Unterwegs zu höchsten Genüssen
Im Gegensatz zur Legende ist im Salzburger Restaurant Ikarus allerdings kein Absturz zu befürchten
von Clemens KriegelsteinDietrich Mateschitz stand vor rund 15 Jahren vor einem Problem: Er wollte seine schon damals imposante Sammlung von Flugzeugen und Rennfahrzeugen in einem spektakulären Museum am Salzburger Flughafen der Öffentlichkeit zugänglich machen. Doch für ein Museum braucht es auch zumindest eine Cafeteria, in der die Besucher eine Kleinigkeit essen und trinken und sich ausruhen können. Aber für Kleinigkeiten war Mateschitz noch nie zu haben, daher traf es sich gut, dass Mateschitz ein guter Bekannter von Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann ist, der daraufhin das vermutlich ungewöhnlichste Gastro-Konzept der Welt entwickelt hat: ein Luxusrestaurant, das den Gästen freie Sicht auf die Exponate des Museums gewährt, in dem zwar eine fixe Küchenmannschaft werkt, das Menü selbst aber jeden Monat von einem anderen Spitzenkoch kreiert wird – von Thomas Dorfer bis Harald Wohlfahrt, von René Redzepi bis Sergio Herman, von Juan & Jordi Roca bis Grant Achatz.
Für die Aufgabe der Küchenleitung, Organisation, das Kontaktieren der Gastköche etc. konnte Witzigmann seinen ehemaligen Schüler Roland Trettl begeistern, der vom Start des Projektes im Mai 2003 bis Ende 2013 als Executive Chef im Ikarus für das Gelingen des Konzeptes verantwortlich war. Im Januar 2014 übernahm der gebürtige Elsässer Martin Klein (Jahrgang 1976) die vakante Position. Für ihn kein neues Pflaster, schließlich arbeitete Klein schon von 2003 bis 2012 als Küchenchef im Ikarus. Und in der Zwischenzeit zeichnete er für das kulinarische Wohlergehen der Gäste auf Laucala verantwortlich, einer luxuriösen, kleinen Südseeinsel im Privatbesitz von Mr. Red Bull.
Witzigmann als Garant für Qualität
Eckart Witzigmanns Part in dieser kulinarischen Symphonie? Er fungiert quasi als Dirigent, steht nach wie vor als Patron hinter dem Konzept, ist am Anfang jeden Monats vor Ort, um den neuen Gastkoch zu begrüßen und um sicherzustellen, dass bei jedem Menü die Qualität stimmt. Er ist es, der die Oberaufsicht über alles hat. (Mateschitz dagegen mischt sich in das Restaurant-Konzept nicht ein.) Zudem hat Witzigmann vor allem in den Anfangsjahren seine weltweiten Kontakte spielen lassen, um die ersten Gastköche zu finden. Diese waren durchweg seine Freunde, Schüler oder Wegbegleiter aus Aubergine- oder Tantris-Zeiten, wie etwa Norbert Niederkofler oder Jörg Sackmann.
Und wie findet man jetzt elf Gastköche pro Jahr? (In einem Monat darf die Ikarus-Crew immer ihr Können zeigen und das »Chefmenü« kreieren. Wobei – ganz richtig ist das nicht. Gibt es doch jedes Monat auch ein Alternativmenü zur Auswahl, das ebenfalls von Martin Klein und seiner Mannschaft gestaltet wird.) Klein: »In erster Linie schauen wir uns ständig in der Welt um, welche Köche derzeit top sind. Da helfen uns unsere Kontakte, aber natürlich auch die Bewertungen beispielsweise im Guide Michelin. Ich notiere mir auch Namen, wenn ich mal auf Reisen bin und mir ein interessantes Restaurant auffällt, oder ich lese in einer Zeitschrift einen Artikel über einen besonderen Koch, den ich mir dann merke. Und manchmal haben wir auch den richtigen Riecher und laden einen Koch ein, der dann im Jahr darauf mit einem zweiten oder dritten Stern die Top-Liga erklimmt.« Diese Köche bekommen dann eine offizielle, von Eckart Witzigmann und Martin Klein unterschriebene Einladung mit allem Drum und Dran, mit der sich das Ikarus auch selbst präsentiert.
