Verpasste Chance – große Hoffnung
Klartext gesprochen mit Markus Suchert und Anja Karliczek
von Markus SuchertWarum ist die Entfristung der Mehrwertsteuer auf Speisen für die (System-)Gastronomie) so wichtig?
M. Suchert: Die Unternehmen der Systemgastronomie haben nach wir vor mit den coronabedingten Folgen zu kämpfen und werden auch noch einige Zeit benötigen, um das Vorkrisenniveau wieder zu erreichen. Nichtsdestotrotz hat die Branche viel getan und auch investiert, z. B. in Personal. Die Mitgliedsunternehmen des BdS sind zu 100 Prozent tarifgebunden und haben auch in Zeiten der Krise Verantwortung für ihre Beschäftigten übernommen. So hat die Branche als erste überhaupt während der Corona-Pandemie eine tarifvertragliche Regelung zur Einführung von Kurzarbeit mit einer Aufstockung auf 90 Prozent des alten Nettolohns vereinbart.
Wir brauchen die Entfristung, um
unseren täglich 4 Mio. Gästen weiter gute Gastgeber und
unseren Mitarbeitenden attraktive Arbeitgeber sein zu können
Darüber hinaus haben die Unternehmen genau in dieser Zeit ihre Restaurants modernisiert, Produktinnovationen auf den Markt gebracht, die Digitalisierung vorangetrieben und Nachhaltigkeitsinitiativen entwickelt. Allerdings steht die Systemgastronomie nach wie vor vor herausfordernden Zeiten: die durch den Ukraine-Krieg bedingten enormen Steigerungen der Energiepreise, die hohen Lebensmittelkosten durch Inflation, der anhaltende Arbeits- kräftemangel, steigende Personalkosten, ein drohendes Werbeverbot für einen Großteil der Produkte der Branche und ordnungspolitische Vorgaben zum Umgang mit Verpackungen sowie weitere gesetzgeberische Eingriffe in die unternehmerische Freiheit.
Dies führt zu wirtschaftlich sehr schwierigen Rahmenbedingungen. Die Entfristung des Mehrwertsteuersatzes von 7 Prozent auf Speisen ist daher nicht nur ein direkt wirksames Mittel, um die gestiegenen Kosten zumindest partiell abzufedern, sondern auch, um den Gästen der Systemgastronomie auch weiterhin ein für alle Altersgruppen bezahlbares Angebot an Speisen anbieten zu können und die Unternehmen der Branche im Hinblick auf die schwierigen Rahmenbedingungen zu entlasten. Die drohende Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes zurück auf
19 % ist ein Signal in die völlig falsche Richtung, denn dies erlaubt den mehrheitlich mittelständischen Unternehmerinnen und Unternehmern der Systemgastronomie keinen Spielraum mehr. Wir brauchen die Entfristung dringend, um unseren täglich 4 Mio. Gästen weiter gute Gastgeber sowie für unsere Mitarbeitenden stabile, attraktive und verantwortungsvolle Arbeitgeber sein zu können.
A. Karliczek: Alle Bereiche der Gastronomie sehen sich aktuell enormen Herausforderungen gegenüber. Das gilt für größere Betriebe, für die Systemgastronomie, aber auch für die kleineren Restaurants, Wirtshäuser oder Cafés. Steigende Preise für Lebensmittel, Energiekosten und auch höhere Gehälter setzen den Betrieben seit Monaten extrem zu. Und das in einem Geschäft, in dem die Gewinnmargen traditionell nicht sehr hoch waren und sind. Dazu kommt ein gesellschaftliches und wirtschaftliches Umfeld, das von Unsicherheit geprägt ist. Das merken die Gastronomie-Betriebe doch bereits jetzt. Oft bestellen Gäste schon jetzt ein Getränk weniger. Oder kommen seltener, vielleicht nie mehr. Deshalb brauchen die Betriebe und ihre Mitarbeiter jetzt unbedingt Planungssicherheit, um auch über den 1. Januar 2024 hinaus eine wirtschaftliche Zukunft zu haben. Dies gilt umso mehr, da – wie von Herrn Suchert beschrieben – viele Betriebe hohe Investitionskosten getätigt haben, um gute Gastgeber zu sein. Eine niedrigere Mehrwertsteuer hat unmittelbar Auswirkung auf die Preise. Und genau diese entscheiden darüber, ob und wie oft Gäste weiter und wieder kommen oder nicht.
Warum tut sich die Politik so schwer, eine Entscheidung zur Entfristung der Mehrwertsteuer zu treffen?
