Die Gastronomie wird »hyggelig«
von Clemens KriegelsteinAlpinstil oder urbanes Flair, modern und clean oder schwülstig-verspielt? Wer auf der Suche nach einem neuen Einrichtungskonzept für sein Lokal ist, hat die Qual der Wahl. Fehlentscheidungen können dabei teuer kommen. Nicht nur weil ein unnötiger Komplettumbau ordentlich ins Geld geht, sondern auch weil das Interieur maßgeblich für den Erfolg eines Lokalkonzeptes mitverantwortlich ist. Was vor 20 Jahren noch hip war, läuft heute oft unter »No-Go«.
Doch was sind die aktuellen Trends? Und soll man eigentlich jedem Trend nachlaufen? Schließlich gibt es zu jedem Trend ja auch einen (meist etwas schwächeren) Gegentrend. »Generell gesprochen, sind gerade für die Individual-Gastronomie mutige, eigenständige und vor allem authentische Konzepte gefragt. 08/15-Lösungen und beliebige Austauschbarkeit gehen gar nicht«, meint etwa Herbert Koll von Koll Gastro Konzept. Design bzw. Einrichtung erfüllt demnach auch keinen Selbstzweck, sondern sollte immer in ein individuelles Gesamtkonzept, eine stimmige Story eingebunden sein.
Skandinavische Gemütlichkeit
Schon mal was von »Hygge« gehört? Wer jetzt an IKEA denkt, liegt zumindest geografisch nicht ganz falsch. »›Hygge‹ ist ein skandinavischer Wohntrend. Der Ausdruck kommt aus dem Dänischen und bedeutet so viel wie ›gemütlich‹. Hygge zeichnet sich durch Einfachheit in der Form aus sowie durch die Verwendung heller Farben und Hölzer«, weiß etwa Joachim A. Hagen vom deutschen Gastro-Ausstatter Objekt-m.
Etwas ausführlicher erklärt sein österreichischer Kollege Herbert Koll den aktuellen Megatrend: »Hyggelige Räume zeichnen sich durch Einfachheit, schlichte Formen und eine natürliche Lässigkeit aus. In ein neues, zeitgemäßes Umfeld gesellen sich bekannte, vertraute Einzelstücke. Es dominieren warme, durchaus intensive Farben und Licht mit hohem Rotanteil – das sind etwa Warmton-Leuchtmittel, Kerzen, ein Kamin etc. Das signalisiert dem Körper, dass er entspannen darf. Natürlichkeit ist auch bei den Materialien angesagt: echtes Holz in Kombination mit Geflecht oder Stein, echtes Leder oder Felle, grob gewebte Stoffe. Gerade das angenehme haptische Erlebnis ist ein elementarer Wohlfühl-Faktor beim Hygge-Trend.«
Zurück in die Zukunft
Marty McFly musste in dem Kultfilm von 1985 noch in die 1950er-Jahre reisen, um nostalgische Gefühle aufkommen zu lassen. Ganz so weit werden wir uns nicht bewegen müssen, aber der Retro-Trend bahnt sich trotzdem seinen Weg – die 60er- bis 80er-Jahre (angeblich sind sogar Schulterpolster wieder im Kommen) lassen grüßen. Maurus Reisenthel, Brand Manager von Go In: »Wir sehen aktuell das Retro-Thema in der Gastronomie wieder kommen, mit ausgefallenen Stoffen und einer großen Farbpalette.«
Doch auch wenn der Mix an Materialien, wie beispielsweise Holz mit Kunststoff, Metall und Polster sowie Metall und Holz, weiter zuzunehmen scheint, wer ganz auf psychedelische Flower-Power-Muster im Stil der späten 60er- oder frühen 70er-Jahre setzt, schießt doch ein wenig übers Ziel hinaus. Zu überladen sollte auch die Retro-Schiene nicht werden. »Die Sehnsucht nach vergangenem Charme ist derzeit deutlich spürbar. Der Retro-Trend macht sich stark bemerkbar. Neuinterpretationen von Möbeln, die an die 60er- und 70er-Jahre erinnern, sind aktuell sehr gefragt. Hier ist allerdings Fingerspitzengefühl gefragt, damit das Ganze nicht zu kunterbunt wird«, warnt etwa Wögerer-Geschäftsführerin Bettina Stelzer-Wögerer vor den Fallstricken dieses Trends.