Bewerbungsmappe
Umgekehrt ist es für alle Köche auch eine große Chance, sich außerhalb des eigenen Landes einem internationalen Publikum zu präsentieren. Schließlich wird über jeden Koch von Mateschitz’ TV-Sender Servus-TV auch ein einstündiger Film gedreht, der dann im Fernsehen ausgestrahlt wird und inzwischen sogar schon in andere Sprachen übersetzt wird. Und zusätzlich finden die Köche mit ihren Kreationen auch im jährlich erscheinenden Ikarus-Kochbuch Niederschlag. Ob es darüber hinaus eine separate Bezahlung gibt? Klein: »Ja, die gibt es, die ist angemessen, aber nicht exorbitant hoch, und es gibt auch keine Preisunterschiede je nach Bekanntheitsfaktor. Es gibt also eine nicht verhandelbare Summe, die wir allen anbieten, fertig.« Die Höhe dieses Honorars fällt leider unter das Betriebsgeheimnis. Aber weil sich dieses Konzept inzwischen international in der Branche verbreitet hat, bekommt Martin Klein inzwischen auch schon Bewerbungen von potenziellen Gastköchen aus aller Welt.
Wird die Einladung angenommen, reist Klein samt Kamerateam in das jeweilige Restaurant, es wird der Film über das Schaffen und den Stil des Gastkochs gedreht, und Klein bespricht und verkostet mit diesem das geplante Menü. Dabei haben die jeweiligen Köche ziemlich freie Hand. »Nur bei Roland Trettl hat sich ein Küchenchef aus Macau mal einen Gang mit Affenhirn gewünscht. Da war die Grenze leider überschritten. Oder ein peruanischer Koch wollte Meerschweinchen auf die Karte setzen, die dort eine Art Nationalgericht sind. Das konnten wir leider auch nicht machen. Weniger aus Angst, dass es niemand isst, aber wo soll ich die Tiere in Salzburg frisch herbekommen? Ich kann ja schlecht jeden Tag in eine Tierhandlung gehen und 60 Meerschweinchen kaufen«, grinst Klein.
200 Euro als Schmerzgrenze
Im Idealfall werden inklusive aller Grüße aus der Küche 10 bis 16 Gänge geplant. Bei Christophe Muller, dem Küchenchef von Paul Bocuse, waren es, weil die einzelnen Gerichte eher üppig waren, nur neun. Dafür kochen Spanier gerne mehr Gänge. »Oft muss man die Leute dann bremsen, weil sie noch ein und noch ein Gericht vorschlagen«, weiß Klein aus Erfahrung. Die Kalkulation der Zutaten fällt ebenfalls unter seine Agenden. Normalerweise möchte Klein auf einen Menüpreis von 160 bis 180 Euro kommen, die 200er-Grenze sollte nur in Ausnahmefällen überschritten werden, was nicht immer einfach ist, da jeder Koch bei jedem Gang ohne Rücksicht auf Verluste zeigen möchte, was er kann, ohne auf die Kosten zu schauen. Klein: »Bei etwa 180 bis 200 Euro liegt selbst bei vielen unserer Gäste die Schmerzgrenze. Aber das ist dann eben auch mein Job, dafür zu sorgen, dass ich die benötigte Ware in Top-Qualität zu einem kalkulierbaren Preis auftreibe.«
Gerade hier merkt man aber die Problematik österreichischer (und deutscher) Spitzengastronomie. Christophe Muller z. B. bietet sein Menü im Lyoner Restaurant um 265 Euro an. Im Ikarus kostet das gleiche Menü mit einem zusätzlichen Fischgang extra 180 Euro. (Und dass die legendäre Trüffel-Consommé unter der Blätterteighaube, die im Hause Bocuse seit gut 40 Jahren zu den Fixpunkten der Karte zählt, dort à la carte um schlanke 85 Euro wohlfeil ist, wäre bei uns wohl auch undenkbar.) Andernorts sind selbst über 300 Euro allein fürs Menü keine Seltenheit.
