Nordisch herb, hanseatisch bodenständig
von Daniela MüllerGelingen soll dieser Spagat auch mithilfe der Gastronomie – die ganz im Zeichen eines legendären Hamburger Freibeuters steht: Der berüchtigte Pirat Klaus Störtebeker hätte sicher Gefallen an dem Konzept gefunden, für das sein Name nun Pate steht – nicht zuletzt, weil es Braukunst statt Schampus in den Mittelpunkt stellt.
Ende gut, alles gut. Fast ein Jahrzehnt und rund 866 Millionen Baukosten wurden benötigt, um Hamburgs neueste Perle zu vollenden. Viel Schmach und Kritik musste »Elphi«, wie die Hansestädter sie mittlerweile getauft haben, während der pannenbehafteten Bauphase einstecken. All das strahlt das imposante Bauwerk heute einfach souverän weg.
Auch Julian Münder, Betriebsleiter der Störtebeker-Gastronomie in der Elbphilharmonie, hat mittlerweile gut lachen. Für ihn ist es eine besondere Ehre, seine Brötchen in so einem spektakulären Bauwerk zu verdienen. »Ich freue mich jeden Tag, wenn ich mit meinem Fahrrad vorfahre und so viele Menschen bereits darauf warten, hier endlich hereinkommen zu dürfen. Das macht mich schon stolz«, erklärt er und fügt hinzu: »Ich glaube dieses Gefühl kennt jeder, der hier arbeitet – egal ob im Hotel, im Musikbereich oder bei uns.«
Bauverzögerungen trafen die Gastronomie
Doch erst einmal ließ Elphi – ganz hanseatische Diva – die Welt, und ihn, auf sich warten: Dabei lockte sie Münder bereits vor vier Jahren aus Afrika, wo er als Lodge-Manager verschiedene Safari-Camps im Premium-Segment leitete, in die Elbmetropole. »Ich sollte eigentlich direkt hier anfangen. Aber wie man weiß, kam es anders«, schmunzelt er. Füße hochlegen stand trotzdem nicht auf Julian Münders Agenda. Sein Arbeitgeber, die Hamburger east group, »parkte« ihn stattdessen in einem anderen beeindruckenden Gastro-Objekt der Gruppe – im »clouds« in den Tanzenden Türmen, wo er schon einmal die Gelegenheit bekam, eine Eröffnung durchzuexerzieren. »Im Nachhinein gesehen, war das sicherlich ein gutes Trainingslager für unser Opening hier«, ist er überzeugt.
Sogar noch länger in Geduld üben musste sich Jürgen Nordmann, Inhaber der Störtebeker Braumanufaktur, einer mittelständischen Stralsunder Brauerei mit 800-jähriger Brautradition. Er freute sich bereits vor zwölf Jahren über den Zuschlag für die Gastronomie im Gebäude. Für ihn bot das ehrgeizige Bauvorhaben eine einmalige Möglichkeit, seine Biere in Hamburg bekannter zu machen. Zusammen mit der east group entwickelte die Brauerei in der Elbphilharmonie ein Gastro-Konzept, das sich über drei Etagen erstreckt – meergestählt und mit eigenem Kopf. Norddeutsch eben. Dass das einzigartige Bauwerk und die Eins-a-Lage die hohen Investitionen irgendwann zurückzahlen würden, daran hatte er keinen Zweifel. Gut Ding braucht eben auch in Hamburg manchmal etwas mehr Weile.
