Silvio-Nickol
Foto: Helge Kirchberger Photography

Ich lasse mich nicht regional einschränken

von Clemens Kriegelstein
Montag, 04.03.2019
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Und schafft dabei als einer von wenigen das Kunststück, ein Hotelrestaurant dauerhaft erfolgreich zu etablieren.

Der kulinarische Austausch zwischen Österreich und Deutschland funktioniert durchaus, kann man attestieren, wenn man sich die Biografien mancher Top-Köche durchliest. So haben es mit Eckart Witzigmann oder Johann Lafer zwei Österreicher beim großen Nachbarn zu Ruhm und Ehre gebracht. Umgekehrt waren auch einige Deutsche in der Alpenrepublik beruflich erfolgreich, etwa Thorsten Probost (Griggeler Stuba im Burg Vital Resort Oberlech, 3 Gault&Millau-Hauben) oder auch der in der ehemaligen DDR (Hoyerswerda) geborene Silvio Nickol, der seit 2011 mit dem Gourmetrestaurant Silvio Nickol im Wiener Palais Coburg eine der unbestritten besten Kulinarikadressen des Landes führt.

Nach seiner Kochlehre sammelte Nickol u.a. Erfahrungen in Lothar Eiermanns 2-Sterne-Restaurant Wald- & Schlosshotel Friedrichsruhe in Zweiflingen oder bei den 3-Sterne-Köchen Harald Wohlfahrt (Schwarzwaldstube, Baiersbronn) und Heinz Winkler (Residenz Heinz Winkler, Aschau). 2007 erhörte er den Ruf des damals neu konzipierten Schloss Velden am Wörthersee. Binnen zwei Jahren brachte er das dortige Restaurant Schlossstern auf 2 Michelin-Sterne (damals existierte von Michelin noch eine eigene Österreich-Ausgabe). Doch das Engagement dort ging 2010 zu Ende, denn die Zukunft des Schloss­hotels war plötzlich unsicher.

Nachfolger von Christian Petz

Gleichzeitig stand der Vermögensverwalter Peter Pühringer, seines Zeichens auch Besitzer des Palais Coburg in Wien, vor einem Problem, denn er hatte gerade mit Christian Petz den mit 4 Hauben dekorierten Küchenchef seines Hauses verloren. Nickol wurde also von Pühringer kontaktiert, der nach einem Besuch im Schlossstern überzeugt war, den richtigen neuen Mann für sein Haus gefunden zu haben. Ein kurzes Gespräch später war man handelseinig und Nickol zog nach Wien um, wo er 2011 die Küchenleitung im Palais Coburg übernahm und auch gleich dem dortigen Gourmetrestaurant seinen Namen gab. Der Einstand war jedenfalls nicht schlecht. Schon im Folgejahr bewertete Michelin das Restaurant wieder mit zwei Sternen, und auch die Kollegen von Gault&Millau ließen sich nicht lange bitten, ernannten Nickol 2014 zum »Koch des Jahres« und setzten ihm und seinem Team wenig später vier Hauben auf. Bewertungen, die bis heute halten.

Wenn man Silvio Nickol jetzt fragt, wie er seine Küchenlinie beschreiben würde, erhält man die wenig überraschende Antwort, dass der Geschmack dabei am wichtigsten sei, dann käme die Optik und schließlich die Symbiose mit dem Wein. Ob´s ein wenig mehr ins Detail auch geht? »Im Fokus steht ganz klar die Top-Qualität der Produkte. Wenn möglich, kommen diese aus Österreich, aber das ist für mich kein Dogma. Ich gehöre auch nicht zu den Leuten, die sagen, ihnen kommt kein Meeresfisch auf den Teller. Wenn ich also ein Top-Produkt aus Frankreich oder Südamerika finde, ist es für mich auch ok. Ich will mich da nicht bewusst einschränken lassen. Im Moment habe ich etwa gerade einen ganz tollen Stör aus Italien da. Den kann man sogar roh essen, so gut ist der«, erklärt Silvio Nickol im HOGAPAGE-Gespräch. Immens wichtig ist dem Sternekoch dagegen die Saisonalität. »Man muss nicht das ganze Jahr über Erdbeeren auf der Karte haben und die von sonst wo her einfliegen lassen. So was mache ich einfach nicht. Ich versuche also bei meinen Gerichten schon, mich im Kreislauf der Natur zu bewegen.«