Ohnehin kommt ja dann meist noch die »normale« Weinbegleitung um etwa 100 Euro oder eine Premiumbegleitung mit besonderen Raritäten um rund 140 bis 180 Euro dazu. Apropos Weine: Diese sind natürlich so weit wie möglich auf den Stil des Gastkoches abgestimmt, was bei Leuten aus Frankreich, Italien, Spanien oder Australien keinerlei Probleme verursacht, da bieten die jeweiligen Länder mehr als genug vinophile Möglichkeiten. Schwieriger wird die Sache schon bei asiatischen oder indischen Gerichten, aber auch da findet man Lösungen. »Zu scharfen Speisen etwa passen gut österreichische Sorten wie ein Grüner Veltiner oder ein Sauvignon blanc. Und wenn es ein Gericht verträgt, bieten wir gerne auch mal ein besonderes Bier oder auch einen Cocktail statt eines Weins an«, erklärt Klein.
Mit Diven muss man leben
Ob man schon mal unverrichteter Dinge wieder abziehen musste, weil man mit der Persönlichkeit nicht konnte oder die Qualität des Essens wider Erwarten doch nicht gepasst hat? »Nein, wenn wir uns auf den Weg machen, dann ist die Entscheidung endgültig. Mit der Qualität hat es auch noch nie ernsthafte Probleme gegeben, und wenn sich hin und wieder jemand als schwieriger Charakter entpuppt, wenn der Typ arrogant oder eine Diva ist, dann ist es halt part of the deal, da müssen wir dann durch«, so Klein.
Anschließend verbringt Martin Klein mehrere Tage vor Ort, lässt sich das Menü zeigen, legt eine Schritt-für-Schritt-Arbeitsmappe an und macht zur besseren Dokumentation Fotos von jedem Handgriff für seine Leute. Klein: »Wenn jetzt ein junger Mitarbeiter ein Jahr bei uns ist, hat er am Ende zwölf Arbeitsmappen von den besten Köchen der Welt. Das ist schon was!«
Jeder Gastkoch verbringt dann, wenn es so weit ist, drei Tage im Ikarus, in denen der 20-köpfigen Küchencrew das jeweilige Menü in allen Details und Arbeitsschritten erklärt wird. Dazu nimmt man auch Film- und Fotoaufnahmen zu Hilfe. Am letzten Tag eines Monats – das ist der jeweils stressigste – wird neben dem alten Menü, das trotzdem natürlich in perfekter Qualität zum Gast kommen muss, das neue erklärt und trainiert. Und nach den ersten beiden Tagen des neuen Monats, wenn alles nach den Vorstellungen des Gastkoches läuft, reist dieser wieder in sein Stammhaus zurück, und die Ikarus-Mannschaft unter den beiden Küchenchefs Jörg Bruch und Tommy Eder-Dananic bleibt auf sich allein gestellt.
Bei der Qualität gibt es keine Kompromisse
Bei der Auswahl der Gastköche ist Klein eine ständige Abwechslung sehr wichtig. So folgte dieses Jahr etwa auf Christophe Muller, der die klassische französische Linie mit Hummer, Kaviar, Trüffel, Wildhase und schweren Saucen vertritt, der Inder Manish Mehrotra, und aktuell liefern sich die vier besten Köche Wiens (siehe Kasten) ein küchentechnisches Best of Austria. »Traditionelle Küchenstile soll man bei uns ebenso finden wie Molekularküche, österreichische Menüs gibt es genauso wie indische, japanische oder mexikanische«, so Klein. »Wichtig ist uns aber, dass wir uns die besten Leute holen, die das Niveau, das wir unseren Gästen versprechen, halten können. Bei der Qualität gibt es keine Kompromisse!«
Dazu gehört auch, dass die jeweiligen
Zutaten ebenso authentisch sind wie die Zubereitungstechniken oder die Arbeitsgeräte. Martin Klein: »Für Manish Mehrotra haben wir im Februar etwa einen echten Tandoori-Ofen in der Küche eingebaut. Und wenn spezielle Zutaten benötigt werden, die man bei uns nicht bekommt, dann kaufe ich diese in der notwendigen Menge eben im Herkunftsland des Gastkoches ein und lasse alles nach Salzburg schicken.«
Bleibt die Frage, wo man die zahllosen erforderlichen frischen Spezialitäten in Salzburg in erforderlicher Menge und Qualität bekommt. »Das ist tatsächlich eine Herausforderung, da haben wir uns im Laufe der Zeit eine ganze Reihe von Spezialisten aufgebaut, auf die wir zurückgreifen können, im normalen Großhandel kommen wir da nicht mehr weiter«, seufzt Klein.