M. Suchert: Diese Frage stelle ich mir auch und finde keine schlüssige Antwort. Für mich steht fest, dass die Regierungsfraktionen mit ihrer Ablehnung des Gesetzentwurfs zur Entfristung der Mehrwertsteuer eine Chance verpasst haben, ihren Ankündigungen Taten folgen zu lassen. Die Stimmen zur Entfristung werden allerorts lauter und es wird immer unklarer, warum keine Entscheidung getroffen wurde. Schließlich brauchen die Unternehmen der Branche dringend Planungssicherheit, um für das kommende Jahr kalkulieren zu können. Wir werden gebündelt unsere Stimmen weiter erheben, sodass eine positive Entscheidung nunmehr in den anstehenden Haushaltsberatungen sowie der Steuerschätzung im November 2023 getroffen wird.
Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion sind absolut davon überzeugt, dass die Entscheidung zur Entfristung jetzt notwendig ist, damit nicht noch mehr Betriebe aufgeben
A. Karliczek: Sie sprechen von der Politik, die sich mit der Entfristung schwertut. Das ist nicht ganz zutreffend. Meine CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat mehrfach Anträge in die zuständigen Ausschüsse Finanzen und Tourismus eingebracht und dort diskutiert. Leider haben die Ampelfraktionen immer wieder abgelehnt. Zuletzt haben wir Mitte September unter meiner Federführung ein Gesetz zur Entfristung der Mehrwertsteuer in den Bundestag eingebracht. Leider abgelehnt. Aber selbst bei den Ampel-Parteien sind viele Landesverbände und Ministerpräsidenten unserer und der Forderung vieler Branchenverbände gefolgt.
Die Berliner Regierungsfraktionen zeigen sich davon unberührt. Ich kritisiere das, weil ich glaube, dass dieses uneinheitliche Erscheinungsbild zwischen dem Berliner Verhalten und auf anderen Ebenen zu Vertrauensverlust in politische Entscheidungen generell beiträgt. Um zu bekräftigen: Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion sind absolut davon überzeugt, dass die Entscheidung zur Entfristung jetzt notwendig ist, damit nicht noch mehr Betriebe aufgeben. Wir müssen unsere Gastronomie schützen, gerade im ländlichen Raum. Dies ist eine Frage der Lebensqualität für die Menschen vor Ort, betrifft aber auch den Tourismusstandort Deutschland. Denn wenn ein adäquates gastronomisches Angebot fehlt, leidet auch die Attraktivität des Tourismusstandortes Deutschland.
Auf welches Szenario muss man sich einstellen, wenn der Entfristung widersprochen wird?
M. Suchert: Für die Unternehmerinnen und Unternehmer der Systemgastronomie stellt dies ein Worst-Case-Szenario dar und die Folgen für die Betriebe sowie die Gäste sind heute noch nicht in Gänze abschätzbar. Klar ist allerdings, dass dadurch ein Wettbewerbsnachteil entsteht, da die überwiegende Anzahl der Mitgliedstaaten der Europäischen Union bereits einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz für gastronomische Einrichtungen gewähren. Darüber hinaus könnte es sein, dass die gestiegenen Kosten auch an die Gäste weitergegeben werden müssen, sodass sich auch das Speisenangebot in der Systemgastronomie verteuern würde.
A. Karliczek: Ich kann Herrn Suchert nur zustimmen. Sollte tatsächlich am 1. Januar 2024 die Mehrwertsteuer auf Speisen in der Gastronomie wieder auf 19 Prozent steigen, ist dies das Worst-Case-Szenario. Dieser – ich würde das so nennen – Preisschock würde angesichts einer ohnehin bestehenden Unsicherheit Tausende unternehmerische Existenzen vernichten, die auch eine hohe soziale Verantwortung für ihre Beschäftigten tragen. Brancheninsider sprechen von über 12.000 Betrieben, die dann aufgeben müssten. Und wenn jemand einmal den Schlüssel umgedreht hat, ist der Betrieb erst einmal zu. Die Mitarbeiter suchen sich neue Arbeit, die Betriebserlaubnis erlischt nach einem Jahr etc. Um aber noch einmal den Fokus auf den Tourismus zu erweitern: Ganze Regionen fürchten bei einem weiteren Gastro-Sterben um ihre Anziehungskraft auf Touristen. Dies gilt – Herr Suchert hat es angesprochen – besonders für grenznahe Gebiete, in denen eine niedrige Mehrwertsteuer auf Speisen gilt und wir eben kein Gastronomie-Sterben erleben. Die Briefe der besorgten Tourismusmanager und Landräte liegen auf meinem Schreibtisch. Und ich kann jeden davon verstehen, glauben Sie mir.