Teamwork im Palais Coburg
Foto: Palais Coburg

Teamwork

Großen Wert legt Nickol bei den Speisenkreationen auch darauf, dass in der Regel alles im Team passiert und nicht er alleine der kreative Geist ist. Nickol: »Da kann jedes Crew-Mitglied seine Vorschläge einbringen. Ich sag zum Beispiel, wir machen jetzt was mit Hahnenkämmen, dann sagt ein anderer, er hätte auch eine Idee dazu, und ein dritter ebenso, und so entstehen dann sukzessive nach einigem Herumprobieren ganze Gerichte. Es wäre ja schade, wenn ich auf die vorhandene Kompetenz meiner Mitarbeiter nicht zurückgreifen würde, die alle wissen, wie ein Gericht geschmacklich aufgebaut sein muss.«

Wer allerdings ausschließlich auf die besten Produkte Wert legt, der braucht auch eine entsprechende Lieferantenauswahl – und die liest sich bei Silvio Nickol wie ein Auszug aus den Gelben Seiten: Lediglich beim Trockensortiment kommen 70 Prozent von einem einzigen C&C-Händler, der Rest von zahllosen Lieferanten, Züchtern und Bauern. »Da ist auch ein Bauer dabei, der sich seine Kunden selbst aussucht«, lacht Nickol. »Der beliefert einige Top-Restaurants in Wien mit Gemüse, Kräutern oder Blüten, und der baut auch Produkte auf Wunsch an. Der fragt dann, ob wir eine Idee oder besondere Wünsche hätten, was er im nächsten Jahr anpflanzen soll.« Bei diesen Dingen sei der persönliche Kontakt zum Lieferanten extrem wichtig. Und dass bei solchen Qualitätsansprüchen z.B. auch Käseguru Bernard Antony zu den Lieferanten gehört, versteht sich fast von selbst.

»Chef for a Day«

Acht Mitarbeiter (inkl. Nickol) werken in der Küche, acht weitere im Service für die im Schnitt etwa 40 bis 45 Gäste des Abends. Wobei – bisweilen gibt in der Küche noch ein neunter Kopf als Gastkoch sein Bestes. Und das ist weder ein Spitzenmann seines Faches noch ein hoffnungsvoller Nachwuchskoch, sondern ein »Chef for a Day«. So nennt sich jedenfalls das Angebot, das von jedermann buchbar ist und das es interessierten Hobbyköchen ermöglicht, eine komplette Schicht, von der Tagesplanung um 12 Uhr bis zur Nachbesprechung gegen 23 Uhr, mitzuerleben und dabei auch – je nach Vorkenntnissen und unter Aufsicht – aktiv mitzumachen. 495 Euro kostet das Paket inkl. Verköstigung am Abend und einem Gutschein für ein 7-Gang-Menü inkl. Weinbegleitung. »Das kommt sehr gut an, und man muss dafür keineswegs ein Virtuose am heimischen Herd sein. Erst kürzlich hat das zum Beispiel ein Stammgast hier gebucht, der so was unbedingt mal machen wollte, aber gleich vorausgeschickt hat, dass er überhaupt nicht kochen kann«, lacht Nickol.

Keine Verluste erlaubt

Das Menü selbst ändert sich alle zwei bis drei Monate komplett. Die Menügröße lässt sich mit fünf bis neun Gängen (plus diverse Grüße und Verabschiedungen aus der Küche) selbst bestimmen. Eine reguläre Karte gibt es dafür nicht. Preislich bewegt man sich mit circa 310 Euro für das Neun-Gänge-Menü inkl. Wein zumindest für österreichische Verhältnisse schon in relativ hohen Sphären, aber schließlich will das Team bezahlt werden und der hohe Wareneinsatz muss sich rentieren. Und das Lokal muss sich selbst tragen. Das Restaurant als quasi einkalkulierter Abschreibposten wie in manchen anderen Hotels? No Way! Für die Coburg-Klientel, die sich bunt gemischt aus einheimischen (Stamm-)Gästen, Hotelgästen und anderen Touristen zusammensetzt, ist der Preis auch kein Thema. Ergebnis: eine durchschnittliche Auslastung um die 100 Prozent und für einen Tisch, speziell an einem Freitag oder Samstag, schon mal eine Wartezeit von zwei bis drei Monaten.