Kein À-la-carte-Restaurant
Am vegetarischen Trend kommt man auch im Ikarus nicht vorbei, daher wird neben dem Gastmenü und dem Ikarusmenü immer auch eine fleischlose Speisenfolge angeboten. Nur bei veganen Wünschen wird’s heikel. So wie Klein generell kein Freund übertriebener Sonderwünsche ist: »Natürlich versuchen wir, jedem Gast entgegenzukommen, soweit es geht, und nehmen auf alle Vorlieben oder Unverträglichkeiten Rücksicht. Aber wir sind eben kein À-la-carte-Restaurant, und wenn sich jemand plötzlich Spaghetti bolognese wünscht, dann soll er bitte auf eine Skihütte gehen.« Und auch als einmal ein koscheres Menü verlangt wurde, musste man passen.
Ob man mit diesem Konzept aufgrund des enormen Aufwandes trotz des für österreichische Verhältnisse gehobenen Preisniveaus Geld verdient? »Lassen Sie es mich so ausdrücken: Wir sind sehr froh, jemanden wie Herrn Mateschitz als Chef zu haben«, gibt sich Klein zum Abschluss des HOGAPAGE-Gesprächs diplomatisch.
Der Sagenfigur Ikarus jedenfalls wurde noch die eigene Flughöhe und damit die Hitze der Sonne zum Verhängnis. Beim Restaurant Ikarus dürfte dank der Hightech-Flügel von Eigner Didi Mateschitz wohl der Höhenflug prolongiert sein.
Infos
Restaurant Ikarus im Hangar 7
Wilhelm-Spazier-Str. 7A
5020 Salzburg
Österreich
Tel.: +43 662 2197-0
E-Mail: office@hangar-7.com
Internet: www.hangar-7.com
Küche: 7 Tage die Woche abends, Donnerstag bis Sonntag auch mittags
Aktuell wird das Ikarus von Gault & Millau mit 18 Punkten (drei Hauben) und von Michelin mit zwei Sternen bewertet.
Die Ikarus-Gastköche 2017
- Januar: Christophe Muller, Rest. Paul Bocuse, Lyon
- Februar: Manish Mehrotra, Rest. Indian Accent, Neu-Delhi
- März: Best of Wien: Paul Ivic (Tian), Markus Mraz (Mraz & Sohn), Silvio Nickol (Silvio Nickol Gourmet Restaurant) und Heinz Reitbauer jun. (Steirereck) kreieren jeder drei Gerichte eines 12-Gänge-Menüs
- April: José Avillez, Rest. Belcanto, Lissabon
- Mai: Isaac McHale, The Clove Club, London
- Juni: Thomas Bühner, Restaurant la vie, Osnabrück
- Juli: Daniel Boulud, Rest. Daniel, New York
- August: Team Ikarus
- September: Jorge Vallejo, Rest. Quintonil, Mexiko-Stadt
- Oktober: Nicolai Nørregaard, Rest. Kadeau, Kopenhagen
- November: Quique Dacosta, Quique Dacosta Restaurante, Dénia/Spanien
- Dezember: Sidney Schutte, Rest. Librije’s Zusje, Amsterdam