Am 4. November 2016 hatte das Warten für alle Beteiligten ein Ende: Die Aussichtsplattform der Elbphilharmonie, genannt die »Plaza«, das im Gebäude befindliche Hotel Westin Hamburg und das Restaurant Störtebeker wurden eingeweiht. Gut zwei Monate später, am 11. Januar, senkte sich zur Primetime der Taktstock im Musiksaal der Elbphilharmonie, und das offizielle Eröffnungsspektakel mit Pauken, Trompeten und viel Prominenz nahm seinen Lauf. Das Team der Störtebeker-Gastronomie war zu diesem Zeitpunkt bereits gut »eingespielt«. Schade sei nur gewesen, verrät der Restaurant-Chef, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel an diesem Abend nicht den Weg ins Störtebeker gefunden habe. Vielleicht ja ein andermal …
Bier statt Schampus
Als Flagship-Objekt einer Braumanufaktur bricht das Restaurant konsequent und ganz bewusst mit den Kaviar- und Champagner-Vorurteilen gegen die elitäre Klassik-Klientel. »Wir haben den hochwertigsten, besten und modernsten Konzertsaal der Welt. Wenn wir jetzt eine Champagner-Bar gemacht hätten, würde das sicher viele Menschen direkt abschrecken herzukommen«, ist Julian Münder überzeugt. Das Ergebnis – eine ansprechende Mischung aus Bier und hanseatischem Abenteuerflair – dürfte nicht nur für so manchen Herren der Schöpfung eine willkommene Wiedergutmachung für eine eventuelle kulturelle Überanstrengung darstellen. »Auch die Damen reagieren in der Regel begeistert, wenn sie bemerken, wie vielseitig unsere Biere sind – und natürlich haben wir hervorragende Weine und Champagner«, so der Betriebsleiter. »Nur die Hauptrolle, die spielt bei uns eben das Bier – und das auf allen drei Stockwerken!«
Ein brauhausähnliches Konzept erfordert viel Bierkompetenz. Deshalb gehören zwei Biersommeliers fest zu Münders Mannschaft. Bereits im Vorfeld nahmen zudem das gesamte Führungsteam und einige Mitarbeiter der Gastronomie in der Brauerei in Stralsund an einer Ausbildung zum Bierbotschafter (Vorstufe zum Biersommelier, d. Red.) teil. »Wir schulen jetzt nach und nach alle unsere Mitarbeiter. Regelmäßig fahren ca. 10 bis 15 meiner Leute in die Brauerei, wo sie u. a. eine Brauereiführung erleben, eine ausführliche Bierverkostung mitmachen und lernen, worauf es dabei ankommt«, erklärt Münder.
Auf den Spuren nordischer Esskultur
Das eigentliche Restaurant Beer & Dine mit seinem direkt angrenzenden Lounge- und Barbereich befindet sich im 5. Stock des Gebäudes. Rund 220 Gäste finden dort Platz. Ein separierter Bereich, die Channel Lounge, bietet den idealen Rahmen für private oder geschäftliche Veranstaltungen. Hier gibt es eine lange Tafel, die bis zu 42 Personen Platz bietet, sowie den runden Captains Table, der nicht nur besonders konspirativen Gesprächsrunden den passenden Rahmen verleiht.
Kulinarisch bewegt sich das gastronomische Konzept von Küchenchef Sebastian Brugger und seinem Team auf den Spuren nordischer Esskultur entlang der Seewege der Hanse. Neben norddeutschen Klassikern – selbstverständlich neu interpretiert – finden sich auf der Karte immer wieder Spezialitäten, die z. B. aus Nordfrankreich, England, Skandinavien oder den Staaten des Baltikums stammen. Vom »Hamburger Fischtopf« über die »Stulle mit Eismeergarnele« bis hin zum »Duroc-Schwein mit Sellerie, Rhabarber, Kopfsalat und Jus« reicht das Repertoire. Zum Nachtisch verführt die »Hanse-Porter Crème brûlée« oder der »Blonde Schwede aus weißer Schokolade, Atsinakresse und Sanddorn-Sorbet«. Auf Wunsch werden die Speisen übrigens im »Family Style« serviert, also gangweise in der Tischmitte platziert, sodass jeder nehmen kann, was er mag.
Der Growler für zu Hause
Ein Stockwerk höher befindet sich das Taste & Shop – wo sich wirklich alles um das Hopfengetränk aus Stralsund dreht. Hier landen Gäste, die mit der sogenannten »Tube« vom Eingangsbereich direkt in den 6. Stock fahren. Zu erleben gibt es da Verkostungen, die nicht nur für echte Bierliebhaber ein genussreiches Ereignis sind. Im Fokus stehen die verschiedenen Brauspezialitäten der Störtebeker Brauerei, die von kleinen Leckereien aus der Küche begleitet werden. Dazu gibt es fundiertes Wissen rund um den goldenen Gerstensaft. »Unsere Bier-Tastings werden z. B. sehr gerne als Kundenveranstaltungen gebucht. Oder von Touristen, die den Besuch in der Elbphilharmonie mit einem weiteren Highlight versehen wolle«, sagt Julian Münder. »Für Gruppen ab sechs Personen vereinbaren wir gern individuelle Termine.« Zwei verschiedene Verkostungsangebote stehen dabei zur Wahl: das »Bier-Erlebnis-Seminar« oder der etwas umfangreichere »Biersommelier-Abend«.