Natur pur
Zugegeben: Der Ausdruck »Nachhaltigkeit« ist in einer Zeit, in der wahrscheinlich sogar schon Tennisbälle oder Unterhosen als »nachhaltig« verkauft werden, ein wenig abgelutscht. Trotzdem sind Ressourcenschonung, geringer Energieverbrauch und ein kleiner ökologischer Fußabdruck Themen, an denen man heute einfach nicht mehr vorbeikommt und die vielen Gästen wichtig sind. Kein Wunder, dass auch die Gastronomie zusehends »grüner« wird. »Die Natur gibt uns Kraft. Denn abseits von Beton, Asphalt und Lärm können wir wieder ganz wir selbst sein – frei und ungezwungen. Wir erleben ein gutes, bodenständiges Gefühl von Ursprünglichkeit«, weiß man etwa bei der Firma Voglauer Hotel Concept, wo man aktuell gerne auf echte Naturmaterialien im spannenden architektonischen Kontrast zueinander setzt.
Beef, Burger & Bier
»In der Gastronomie stehen Beef, Burger und (Craft-)Bier derzeit weiter hoch im Kurs, und frische Konzepte machen so richtig Lust auf Fleisch, mit Sorgfalt zubereitet und – idealerweise – unkonventionell präsentiert«, erzählt Monika Meyr, PR-Managerin des deutschen Gastro-Ausstatters Vega, aus ihrem Erfahrungsschatz. Und tatsächlich: Kaum eine Woche vergeht, ohne dass nicht irgendwo im Land ein neues Lokal aufsperrt, das sich der Fleischeslust hingibt und dazu ausgefallene Biersorten serviert. Wer auf diese Trends setzt, kann derzeit gefühlt gar nichts falsch machen. Angst davor, dass der Trend demnächst wieder abflaut, haben erst wenige. »Burger wird es so wie Pizza oder Pasta immer geben – vorausgesetzt, das Konzept ist gut umgesetzt«, meint etwa Rainer Pastätter, der aktuell dabei ist, mehrere »Peter Pane«-Restaurants in Österreich und Süddeutschland aufzusperren und damit die Burgerkultur in diesem Raum noch weiter zu intensivieren. Doch gerade bei einem vermeintlich altbekannten Thema spielt die Inszenierung eine umso wichtigere Rolle. Neben der Einrichtung sind hier vor allem auch stimmige Details gefragt.
Industrie-Stil
Wer an Industrie denkt, denkt meist auch an Fabriken, an Metall, Öl und robuste Formen – nichts Filigranes jedenfalls. Hier setzt bei trendigen Möbeln der Industrial Style an, bei dem viel mit (eventuell unfertig aussehendem) Metall gearbeitet wird, oft auch in Kombination mit anderen Materialien wie etwa Holz.
Rost, abplatzender Lack und jede Menge Patina sind die Merkmale dieses Stils, der seinen Ursprung in Künstlerateliers hat, die in alten Fabrikgebäuden eingerichtet wurden und bei denen eben Metall, Beton, blanke Ziegelwände und frei liegende Rohre typische Einrichtungsmerkmale waren. Die passenden Farben dazu sind Braun- und Grautöne sowie ein rostiges Rot. Teilweise gibt es hier auch Überschneidungen zu Shabby Chic oder dem schon erwähnten Vintage-Stil.
Der Original-Text aus dem Magazin wurde für die Online-Version evtl. gekürzt bzw. angepasst.