Damit gelingt Silvio Nickol auch das Kunststück, ein Luxusrestaurant in einem Hotel erfolgreich zu etablieren. In Österreich ein ziemliches Unikum. Denn aus einem noch immer nicht ganz erforschten Grund gehen Herr und Frau Österreicher, auch wenn die Kreditkarte mal locker sitzt, lieber in »normale« als in Hotelrestaurants.

Gewinn machen daher dort die wenigsten, weshalb das Kulinarikangebot auch in 5-Sterne-Häusern oft eine Mischung aus gehobener Brasserie mit ein paar Österreich-Must-haves (Schnitzel, Tafelspitz) und den inzwischen unvermeidlichen Burgern darstellt. »In dem Fall ist es vielleicht sogar ein Glück, dass wir nur 34 Zimmer – ausschließlich Suiten – anbieten. Viele Leute sehen uns eher als Restaurant denn als Hotel. In anderen Hotels muss man die Gäste darauf aufmerksam machen, dass man dort auch gut essen kann. Wir müssen eher unsere Restaurantgäste darauf hinweisen, dass sie im Haus auch nächtigen können«, erklärt die Marketingchefin des Hauses, Anita Resch.

Silvio Nickol Portait
Foto: Palais Coburg

150 Euro No-Show-Gebühr

Zu den Hauptproblemen in vielen Restaurants gehört die Plage der No-Shows. Damit diese nicht überhandnimmt, hat man sich vor einiger Zeit auch entschlossen, bei Reservierungen eine Kreditkartennummer zu verlangen und im Falle von No-Shows eine Gebühr von 150 Euro/Person in Aussicht zu stellen. »Das kommt aber eigentlich nie vor, denn so sind von Anfang an die Spielregeln klar, und wenn man rechtzeitig absagt, ist es ja kein Problem. Meist existiert ja eine Warteliste, und dann freut sich eben der Nächste. Aber alleine die ›Androhung‹ einer No-Show-Gebühr ist schon eine unheimliche Motivation, bei Verhinderung tatsächlich abzusagen. Und das sehen eigentlich auch alle Gäste ein«, so Resch.

Wer zu Silvio Nickol essen geht, der tut dieses mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit aber nicht nur des Essens wegen, sondern auch wegen eines der größten und bestbestückten Weinkellers des Landes. An die 5.500 Positionen und 60.000 Flaschen lagern hier, und wer will, kann für einschlägige Großformate französischer Provenienz auch einen sechsstelligen Betrag über den Tisch schieben. Man muss es ja nicht wie jener Gast machen, der sich vor einigen Monaten mal eine Flasche Pétrus bestellt hat – und zusätzlich eine Flasche Cola. Und ja, er hat es dann wirklich getan… »Der Gast bezahlt ihn ja, also kann er damit natürlich machen, was er will. Aber klar stellt’s da dem Sommelier schon ein bisschen die Haare auf«, schmunzelt Nickol. In Wirklichkeit würden ähnlich skurrile Bestellungen aber alle heiligen Zeiten mal vorkommen.

Raritätenbegleitung

Deutlich öfter machen Gäste von der Möglichkeit Gebrauch, gegen Aufpreis bei einzelnen Gängen oder zum ganzen Menü statt der regulären Weinbegleitung eine Raritätenbegleitung zu genießen. Da kann dann durchaus mal ein Glas Château d’Yquem dabei sein. Oder wer gerne eine spezielle Flasche trinken möchte, kann sich online über den Kellerstand informieren und dem Service vorab telefonisch Bescheid geben, damit die entsprechende Flasche etwa rechtzeitig dekantiert wird.

Bleibt zum Abschluss nur noch die Frage, was man in Österreich leisten muss, um von Michelin den dritten Stern zuerkannt zu bekommen. Aber hier muss auch Silvio Nickol passen: »Ehrlich gesagt, weiß ich auch nicht, welche Bewertungskriterien die anlegen und was man noch verbessern müsste.«
Der Original-Text aus dem Magazin wurde für die Online-Version evtl. gekürzt bzw. angepasst.

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