Dank der eigens für das Restaurant angefertigten »Growler«-Abfüllanlagen kann am Ende sogar jeder Teilnehmer seine Lieblingsbiere frisch gezapft nach Hause nehmen. »Der Growler ist ein 0,85-Liter-Glasgebinde, das wiederverschließbar ist. Der Inhalt ist dann mindestens eine Woche haltbar. In Amerika gibt es das schon lange – wir fanden es eine sehr gute Idee für ein perfektes Mitbringsel aus der Elbphilharmonie.« Nebenbei gesagt, gibt es im Taste & Shop – der Name lässt es schon vermuten – jede Menge Störtebeker-Merchandising-Artikel.
Eine Gastronomie für jedermann
Das Deck & Deli im 8. Obergeschoss bietet einen atemberaubenden Ausblick auf den Hafen – und eine große Auswahl an Snacks, Backwaren und Getränken. Julian Münder: »Unser Gesamtkonzept der Gastronomie ist so konzipiert, dass eigentlich jeder sich darin auf irgendeine Art und Weise wiederfinden und wohlfühlen kann – sei es der Konzertbesucher, der nach der Veranstaltung noch den Abend ausklingen lassen möchte, der Geschäftsmann, der seine Kunden oder Mitarbeiter einlädt, oder der Tourist, der oben auf der Plaza einen schnellen Cappuccino trinken möchte.« Das spiegelt sich auch optisch in den verschiedenen Bereichen wider.
Alles echt: Stahl, Beton, Eichenholz und Leder
Während die Elbphilharmonie selbst innen wie außen vom Schweizer Architekturbüro Herzog & de Meuron entworfen wurde, engagierte das Gastro-Joint-Venture aus Störtebeker Braumanufaktur und east group das Lüneburger Unternehmen formwænde, das bereits in mehreren anderen Objekte der Gruppe für die Inneneinrichtung verantwortlich zeichnete.
Angelehnt an das architektonische Design der Elbphilharmonie sowie an den Corporate Brand der Brauerei, ließ das Team von formwænde in seinem Entwurf das nordische Lebensgefühl mit seiner Rauheit, Einfachheit und Konsequenz voll zur Geltung kommen. Entstanden ist dadurch am Ende eine kontraststarke und warme Atmosphäre mit ausgewählten, ausdrucksstarken Materialien. Roher brünierter Stahl, echter Beton, massives Eichenholz sowie naturbelassenes Leder harmonisieren perfekt mit grobem Sisal, mundgeblasenem Schlierenglas und Relieftafeln aus Sichtbeton. Ein ultimativer Hingucker ist dabei die Decke in der Channel Lounge des Beer & Dine im 5. OG – sie besteht aus rund 4.200 Bierflaschen.
»Das generelle Look and Feel ähnelt sich in all unseren drei Bereichen. Dennoch gibt es einige Unterschiede«, erklärt Julian Münder. »Im Taste & Shop liegt der Fokus der Einrichtung z. B. auf der Marke, denn es geht darum, die Produkte im Verkauf attraktiv zu präsentieren. Das Deck & Deli dagegen präsentiert sich optisch etwas glatter: Dort haben wir weniger Leder, weil der Durchlauf an Menschen viel höher ist und alles stoßunempfindlicher sein sollte. Weil dieser Bereich an die Plaza grenzt, mussten wir uns das Design genehmigen lassen und einige Auflagen einhalten.«
Hinter den Kulissen eines echten Wahrzeichens
Dass die Gastronomie bei der Planung des Gesamtgebäudes nicht die erste Geige gespielt hat, macht sich für den Restaurantchef und sein Team im Arbeitsalltag immer wieder bemerkbar. Mit den daraus resultierenden kleinen Herausforderungen können die leidenschaftlichen Profis jedoch gut leben. »Das Hotel (Westin Elbphilharmonie – d. Red.) hat z. B. eine riesige Anlieferzone, wo einfach der Lkw dranfährt und alles per Hubwagen abgeladen werden kann. Wir dagegen haben eine kleine Standardtür, durch die unsere Waren und unser Personal ins Haus kommen«, schmunzelt der Betriebsleiter. Man merke insbesondere im Back-of-House-Bereich, sagt er, dass dieser sich an die Gesamtsituation anpassen musste. Das äußert sich beispielsweise in etwas abenteuerlich geschnittenen Lager- und Kühlräumen, die zudem noch auf vier Stockwerke verteilt sind. »Wenn man das frei stehend geplant hätte, würde sicher manches ein wenig anders aussehen. Aber diesen Luxus hat man ja ohnehin selten. Aber es ist nun, wie es ist – und wir freuen uns wirklich sehr, dass wir hier sind«, resümiert Julian Münder.
