Haus oder nicht. Alle können chatten (DSGVO-konform), alle können Ideen abgeben und sehen die Ideen der anderen und können sich für die Umsetzung bewerben – und – last but not least – der MAX (der Mitarbeiter Aktien Index), der monatliche Blick in den Spiegel für jeden.
Der Original-Text aus dem Magazin wurde für die Online-Version evtl. gekürzt bzw. angepasst.