Riesiger Kühlhausdurchlauf
Rundum zufrieden sind er und seine Mannschaft mit der Küche. Sie ist mit 150 m² großzügig geschnitten und durchdacht geplant. Ehrensache für Küchenchef Sebastian Brugger ist, dass in seiner Küche alles frisch gekocht wird. Viele Vorbereitungen übernimmt dabei die east manufactory, die Produktionsküche der east group. Hier werden z. B. Gebäckstücke, Aufstriche und Brote für das Deck & Deli hergestellt. Wegen der knapp bemessenen Lagerkapazitäten ist der Kühlhausdurchlauf im Störtebeker enorm. »Bei uns liegt eigentlich nichts länger als zwei bis drei Tage. Nach einem halbwegs guten Wochenende sind wir sonntagabends oder spätestens Montagfrüh total leer geräumt«, erzählt Münder. Gut, dass in einer Metropole wie Hamburg die meisten Großhändler binnen Stunden für Nachschub sorgen können.
»Ausgebucht-Status« der Musikhalle soll niemand abhalten
Ende gut, alles gut, heißt es also auch für die Gastronomie der Elbphilharmonie. Ein halbes Jahr nach der Eröffnung kann Julian Münder ein zufriedenes erstes Fazit ziehen: »An den Wochenenden kommen 12.000 bis 16.000 Besucher pro Tag in die Elbphilharmonie, unter der Woche sind es täglich 4.000 bis 6.000. Viele davon statten auch unserer Gastronomie einen Besuch ab. Wir sind zufrieden.« Ein gutes Geschäft konnte das Restaurant dabei insbesondere in der Vorweihnachtszeit und während großer Messen verzeichnen.
Um noch mehr Besucher in die Gastronomie zu locken, soll nun u. a. die Ausschilderung im Gebäude verbessert werden. Außerdem werden zukünftig nicht nur das Restaurant, sondern auch die Bierverkostungen über das Online-Reservierungssystem Opentable vertrieben. »Auf diese Weise wollen wir potenziellen Gästen ihre Hemmschwelle nehmen, denn noch immer wird der ›Leider ausgebucht‹-Status der Musikhalle von vielen Menschen fälschlicherweise auf das Störtebeker übertragen«, berichtet Julian Münder. »Wir haben auf jeden Fall noch Kapazitäten. Mittags zum Mittagstisch oder abends – auch an den Wochenenden.« Wer reserviert, hat dabei übrigens nicht nur seinen Platz im Restaurant sicher, er erhält zudem ein Ticket für die Priority-Lane, die Express-Schlange, die einen schnellen Weg nach oben garantiert – an den auf Einlass wartenden Menschenmengen vorbei. Also nichts wie los – auf ein Bierchen zu Elphi!
- Der Kaispeicher
- Die Fassade
- Die Tube
- Die PlazaDer große Saal
- Der Klangreflektor
- Die Orgel
- Der kleine Saal
- Das Kaistudio
- Foyer-Bar
- Das Hotel
- Die Wohnungen
- Das Parkhaus
Hintergrund: Die beteiligten Unternehmen
east group
Die east group ist seit 2004 fester Bestandteil der Szenegastronomie und Hotellerie in Hamburg und steht wie keine andere Location für individuelle, gehobene Küche und ausgezeichnete Gastlichkeit mit hohem Lifestyle-Faktor. Zum »east cosmos« gehören neben dem Designhotel mit Restaurant z. B. das »coast by east« in der HafenCity sowie das »clouds – Heaven’s Bar & Kitchen« in den Tanzenden Türmen.
Störtebeker Braumanufaktur
Mit über 800 Jahren Brautradition in der Hansestadt Stralsund hat sich die Störtebeker Braumanufaktur dem handwerklichen Brauen mit besten Rohstoffen, echtem Charakter und norddeutscher Authentizität verschrieben. Spezialbraumalze, individuelle Hefe und einzigartige Rezepturen lassen die unverwechselbaren Aromen von Atlantik-Ale, Baltik-Lager, Roggen-Weizen und 16 weiteren Brauspezialitäten entstehen.
Der Original-Text aus dem Magazin wurde für die Online-Version evtl. gekürzt bzw. angepasst.